Die zweite Session der Weltsynode ging zu Ende, wie sie begonnen hat: mit einer Überraschung. Nach zwei den Sitzungen vorgeschalteten Einkehrtagen überraschte Papst Franziskus mit der Ankündigung einer Bußvigil im Petersdom am 1. Oktober. Und am Abend vor dem Schlussgottesdienst kündigte er in einem Grußwort an, dass er auf ein Nachsynodales Schreiben verzichten werde („es reicht das, was wir approbiert haben“). Kann man das, wie geschehen, sofort wieder kleinreden und für bedeutungslos oder reine Symbolpolitik erklären?
Auf dem Weg zur Kultur einer synodalen Kirche
Bei dem Bußritus am 1. Oktober sprachen sieben Kardinäle auf Bitten des Papstes (in Anlehnung an das „Mea Culpa“ im Heiligen Jahr 2000 über Fehler und Versäumnisse der Kirche). Der neue Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre, Víctor Manuel Fernández, sagte dabei: „Ich bitte um Vergebung und schäme mich für all die Zeiten, in denen wir in der Kirche, besonders wir Priester, die wir mit der Aufgabe betraut sind, unsere Brüder und Schwestern im Glauben zu bestärken, nicht in der Lage waren, das Evangelium als lebendige Quelle der ewigen Neuheit zu bewahren und vorzuschlagen, indem wir es ,indoktrinierten‘ und riskierten, es zu einem Berg toter Steine zu machen, die man auf andere wirft.“
Der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn OP, ein alter "Synodenfuchs“, bekannte unter anderem: „Ich bitte um Vergebung und schäme mich dafür, dass wir Autorität in Macht umgewandelt und Pluralität erstickt haben, dass wir nicht auf die Menschen gehört haben, dass wir es vielen Brüdern und Schwestern schwergemacht haben, an der Sendung der Kirche teilzuhaben“. Man habe vergessen, „dass wir alle in der Geschichte berufen sind, durch den Glauben an Christus lebendige Steine des einen Tempels des Heiligen Geistes zu werden“.
Das ist der Geist des weltweiten synodalen Prozesses, auf den der Papst die Kirche geschickt hat! Das ist der Geist von Synodalität – die neue Kultur, die Franziskus für die Kirche des 21. Jahrhunderts vorschwebt! Ein Lernprozess gewiss, der andauert, der noch viele kleine und große Schritte braucht. Nach dem designierten Kardinal Jaime Spengler (Brasilien) steht die Kirche damit erst am Anfang.
Der päpstliche Verzicht: Franziskus solidarisiert sich
Und nun der überraschende Paukenschlag: Der Papst verzichtet auf ein eigenes Nachsynodales Schreiben. Es wäre fürs Frühjahr 2025 zu erwarten gewesen – verbunden mit der Frage: Was macht der Papst aus dem, was auf der Synode beraten wurde? Er hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass das Instrument Synode ein Beratungs-, keine Entscheidungsorgan ist. Jetzt sagte er: Ich stelle mich voll und ganz hinter das Abschlussdokument, das bis dato nur auf Italienisch und in einer englischen Arbeitsübersetzung vorliegt.
Mit Bezugnahme auf ein Gedicht von Madeleine Delbrêl, der „Mystikerin der Peripherien“, die mahnte: „Vor allem, seid nicht starr“, stellt er fest: „Diese Verse können die Hintergrundmusik sein, mit der wir das Schlussdokument aufnehmen. Und jetzt, im Lichte dessen, was auf dem synodalen Weg herausgekommen ist, gibt es und wird es Entscheidungen geben, die getroffen werden müssen. In dieser Zeit der Kriege müssen wir Zeugen des Friedens sein, auch indem wir lernen, dem Miteinander der Unterschiede eine reale Form zu geben. Aus diesem Grund beabsichtige ich nicht, ein ,apostolisches Schreiben‘ zu veröffentlichen, es reicht das, was wir approbiert haben. Das Dokument enthält bereits sehr konkrete Hinweise, die eine Orientierungshilfe für die Mission der Kirchen auf den verschiedenen Kontinenten und in den unterschiedlichen Kontexten sein können: Deshalb stelle ich es allen sofort zur Verfügung, deshalb habe ich gesagt, dass es veröffentlicht werden soll. Ich möchte auf diese Weise den Wert des abgeschlossenen synodalen Weges anerkennen, den ich mit diesem Dokument dem heiligen und gläubigen Volk Gottes übergebe.“
Damit solidarisiert sich Franziskus mit dem Abschlussdokument.
