Sehnsucht nach Eucharistie

Nach einem monatelang andauernden Streit ist die Handreichung der deutschen Bischöfe zur gemeinsamen Teilnahme von Ehepartnern in konfessionsverbindenden Ehen als Orientierungshilfe veröffentlicht worden. Bereits zu Beginn bezieht sich die Orientierungshilfe auf die Gemeinsame Erklärung, die 2016 anlässlich des ökumenischen Gottesdienstes im schwedischen Lund zum Reformationsgedenken von Papst Franziskus und dem Präsidenten des Lutherischen Weltbundes, Bischof Munib Younan, veröffentlicht wurde: "Viele Mitglieder unserer Gemeinschaften sehnen sich danach, die Eucharistie in einem Mahl zu empfangen als konkreten Ausdruck der vollen Einheit. Wir erfahren den Schmerz all derer, die ihr ganzes Leben teilen, aber Gottes erlösende Gegenwart im eucharistischen Mahl nicht teilen können. Wir erkennen unsere gemeinsame pastorale Verantwortung, dem geistlichen Hunger und Durst unserer Menschen, eins zu sein in Christus, zu begegnen. Wir sehnen uns danach, dass diese Wunde im Leib Christi geheilt wird" (Nr. 1). Wie weit reicht die hier angesprochene Sehnsucht von Christ(inn)en, die Eucharistie in einem Mahl zu empfangen? Ist ihr durch die nicht verwirklichte, sichtbare Einheit der Kirche von katholischer Seite eine nach wie vor unüberwindliche Grenze gesetzt?

Die Orientierungshilfe beruft sich auf die von Johannes Paul II. in den Enzykliken "Ut unum sint" (1995) und "Ecclesia de Eucharistia" (2003) vorgenommen Klärungen: "Ein Grund zur Freude ist in diesem Zusammenhang, daran zu erinnern, dass die katholischen Priester in bestimmten Einzelfällen die Sakramente der Eucharistie, der Buße und der Krankensalbung anderen Christen spenden können, die zwar noch nicht in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen, aber sehnlich den Empfang der Sakramente wünschen, von sich aus darum bitten und den Glauben bezeugen, den die katholische Kirche in diesen Sakramenten bekennt" (Nr.16). Hier wird die kirchenrechtlich vorgesehene Situation einer schweren Notlage weitergeführt im Blick auf eine geistliche Notlage, die durch den Begriff eines inneren desiderium ausgedrückt wird. Entscheidend für die Kommuniongemeinschaft ist nicht eine äußere Notsituation, sondern eine innere Sehnsucht des Herzens, verbunden mit dem Glauben an diese Sakramente. (Vgl. Kardinal Walter Kasper, Kommunion für nichtkatholische Ehepartner? Eine Lösung ist möglich)

Der Begriff der Sehnsucht ist dabei nicht auf eine psychologische "Befindlichkeit" zu reduzieren, sondern spannt einen Bogen, der vom Dürsten des biblischen Betenden (Ps 63) und dem Seufzen der gesamten Kreatur (Röm 8) über Augustinus' Formel vom unruhigen Herzen, das in Gott Ruhe findet (Bekenntnisse I,1), bis hin zum naturhaften Sehnen nach der Gottesschau bei Thomas von Aquin (desiderium naturale) reicht. Zugleich gibt die Orientierungshilfe der Sehnsucht nach eucharistischer Gemeinschaft einen sakramententheologischen und ekklesiologischen Ort. Weil die Eheleute durch die Taufe und das Sakrament der Ehe miteinander verbunden sind, bilden sie "eine Art Hauskirche" (LG 11). "Keine Kirche kann aber ohne Eucharistie sein. Wie die Kirche aus der Eucharistie lebt, so ist - wie Amoris laetitia betont - für die christliche Ehe die 'Nahrung der Eucharistie' (...) Kraft und Anreiz, den Ehebund jeden Tag als 'Hauskirche' zu leben (AL 318, unter Verweis auf LG 11)" (Nr. 29). Kann die Sehnsucht nach eucharistischer Gemeinschaft auch über den Fall einer konfessionsverbindenden Ehe hinaus Kommuniongemeinschaft ermöglichen? Klaus Mertes SJ hat im Blick auf die Gedenkstätten der ökumenischen Märtyrer des 20. Jh. von "Löseorten" gesprochen, an denen eine im Blut bezeugte Einheit des christlichen Bekenntnisses verwirklicht ist, die eine Trennung im eucharistischen Sakrament nicht mehr zulässt. Ähnliches könnte meiner Meinung nach für die von Jean Vanier gegründete Gemeinschaft der Arche und ihre tiefe Lebens- und Glaubensgemeinschaft gelten, aber auch für christliche Gemeinden und Gemeinschaften, die gemeinsam einen intensiven ökumenischen Weg gehen. Die Einheit im Sakrament der Taufe, welche die Christgläubigen bereits auch ekklesiologisch zu einem Leib Christi verbindet, drängt auf die Gemeinschaft im Abendmahl: "Die Kirchengemeinschaft gründet in der Taufe. (...) Sie ist 'ein sakramentales Band der Einheit zwischen allen, die durch sie wiedergeboren sind. Dennoch ist die Taufe nur ein Anfang und Ausgangspunkt, da sie ihrem ganzen Wesen nach hinzielt auf die Erlangung der Fülle des Lebens in Christus. Daher ist die Taufe hingeordnet auf das vollständige Bekenntnis des Glaubens, auf die völlige Eingliederung in die Heilsveranstaltung, wie Christus sie gewollt hat, schließlich auf die vollständige Einfügung in die eucharistische Gemeinschaft' (UR 22)" (Nr. 13). Damit ist an der vollen Einheit der Kirchen als Ziel festgehalten, ohne auszuschließen, dass es Orte geben kann, an denen eine eucharistische Gemeinschaft möglich ist, wo Gläubige zu dem dargereichten "Leib Christi" und zur Kirche als dem "Leib Christi" ein Amen sprechen zu können.

Klaus Vechtel SJ

Autor:

Klaus Vechtel SJ

Pater Klaus Vechtel SJ studierte Theologie in Bonn und Rom, wo er 1989 durch Kardinal Joseph Ratzinger zum Priester geweiht wurde. 1991 trat er in die Gesellschaft Jesu ein. Seit 2007 lehrt er an der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main, seit 2014 als Professor für Dogmatik. Er ist Beiratsmitglied von der Zeitschrift für christliche Spiritualität GEIST & LEBEN.

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