Bild 1: Michaelsbund/mk-online

„Spreng den Knast in deinem Kopf“

In seinen Poetry Slam Texten kann P. Clemens Kascholke SJ frei formulieren, was ihn bewegt, ruhig auch mal provokant. Poetry Slam ist für ihn der Motor, der seine Gedanken in Bewegung bringt – gerade auch bei Glaubensthemen. Das wünscht er sich auch für alle, die seine Texte hören oder lesen. Im Interview erzählt Pater Kascholke, warum er beim Schreiben immer wieder von sich selbst überrascht wird.

Pater Kascholke, was ist Poetry Slam und was ist der Unterschied zu Preacher Slam?

Poetry Slam ist die seit einigen Jahren etablierte Kunstform des dichterischen Wettstreits. Man hat eine bestimmte Zeit, um einen selbstgeschriebenen Text ohne Requisiten zu präsentieren. Preacher Slam hat sich in den letzten Jahren etabliert, wenn Slam Poetry entweder in einer Kirche vorgetragen wird oder sich zumindest explizit religiösen Themen widmet. Auch wenn es der Titel „Preacher“, also Prediger, impliziert: Es müssen keine kirchlichen Hauptamtlichen sein, sondern es geht um den Inhalt. Und wichtig: Es bleibt ein Wettstreit. Denn es kommt auf die Qualität der Texte an, nicht nur darauf, dass sie besonders fromm oder so sind. Es geht darum, dass man die richtige Punchline hat und es schafft, an dem Abend den Nerv des Publikums zu treffen.

Ist es das, was Sie am Poetry und Preacher Slam fasziniert?

Ich finde, der Preacher Slam hat etwas super Direktes. Ich kenne das Predigen im Gottesdienst, aber das ist oft eine Einbahnkommunikation: Man ist vorne und erzählt, manchmal lachen die Leute oder schütteln immerhin mit dem Kopf. Aber sonst bleibt es doch eine einseitige Kommunikation. Poetry und Preacher Slam haben eine sehr direkte Rückmeldung, weil man das Mitgehen des Publikums viel direkter spürt. Man merkt sehr schnell, ob der Text gut angekommen ist oder nicht. Vielleicht hat man auch während eines Textes schon einmal einen Lacher oder einen kleinen Zwischenapplaus.

Für mich ganz persönlich ist es auch eine andere Rolle, in die ich schlüpfen kann. Wenn ich im Gottesdienst predige, hat das stärker etwas Offizielles. Bei einem Poetry oder Preacher Slam bin ich mehr Clemens, ich selbst. Natürlich streife ich nicht alles von mir ab, aber ich habe das Gefühl: Hier darf ich anders und freier, vielleicht auch ein bisschen provokanter manche Gedanken formulieren.

Wie sind Sie zum Preacher Slam gekommen?

Meine ersten Bewegungen habe ich im Poetry Slam gemacht und bin erst später zum Preacher Slam gekommen. Ich hatte schon länger kleine Texte und Gedichte geschrieben, irgendwann etwas von Poetry Slam gehört und mich informiert. Dann habe ich Freunden etwas davon erzählt, ihnen Texte zu lesen gegeben und eine Ermutigung bekommen. Ich habe mir gedacht: Komm, jetzt gehst du einmal zu so einem Poetry Slam mit offener Liste, trägst dich ein und probierst es einfach aus.

Was sind das für Themen, über die Sie schreiben?

Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal mache ich mir in den Texten über offensichtlich christliche Themen Gedanken. Zum Beispiel habe ich einen Text darüber geschrieben, wie das Christentum mit der Frage nach Schuld und Sünde umgeht – durchaus als theologische Reflexion. Aber auch eine Sitzplatzreservierung im Zug war schon ein Auslöser für mich, weil ich gesehen habe: „Gegebenenfalls reserviert“. Ich dachte mir: Jeder Sitz ist gegebenenfalls reserviert, also warum steht das dort? Das war für mich der Grund, über Sitzplätze des Lebens zu reflektieren, ob die reserviert sind oder nicht. Es gibt eigentlich nichts, was nicht für einen Text Anlass bieten könnte, wenn man lange genug hinschaut.

Sitzplätze des Lebens – was gibt es Ihnen, über solche Themen zu schreiben?

Es ist eine Zeit für mich, hier bin ich ganz für mich. Ich schreibe immer analog und habe ein kleines Buch – mittlerweile sind es mehrere –, in dem ich die ersten Entwürfe von Texten schreibe. Manchmal sind es zwei, drei Zeilen, manchmal fließt es schon so, dass eine ganze Seite vollgeschrieben ist. Dann bleibt der Text ein bisschen liegen und es gibt eine Überarbeitung, die etwas Komponierendes hat: Wie möchte ich das strukturieren? Wo kann ich nochmal hinschauen? Kriege ich ein besseres Wort oder einen Reim? Vielleicht vereinfache oder verkompliziere ich den Text ein bisschen.

Es ist ganz interessant: Es kann mir passieren, dass ich in einen Schreibflow komme und von mir selbst überrascht werde, welche Gedanken in mir sind. Wenn ich mich vorher gefragt hätte, wie ich das aufschreiben könnte, wäre ich vielleicht nie auf diese Gedanken gekommen, aber sie zeigen sich dann im Schreiben.

Das geht ja fast in Richtung Mystik. Kommen so auch Glaubensthemen in Ihre Texte rein?

Im Poetry Slam kann ich meinem Ringen mit dem Glauben Platz geben. Es hat auch etwas von Selbstvergewisserung. Bei Exerzitien oder wenn ich Tagebuch schreibe ist es wie ein nochmaliges Durchkauen dessen, was mir an Gedanken und Gefühlen gekommen ist. Das fixiere ich dann.

Wenn Sie es aufgeschrieben haben, was machen Sie dann mit Ihren Texten? Werden sie auch vorgetragen?

Im Moment ist das Vortragen durch Umzüge und Corona ein bisschen eingeschlafen. Aber ich habe Poetry Slam häufiger im Unterricht in der Schule am Aloisiuskolleg in Bonn angewandt. In Deutsch, beim kreativen Schreiben oder in einem Gottesdienst an der Schule habe ich immer wieder selber Texte geschrieben und vorgetragen, denn als Lehrer muss man mit gutem Beispiel vorangehen, wenn man die Schülerinnen und Schüler zu kreativem Arbeiten animieren möchte.

Neben Ihren Schülerinnen und Schülern: Wen möchten Sie durch Ihre Texte erreichen?

Ganz banal gesagt: Erstmal mich selbst. Ich arbeite mich an Themen erst einmal selber ab. Ich habe – in Anführungsstrichen – einen Künstlernamen und darunter meine Texte auf meinem Blog veröffentlicht, die ich auf einem Poetry oder Preacher Slam gesprochen habe. Ich habe den Namen „Knastsprenger“ gewählt, weil ich in München ein Graffito gesehen habe: „Spreng den Knast in deinem Kopf“. Das war für mich das Initial, zu sagen: Darum geht es mir. Den Knast in meinem Kopf sprengen, um so meine Gedanken in neue Bewegungen zu kriegen. Letztlich ist es das, was ich bei anderen Menschen erreichen möchte: eine Sache aus einem anderen Blickwinkel anzuschauen. Wenn man es biblisch nimmt: Wovon das Herz voll ist, darf der Mund übergehen.

Video von Pater Kascholke beim Poetry-Slam „Holy Shit! Was ist dir heilig?“ 2017 auf YouTube.

Newsletter

Das Magazin „Jesuiten“ erscheint mit Ausgaben für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Bitte wählen Sie Ihre Region aus:

×
- ×