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Spirituelle Ressourcen in der Corona-Pandemie

Nach zwei Jahren Corona-Pandemie sind die Menschen vor allem in den Krankenhäusern zunehmend zermürbt. Eine gute Kraft dem Stress entgegenzuwirken, kann Spiritualität sein. Der Arzt und Jesuit P. Eckhard Frick schaut sich an, wie genau Spiritualität helfen kann und hat dazu eine Umfrage gestartet.

Die Corona-Pandemie hat uns nun schon seit zwei Jahren im Griff, und wir wissen nicht, welchen Verlauf sie in der näheren Zukunft nehmen wird. Zwar haben wir gelernt, uns auf die individuellen und sozialen Konsequenzen der Pandemie einzustellen, und wir können vielleicht besser mit der bleibenden Ungewissheit umgehen. Aber die Pandemie hinterlässt Spuren, führt zu gesundheitlichen, familiären und beruflichen Belastungen.

Dies gilt in besonderer Weise für die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen, also in Pflege, Medizin, Psychotherapie und in den vielen anderen Berufen, die unser Gesundheitssystem aufrechterhalten und deshalb manchmal “systemrelevant“ genannt werden. Vor allem Mitarbeitende in der Intensiv- und Notfallmedizin sind täglich mit Herausforderungen konfrontiert, mit physischen, psychischen und spirituellen Belastungen, die sich auf die Individuen auswirken, aber auch auf die Teams, auf Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, auf die dort behandelten kranken Menschen und auf deren Angehörige. Das führt oft zu moralischen Konflikten: am bekanntesten ist das Triage-Problem, also die Frage, wer bei knappen Ressourcen zuerst und mit welchen Maßnahmen behandelt werden soll. Moralische Konflikte sind im Gesundheitswesen auch unabhängig von der gegenwärtigen Pandemie nichts Ungewöhnliches: Kann ich mein Handeln nach meinen Werten ausrichten? Kann ich diese Werte reflektieren, mit anderen diskutieren und dann gegebenenfalls zu einer Entscheidung gelangen, die für die behandelten Menschen gut ist und die ich selbst innerhalb meines Teams, vielleicht auch im Gespräch mit den betroffenen Angehörigen vertreten kann? „Moral Distress“ tritt auf, wenn eine Person eine bestimmte Handlung als richtig ansieht, aber von den Rahmenbedingungen daran gehindert wird, entsprechend ihrer moralischen Vorstellungen zu handeln. Demoralisierung kann sich in verringerter Arbeitszufriedenheit und innerer oder äußerer „Kündigung“ und sogar im Berufsausstieg manifestieren.

In den letzten Wochen haben wir eine überregionale Forschungsgruppe mit Fachleuten aus der Notfall-und Intensivmedizin gebildet, um die Belastungen der Mitarbeitenden zu erfassen, insbesondere die Belastungen durch Moral Distress: Moral Distress und spirituelle Ressourcen in der Intensiv-/Notfallmedizin (MD_INSpir). Viel zu oft werden die Pflegenden und die anderen Gesundheitsberufe in der Bewältigung dieser Belastungen alleingelassen. Gleichzeitig steigen die Anforderungen und Erwartungen, gerade an die Mitarbeitenden in Notfall- und Intensivmedizin. Von den Individuen wird erwartet, dass sie in hohem Maße “resilient“ sind, dass sie sich immer wieder erholen, Erschöpfung überwinden, stets freundlich und mit hoher Professionalität die ihnen anvertrauten Menschen versorgen und sich zuhause um ihre eigene Familie kümmern.

Die persönlichen Bedürfnisse der Mitarbeitenden und ihre Kraftquellen (Ressourcen) wurden bisher viel zu wenig beachtet. Derartige Ressourcen können z. B. in Freizeit, Urlaub, Sport bestehen, aber auch in Austausch, Beratung, gegenseitiger Unterstützung und nicht zuletzt in der eigenen spirituellen Suche. Unsere Forschungsgruppe möchte sowohl die Belastungen als auch die Ressourcen der Mitarbeitenden in Notfall-/Intensivmedizin besser verstehen und insbesondere helfen, die spirituellen Kraftquellen zu erschließen. Dies geschieht in einem ersten Schritt mit einer Online-Befragung und in einem zweiten mit persönlichen Gesprächen, die wir interessierten Personen anbieten.

Vielleicht arbeiten Sie selbst in der Notfall- oder Intensivmedizin. Dann würden wir gern mehr über Ihre Erfahrungen wissen. Oder Sie kennen Menschen aus diesen Bereichen. Dann bitten wir Sie, diesen Link weiterzugeben.

Autor:

Eckhard Frick SJ

Professor Dr. med. Eckhard Frick sj ist seit 1986 Jesuit. Er ist Facharzt für Psychiatrie und für Psychotherapeutische Medizin. Zur psychosomatischen Gesundheit der Seelsorgenden hat er 2015 bundesweit eine (qualitative) Interviewstudie koordiniert. Er lehrt Anthropologische Psychologie an der Hochschule für Philosophie und leitet die Forschungsstelle Spiritual Care am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. Er ist erster Vorsitzender der Internationalen Gesellschaft für Gesundheit und Spiritualität und Schriftleiter der Zeitschrift Spiritual Care.

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