Negativbilanzen
Die einen werteten das als Sensation. Andere winkten umgehend ab. Der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke, der schon dem Synodalen Weg in Deutschland „Partizipationssimulation“ vorwarf, meinte: „Der Papst hat die Publikation des Textes erlaubt. Er hat die Inhalte nicht approbiert.“ Er sieht im Abschlussdokument keinen Durchbruch: „Die Laien haben nicht bemerkt, dass sie einem komplett stände- und geschlechterhierarchischen und heteronormativen Dokument zugestimmt haben.“ In dasselbe Horn bläst der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller: Die Synode habe nichts gebracht, der Papst habe neue Denkverbote aufgestellt und entscheide am Ende des Tages allein als absoluter Monarch.
Positive Stimmen
Dem stelle ich andere Einschätzungen entgegen.
1. Der Bochumer Neutestamentler Thomas Söding, der als „Experte“ in Rom dabei war, zog im Interview eine positive Bilanz: „Die katholische Kirche ist eine Kirche mit dem Papst, das ist richtig. Ich will aber die Gegenthese wagen, das es ohne den Papst keine Synode gegeben hätte. Zu den Zukunftsaufgaben gehört sicherlich eine synodale Einbindung des Papstamtes ins Gefüge der Kirche. Da hat es bei der Synode erste Anzeichen gegeben, aber noch keine klare Veränderung. Durch seine häufige Anwesenheit hat Franziskus der Synode gegenüber bereits seinen Respekt gezeigt. Er hat sie durch seinen Verzicht auf ein eigenes Schreiben gestärkt: Er hat sich zu eigen gemacht, was die Synodenmitglieder mit großer Mehrheit abgestimmt haben. Die beiden Hauptthemen der Synode, Dezentralisierung und Partizipation, liegen Franziskus am Herzen.“
Söding hat bereits an vier Synoden teilgenommen. Er weiß deshalb, worauf es jetzt ankommt: „Die Synode endet und die Synodalität beginnt. In den Ortskirchen müssen nun die Impulse der Synode aufgenommen werden.“
2. Auch die Linzer Pastoraltheologin und Synodenberaterin Klara-Antonia Csiszar – sie gehörte erneut dem Kreis der etwa 70 nicht stimmberechtigten Expertinnen und Experten an – sieht die Entwicklung positiv. Sie spricht sogar von einer „neuen Ära für die Weltkirche“: Das Abschlussdokument sei ein „Gamechanger“ für die Kirche und stelle die Weichen eines „synodalen Miteinanders“, indem es dem aus der Synode eingeübten Prinzip „hören, unterscheiden, entscheiden“ eine wichtige Rolle zuschreibe: „Jetzt müssen die Ortskirchen, vielleicht auch die Bischofskonferenzen, jeweils nach Hause gehen und sehen: Wie kann Synodalität in der jeweiligen Ortskirche als neuer Stil der Kirche gelernt werden?“
3. Und ich erinnere an den designierten Kardinal und Synodenprediger Timothy Radcliffe, den ehemaligen Generalmagister des Dominikanerordens: Er warnte vor der Veröffentlichung des Abschlussdokuments in einer Pressekonferenz davor, dieses nur auf einschlägige Schlag- und Reizworte abzugrasen: „Der springende Punkt sind nicht dramatische Beschlüsse, sondern eine neue Art und Weise, Kirche zu sein.“
Ein neues Hören hat eingesetzt
