Ich war damals zwölf Jahre alt. Ziemlich genau drei Jahre zuvor war die fünfköpfige Familie von Clausthal-Zellerfeld, der dritten Station nach unserer Flucht aus meiner Geburtsstadt an der tschechisch-polnischen Grenze, nach Thannhausen im Bayerischen Schwaben gezogen. Wir drei Jungen lernten schnell den schwäbischen Dialekt und konnten deshalb unseren Eltern kompetent erklären, dass "Huraflüchtling" kein wirklich schlimmes Schimpfwort sei.
Fußballspielen war bei gutem Wetter unsere Lieblingsbetätigung. Ich war seit zwei Jahren in Augsburg im Internat und spielte fast täglich zweimal Fußball: auf dem staubigen Hof vor dem Herkulesbrunnen am Eingang, gleich nach dem Mittagessen und zwischen den beiden Studierzeiten, in Straußenschuhen, ohne uns eigens umzuziehen. Das tägliche Fußballspielen war die Hauptmedizin gegen das Heimweh, das einen 12-jährigen doch immer wieder beschlich.
An diesem Wochenende durfte ich nach Hause fahren - was damals nur alle 3 - 4 Wochen erlaubt wurde. Immerhin hatte meine Mutter am Samstag, den 3. Juli, Geburtstag. Von den großen Fußball-Clubs und ihren Matadoren hatte ich nur wenig gehört - Einklebebildchen habe ich erst zur Sommerolympiade 1956 in Melbourne gesammelt, und zwar von den Nationalflaggen, nicht von den Sportlern. An Fußball-Clubs konnte ich den von Kaiserslautern, von Hamburg, Nürnberg und natürlich den FC Schwaben (später FC Augsburg) aufzählen.
Aber jetzt war da jemand, der an diesem Sonntag Nachmittag im Radio vom Toni Turek jubelte: und der Toni hält und hält und hält! Der Schrecken einjagende Ungarnstürmer hatte kurz davor, es war inzwischen Verlängerung, vergeblich versucht, den Ball in Tonis Kasten zu landen. Und jetzt unser Rahn: er dreht sich und schießt - Tor, Tor, Tor! Noch drei Minuten, dann ist Abpfiff! Deutschland ist Weltmeister!