Synodaler Weg – aber geistlich

„Um die Bastionen des Klerikalismus zu schleifen, müssen die Bischöfe in einem klerikalen Machtakt entscheiden, ihre klerikale Macht zu suspendieren.“ Stefan Kiechle SJ geht in seinem Editorial in der aktuellen Mai-Ausgabe der „Stimmen der Zeit“ der Frage nach, wie die deutschen Bischöfe den „verbindlichen synodalen Weg“ ausgestalten können, den sie als Reaktion auf die Kirchenkrise auf der Frühjahrsvollersammlung in Lingen beschlossen haben: „Etwas anarchisch müssen sie werden, und dazu brauchen sie Mut und Kraft.“

Angesichts der dramatischen und an den Fundamenten rüttelnden Kirchenkrise beschloss die Deutsche Bischofskonferenz auf ihrer Frühjahrsvollversammlung, mit der Kirche einen „verbindlichen synodalen Weg“ zu gehen. Dieser soll drängende Fragen angehen, die Kirche erneuern, verlorenes Vertrauen wiederherstellen.

Eher unklar bleibt bisher, was die Bischöfe unter diesem Weg verstehen: Er ist weder „Synode“ – man scheute wohl dieses heikle Instrument, weil es sich kirchenpolitisch kaum durchsetzen ließe – noch „Gesprächsprozess“, wie er 2011 bis 2015 mit großen Erwartungen angegangen wurde, aber doch im Sand verlief. Die Weg-Metapher ist weit und hält das Vorhaben eher unverbindlich, andererseits will der Zusatz „verbindlich“ doch alle, die teilnehmen, an die Ergebnisse binden. „Synodal“ meint wohl eine breite Partizipation aller kirchlichen Kräfte – ausdrücklich wird das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken als Partner angesprochen. Wogegen besonders vorgegangen werden soll, ist der sogenannte Klerikalismus: Nach ihm beanspruchen männlich-zölibatäre Amtsträger, aufgrund ihrer Weihe einen höheren Rang und alle Macht in Händen zu halten. Weltweit haben die Skandale der letzten Jahre gezeigt, dass dieses System bis in die Spitzen der Hierarchie hinein von Korruption befallen ist und damit sich selbst desavouiert hat, nicht nur in der Glaubwürdigkeit, sondern auch im Funktionieren. Wie soll das gehen: ein verbindlicher synodaler Weg, der nicht klerikal ist? Was ist er sonst? Vermutlich soll er geistlich sein, denn dies ist die Grundforderung an kirchliche Wege dieser Art.

Nicht klerikal: Um die Bastionen des Klerikalismus zu schleifen, müssen die Bischöfe vor Beginn in einem klerikalen Machtakt entscheiden, ihre klerikale Macht zu suspendieren. Denn würden sie sich vorbehalten, die Ergebnisse des synodalen Wegs nach dessen Ende zu approbieren – noch dazu jeder einzeln für sein Bistum –, wäre der Prozess von vornherein klerikal dominiert und damit gestört. Aber: Geht das nach dem geltenden Kirchenrecht? Kann ein Bischof – und wenn ja, wie weit – seine Verantwortung für sein Bistum suspendieren? Braucht es dazu nicht eine neue Ekklesiologie? Ist das dann nicht doch eine „Synode“? Was würde Rom sagen – die Weltkirche tickt bekanntlich langsam? Schon schreien die besonders Rechtgläubigen auf, hier sei Häresie-Gefahr im Verzug. Aber wenn nicht vor Beginn im Setting, in der Methode und in der Entscheidungsstruktur des Prozesses die Bastionen geschleift sind, bleibt es beim unverbindlichen Gesprächs- oder Beratungsprozess, denn am Ende darf sich jeder Bischof herausstehlen, indem er sagt, er könne aus seinem Gewissen heraus oder wegen der Lehre der Kirche die Ergebnisse nicht umsetzen. Etwas anarchisch müssen sie werden, die Bischöfe, und dazu brauchen sie Mut und Kraft.

Aber geistlich: Der Geist wirkt in den Gliedern wie in den Häuptern der Kirche. Wenn er in allen wirkt, soll man auf alle hören, und alle entscheiden mit – nach der Benediktsregel soll der Konvent besonders auf den jüngsten Mönch hören. Wenn auch „Laien“ (das Volk Gottes) mitentscheiden, sollte man dann nicht das in der Kirche verfemte Wort „demokratisch“ (das Volk regiert) rehabilitieren, auf Kosten von „hierarchisch“? Oder einfach „geistgewirkt“ sagen – und der Geist weht, wo und in wem und wie er will? Und braucht es, damit der Geist wirken kann, für diesen synodalen Weg nicht einen Jugend-, einen Frauen- und einen Laien-Proporz?

Ein geistlicher Prozess setzt voraus, dass alle, die teilnehmen, indifferent hineingehen; dieses Schlüsselwort ignatianischer Spiritualität meint zunächst ergebnisoffen, aber tiefer noch: von persönlichen Vorlieben, Vorurteilen, Vorfestlegungen so frei, dass man ganz auf den Geist hören kann, der vielleicht ganz Neues wirken will. Ein solcher Prozess muss abgeschirmt stattfinden, damit er nicht schon im Ansatz von Lobbyisten, Machtkämpfern und doktrinären Struktur-Bewahrern manipuliert wird – diese sind ja nicht indifferent und wollen es nicht sein. Vetorechte darf es keine geben. „Geistlicher Prozess“ bedeutet auch, dass alle Beteiligten mit Freimut und Ehrlichkeit auf die „Regungen“ achten, also auf geistliche Gedanken, Gefühle und Stimmungen, und dass sie durch die Unterscheidung von Trost und Trostlosigkeit entdecken, wohin der Geist sie führt. Geistlich ist ein Prozess dann, wenn geistliche Menschen dominieren, nicht Kanonisten, Verwalter oder Doktrinäre. Diese sind ja auch dann, wenn sie gut arbeiten, strukturkonservativ; also neigen sie dazu, dem Geist vorzuschreiben, was „geht“ und was „nicht geht“. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, für Projekte, die der Geist neu wirkt, die passenden Rahmen zu schaffen, und diese sind vielleicht auch rechtlich, organisatorisch und theologisch neu. Gegen die Ängste der professionellen Bewahrer braucht es anarchisch-spirituelle Räume – neue Ordnung wird schnell genug wieder Einzug halten.

Bahnt sich nach den Erschütterungen dieser Jahre ein Kairos an? Hoffen wir, dass die Kirche in Deutschland den Mut und die Kraft hat, sich verbindlich vom Geist den synodalen Weg führen zu lassen.

Autor:

Stefan Kiechle SJ

Pater Stefan Kiechle SJ ist 1982 in den Jesuitenorden eingetreten und wurde 1989 zum Priester geweiht. Er war von 1998 bis 2007 Novizenmeister und hat in verschiedenen Aufgaben in der Hochschulseelsorge und Exerzitienbegleitung gearbeitet. Von 2010 bis 2017 war er Provinzial der Deutschen Provinz der Jesuiten. Er ist Delegat für Ignatianische Spiritualität und Chefredakteur der Kulturzeitschrift "Stimmen der Zeit".

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