Noch andere Stimmen könnten angeführt werden. Das Grußwort vom Synodenende des Papstes beginnt mit der Beobachtung: „Mit dem Schlussdokument haben wir die Früchte von Jahren, mindestens drei Jahren, gesammelt, in denen wir dem Volk Gottes zugehört haben, um besser zu verstehen, wie wir in dieser Zeit eine ,synodale Kirche‘ sein können – das ist das Hören auf den Heiligen Geist. (…) Auch der Bischof von Rom, das rufe ich mir, häufig, und euch ins Gedächtnis, muss sich im Zuhören üben, oder besser gesagt, will sich im Zuhören üben, um auf das Wort antworten zu können, das ihm jeden Tag aufs Neue sagt: ,Stärke deine Brüder und deine Schwestern ... Weide meine Schafe‘. (…) Wir kommen aus allen Teilen der Welt, die von Gewalt, Armut und Gleichgültigkeit geprägt sind. Gemeinsam, mit der Hoffnung, die nicht enttäuscht, vereint in der Liebe Gottes, die in unsere Herzen eingegossen ist, können wir nicht nur vom Frieden träumen, sondern uns mit all unserer Kraft dafür einsetzen, dass, vielleicht ohne so viel über Synodalität zu reden, sich durch Prozesse des Zuhörens, des Dialogs und der Versöhnung Frieden einstellt. Für die synodale Kirche für die Mission ist es notwendig, dass das gemeinsam Besprochene mit Taten einhergeht. Und dies ist der Weg. (…) Und denkt daran – das sind noch einmal Worte von Madeleine Delbrêl – dass ,es Orte gibt, an denen der Geist weht, aber es gibt einen Geist, der an allen Orten weht‘.“
Baut das nicht auf? In seiner kurzen Predigt zum Abschluss der Synode tags darauf warnte Franziskus davor, eine „sitzende Kirche“ zu sein, „die sich fast ohne es zu bemerken aus dem Leben zurückzieht und sich selbst an die Ränder der Wirklichkeit verbannt“. „Wir brauchen keine Kirche“, so der Papst, „die sitzen bleibt und aufgibt, sondern eine Kirche, die das laute Rufen der Welt aufnimmt und – ich will es sagen, und vielleicht werden sich einige empören – eine Kirche, die sich die Hände schmutzig macht, um dem Herrn zu dienen. (…) Brüder und Schwestern: nicht eine sitzende Kirche, eine stehende Kirche. Keine stille Kirche, eine Kirche, die den Schrei der Menschen hört. Nicht eine blinde Kirche, sondern eine von Christus erleuchtete Kirche, die den anderen das Licht des Evangeliums bringt. Nicht eine statische Kirche, eine missionarische Kirche, die mit dem Herrn auf den Straßen der Welt unterwegs ist.“
Manchmal habe ich den Eindruck, dieser Papst werbe mit Händen und Füßen für eine dienende, die Menschen begleitende Kirche – und er erntet umgehend Kritik, wenn er nicht umgehend Entscheidungen im Sinne der Radikalreformer trifft. Es stimmt: Einige „heiße Eisen“ wurden ausgelagert in Arbeitsgruppen, die bis Mitte 2025 tagen. Frauendiakonat, Priesterweihe für Frauen – mehrere Bischöfe haben von „offenen Türen“ gesprochen. Andere sträuben sich mit Berufung auf die „Tradition“ strikt gegen solche Optionen. Was soll, was kann ein Papst dann machen?
Synodalität einüben: Geburtshelfer werden!
Von einer „Gruppentherapie für die Kirche“ war die Rede. Synodalität ist in meinen Augen die Innovation für die Zukunft der Kirche – und sie ist auch das geistliche wie das theologische Vermächtnis dieses Papstes. Auch die anderen Narrative stehen – und graben sich ein wie bei einem Stellungskrieg: Beteiligungssimulation, ein weiterer Debattierclub ohne rechtliche Folgen, Alibi-Show etc. Ach du meine Güte! Warum tun sich viele nach wie vor so schwer einzusehen, dass die Kirche sich ändern muss? Nicht unbedingt in ihren Grundlagen. Aber in ihren Methoden. „Gemeinsam“ sind wir unterwegs: Papst, Kardinäle, Bischöfe, Ordensleute, Christinnen und Christen. Dass Bischöfe kein Prius haben, nichts Besseres sind qua Weihe, genauso wenig wie Priester – das dürfte sich herumgesprochen haben. Alles andere wäre lächerlich. Aber wer glaubt’s? Und wer zieht welche Konsequenzen daraus?
