SINUS-Studie: An lernenden Schulen hat Bildung eine Zukunft

Berlin - Angesichts der kulturellen Umbrüche, die derzeit unter dem Schlagwort "Digitalisierung" debattiert werden, zeichnet sich die Renaissance von Bildungskonzepten ab, welche die Bedeutung von Persönlichkeitsbildung, also den Menschen, in die Mitte stellen. Herausgefordert wird unser Menschenbild nicht nur von Netzwerken und Rechnern, sondern von Unternehmern, die den Menschen nur noch als Fehler im System sehen und die an einer Arbeitswelt basteln, die ohne Menschen auskommt. Offensichtlich müssen Schulen junge Menschen nicht nur den Umgang mit Computern lehren. Sie müssen sie vielmehr eine Haltung lehren, neugierig auf Neues zuzugehen, Chancen zu ergreifen und ihre Talente zu entfalten, um die Gesellschaft aktiv und kreativ zu gestalten. Sie sollen Menschen mit Charakterstärke werden, die nicht jedem Trend hinterherlaufen. Dazu braucht es intellektuelle und charakterliche Stärke ebenso wie Empathie für Schwächere, einen Sinn für Gerechtigkeit und Übung in Solidarität. Das trauen wir jungen Menschen zu! Darin wollen wir sie unterstützen!

Die deutsche Gesellschaft ist, dies zeigen die erhitzten Debatten rund um Fragen der Identität, verunsichert: Auf welchem Fundament erziehen wir junge Menschen heute an den Schulen? Kirchliche Schulen scheinen prädestiniert, hier Antwort zu geben. Sie haben ein klares Menschen- und Weltbild mit einem klaren Wertesystem. Und sie erheben seit jeher den Anspruch, jungen Menschen charakterliche Orientierung in Gemeinschaft zu geben. Aber ist auch drin, was draufsteht? Diese selbstkritische Frage stand am Anfang des Projektes "Sharing the Vision", welches das Zentrum für ignatianische Pädagogik (ZiP) gemeinsam mit neun ignatianisch geprägten Schulen in Deutschland und Österreich initiierte. Wie steht es um die Schulqualität? Wie sehen Eltern, Schüler und Lehrende das pädagogische Profil eingelöst? Wie gelingen also religiöse Erziehung und Persönlichkeitsbildung? Ziel war nicht nur eine einmalige Befragung. Ziel war die Entwicklung eines Instruments, mit dem diese Fragestellung auch in Zukunft und an anderen insbesondere kirchlichen Schulen untersucht werden kann. Alleine das benötigte mehrere Anläufe mit unterschiedlichen Partnern. Schließlich wurde das renommierte Sinus-Institut beauftragt.

In einer ersten, qualitativen Studie wurden an allen Schulstandorten Eltern, Schüler, Lehrende und Alumni, die vor zehn Jahren Abitur gemacht hatten, interviewt. Aus diesen Interviews wurde ein standardisierter Fragekatalog entwickelt. Schon da erfreuten die Rückmeldungen der ehemaligen Schülerinnen und Schüler: "Wir haben bei Euch denken gelernt", war eine charakteristische Rückmeldung. Ebenso eine im Vergleich zur Alterskohorte überdurchschnittliche Ansprechbarkeit für religiöse Fragen und ein hohes Bewusstsein für die eigene soziale Verantwortung.

Im zweiten, quantitativen Teil der Untersuchung wurden im Frühjahr 2017 an denselben Schulen 774 Eltern, 2.140 Schülerinnen und Schüler sowie 365 Lehrende befragt. 96% der Eltern gaben an, mit der Qualität der Schulbildung an der Schule ihrer Kinder überwiegend (23%) oder vollständig (73%) zufrieden zu sein. 89 % von Schülerinnen und Schülern sahen dies ebenso. Fast noch überraschender: Die Lehrenden waren ebenso zufrieden! Egal ob Stadt oder Land, so unterschiedlich die Schulen in der Zusammensetzung ihrer Schülerschaft und ihrer regionalen Lage in Österreich und Deutschland waren, das Bild, das sich inhaltlich ergab, war insgesamt ein sehr einheitliches. Offenbar prägt das gemeinsame Profil die Schulen tatsächlich wesentlich in der Wirksamkeit ihrer Pädagogik.

Zum Erfolg einer Studie zur Schulqualität gehört auch, dass sich klare Handlungsfelder abzeichnen, um die eigene Arbeit weiter zu reflektieren und zu verbessern. Die Studie zeigt, dass die Betroffenen in Charakterbildung und der Bildung sozialer Kompetenzen Stärken ignatianischer Schulen sehen, dass aber z.B. die religiöse Bildung einem tiefgreifenden Wandel unterliegt, welchem die Schulen noch nicht ausreichend Rechnung tragen. Dies ist ein Feld, auf dem sich die Schulen mit Unterstützung des Zentrums für ignatianische Pädagogik bereits aufgemacht haben, sich zu verändern. Denn nur an Schulen, die selbst "Lernende" bleiben, erleben junge Menschen Vorbilder, die ermutigen, Gewohntes zu hinterfragen und Freude am fortwährenden Wachstum in kritischer Reflexion und der Einübung persönlicher und bürgerlicher Tugenden zu finden.

So stößt die Studie "Sharing the Vision" eine Reflexion von Bildungsqualität an, die sich nicht erschöpft in Debatten über die Vermittlung von messbaren Lern-kompetenzen im Rechnen, Lesen und Schreiben. "Das ist seit langer Zeit die erste Studie innerhalb der katholischen Kirche Deutschlands, die aus einer Haltung der Gelassenheit und nicht aus einem Gefühl der Angst oder Not in Auftrag gegeben wurde. Heraus kam Stärke!" bewertet Professor Michael Ebertz von der Universität Freiburg die SINUS-Studie, der das Projekt wissenschaftlich begleitet hat.

Tobias Zimmermann SJ
(Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin)

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