Wir sind auf einem Lernweg: Wie geht das – Ungleichzeitigkeiten aushalten, damit leben, dass die einen dies, die anderen jenes favorisieren, dass die einen etwas ultimativ fordern, was andere kategorisch ablehnen? Kritik an Versuchen, neue Tabus zu errichten, mit Phrasen oder Bibelzitaten Sorgen platt zu walzen, zu spiritualisieren, wo es um Machtgehabe geht, finde ich völlig legitim. Aber wie wir Kritik anbringen, ob wir uns einbringen und wie – auch daran lässt sich etwas erkennen! Transparenz wurde gefordert – und gibt es! Rechenschaftspflicht für Bischöfe wurde gefordert – und wird es geben! Ist denn die Bilanz der Synode wirklich so mager, wie manche stur behaupten? Wir sind Zeugen eines neuen Stils von Kirchesein. Was sich jetzt vor Ort weiter entwickeln muss, auf allen Ebenen, ist ein neuer synodaler Stil, eine synodale Kultur – die auch auf Widerstand stoßen wird. Dabei braucht es auch Theologinnen und Theologen, die nach Klara-Antonia Csiszar „Geburtshelfer von synodaler Kirche“ sein wollen und können.
Mein Mitbruder Clemens Blattert war die gesamte Zeit in Rom dabei: als Moderator („Faciliatore“) zweier Gruppen an den berühmten runden Tischen. Er meinte in einem Interview: „Es ist jetzt schon ein wahnsinniges Ergebnis da, nämlich die Erfahrung dieser Synode oder dieses synodalen Prozesses. Es hat schon etwas verändert in der katholischen Kirche. Das hat schon etwas geöffnet. Das hat auch Bischöfen die Augen geöffnet, was sie alles schon jetzt eigentlich tun können und gar nicht warten müssen auf Kirchenrechtsveränderungen usw.“
Wie mittlerweile der Verzicht auf ein eigenes Nachsyndodales Schreiben zeigt, wird das der Papst nicht im Alleingang tun! Spannend wird und abzuwarten bleibt, was bei den zehn Arbeitsgruppen herauskommt, die dem Papst bis Mitte 2025 konkrete Vorschläge machen sollen.
Der Wiener Dogmatikprofessor Jan-Heiner Tück („Synode ohne Schlussakkord“) hält den Verzicht auf ein Nachsynodales Schreiben für einen „Fehler“: „Papst Franziskus hat entschieden, nicht zu entscheiden. Das Abschlussdokument, das die Arbeit des mehrjährigen synodalen Prozesses bündelt und als Entscheidungsvorlage für den Papst konzipiert war, erhält umgehend päpstliche Rückendeckung. So hat es der Papst bei der Abschlussansprache zugesichert. Der synodale Prozess und seine offenen Agenden erhalten damit ein pontifikales Gütesiegel, ohne dass Franziskus noch einmal sichtet und sondiert, um finale Punktsetzungen vorzunehmen. Das sei großartig, ja, eine Sensation, ist allseits zu hören. Ich zögere. Die Punktsetzung ist, dass es keine Punktsetzung gibt. Zumindest jetzt nicht. Das Ende soll der Anfang sein. Die Synode ist aus, es lebe die Synodalität. So will es der Papst.“
Schlägt mit dieser Entscheidung des Papstes nicht auch ein anderes Verständnis durch, das ein Ergebnis der Synode über Synodalität ist: Das letzte Wort hat nicht allein der Papst, sondern das Volk Gottes bzw. deren repräsentative Vertreterinnen und Vertreter? „Top oder Flop?“ – das ist die Frage. „Sie bewegt sich doch“, nannte Annette Zoch am 28. Oktober 2024 ihren Kommentar in der Süddeutschen Zeitung. Immerhin!
Von P. Andreas Batlogg SJ