• Synodalversammlung des Synodalen Weges im Februar 2022 in Frankfurt/M. © Max von Lachner
  • Dennis Dobbelstein ist der aktuelle Weltpräsident der GCL (CVX-CLC).
  • Dennis Dobbelstein im Gespräch mit der GCL in Šiluva/Litauen.
  • Dennis Dobbelstein ist der aktuelle Weltpräsident der GCL (CVX-CLC).
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Unterscheidung: Geduldiges Erwarten einer Entscheidung

Geistliche Unterscheidung in Gemeinschaft ist ein geistlicher Prozess, um den Willen Gottes im Leben einer Gemeinschaft zu erkennen. Papst Franziskus spricht immer wieder von der Bedeutung der gemeinschaftlichen Unterscheidung für die ganze Kirche, insbesondere beim weltweiten synodalen Prozess. Denis Dobbelstein ist der Welt-Präsident der Gemeinschaft Christlichen Lebens (GCL). Bei seinem Besuch in Litauen vom 20. bis 22. Mai haben wir mit ihm über die gemeinsame Entscheidungspraxis in der GCL gesprochen.

Wie funktioniert Unterscheidung in Gemeinschaft in der GCL?

Es gibt zwei Arten der Unterscheidung in Gemeinschaft. Eine davon ist, wenn ein Mitglied der Gruppe ein persönliches Anliegen hat. Die Unterscheidung kann in drei Runden des geistlichen Gesprächs vorgenommen werden. In der ersten Runde teilen die Gruppenmitglieder ihre wichtigsten Erfahrungen der letzten Wochen mit. Sie versuchen zu erkennen, wann und wo Gott auf sie gewartet hat. Dies ist nicht immer offensichtlich. Manchmal spürt man etwas Wichtiges und man ahnt, dass eine Entscheidung notwendig ist. Wenn aus der ersten Runde hervorgeht, dass ein Mitglied Unterstützung braucht, kann die zweite Runde sehr hilfreich sein.

Wenn der Austausch zwischen den langjährigen Mitgliedern einer Gruppe stattfindet, die treu auf einem gemeinsamen Glaubensweg unterwegs sind, hat man untereinander gegenseitiges Vertrauen. Daher können sie sich in der zweiten Runde gegenseitig an den persönlichen geistlichen Weg erinnern und so gegenseitig helfen, die eigenen Sehnsüchte zu benennen. Manchmal finden andere Mitglieder passendere Worte für meine Erfahrungen und können mir eine andere Sichtweise auf meine Bedenken eröffnen.

Was braucht es für eine gute Unterscheidung in Gemeinschaft?

Man muss gut verstehen, über was entschieden wird, und dabei für mehrere Alternativen offen sein. Dabei ist die Unterstützung der Gruppe besonders wertvoll. Die zweite Austauschrunde bedeutet nicht, dass ich mehr Meinungen höre und dadurch meine Frage besser beantworten kann. Es ist sinnvoll, auf die Dynamik der Gruppe zu vertrauen. Es ist ein langsamer und geduldiger Prozess, in dem das Verständnis schrittweise verbessert wird. Es ist wichtig, die Freiheit desjenigen zu respektieren, der die Unterscheidung unternimmt. 

In der dritten Gesprächsrunde versucht jede Person herauszufinden, wie sich die eigene Perspektive verändert hat. Mit der Erfahrung der Gegenwart Jesu kann sich die alltägliche Wahrnehmung anderer Menschen oder von Herausforderungen vollständig ändern.

Wo ist sonst noch Unterscheidung in Gemeinschaft möglich?

Eine weitere Möglichkeit der Unterscheidung bezieht sich auf ein gemeinschaftliches Anliegen und auf die Herausforderungen in der Gemeinschaft oder Gruppe, sogar in der Kirche. Gemeinsam betrachtet man die Realität und die Schwierigkeiten und vertraut dem gemeinsamen Verständnis einer Gemeinschaft und nicht nur auf den intelligentesten Verstandesargumenten der Einzelnen.

Was sind dabei die Herausforderungen?

Wenn man sich auf den Prozess einer Unterscheidung in Gemeinschaft einlässt, braucht man Mut, Geduld, gegenseitigen Respekt und Vertrauen, dass die Gruppe versucht, dem Heiligen Geist zuzuhören. Die Gruppe ist nicht nur eine Versammlung von Einzelpersonen, sondern agiert selbst wie eine Person, die auf den Heiligen Geist hört.

Notwendig ist eine klare Methode, um mögliche Spannungen oder die Dominanz einzelner Personen, den Missbrauch der Methode oder der eigenen moralischen Autorität zu vermeiden.

Eine der Grundvoraussetzungen für eine gute Unterscheidung in Gemeinschaft ist, sind Begleiter*innen, die an der Entscheidungsfindung nicht beteiligt sind. Sie sind nicht für das Ergebnis, sondern für die Qualität des Prozesses verantwortlich. Man braucht Menschen, die im Glauben verwurzelt und in Herz und Verstand frei sind, die Bewegungen des Heiligen Geistes in der Gruppe zu erkennen. Dies ist eine große Verantwortung. Die Personen, die fähig sind, den Unterscheidungsprozess zu begleiten, sind für die Zukunft der GCL und, ich glaube, der gesamten Kirche, sehr wichtig.

Erzählen Sie uns ein Beispiel aus Ihrer Erfahrung…

Kürzlich haben wir im GCL-Weltvorstand die kommende GCL-Weltversammlung 2023 vorbereitet, wo Leitlinien für die ganze Gemeinschaft erörtert werden. Es war eine enorme Aufgabe: einmal vorauszusehen, was in der Zukunft geschehen könnte, gleichzeitig zu träumen, aber auch für Gottes Überraschungen offen zu bleiben. Es war ein langer Prozess.

Zehn Mitglieder des Vorstandes aus verschiedenen Kulturen und Regionen der Welt erlebten eine Übereinstimmung in den Grundanliegen und tauschten sich über ihre Vermutungen aus. Danach folgte eine mehrmonatige Pause für das Gebet zu diesem Anliegen. Natürlich hätten wir viel einfacher ein attraktives Thema für die Versammlung formulieren können. Aber wichtiger war uns, die tiefe innere Sehnsucht zu erkennen.

Unterscheidung in Gemeinschaft erfordert Demut, denn man kann sich nie ganz sicher sein, was passieren wird. Jedes Mitglied erlebt die Gemeinschaft anders. Sie stehen vor unterschiedlichen Herausforderungen. Es braucht Zeit, einander zuzuhören, zu verstehen, woher eine bestimmte Vermutung kommt, und dann die eigene Vermutung zu erkennen und zu prüfen: Ist sie universell? Ist das relevant?

Als wir später zu unseren Vermutungen zurückgekommen sind, waren einige scheinbar großartige Ideen plötzlich weniger relevant geworden. So kamen wir allmählich zu einem gemeinsamen Verständnis über das gemeinsame Thema der Versammlung. Es ist ein Geheimnis. Das Gebet und der Austausch über die Früchte des Gebets sind keine Garantie, die Stimme des Geistes zu hören, aber sie erhöhen die Chancen. Und dies ist ein Akt des Glaubens.

Das Interview führte Rasa Darbutaitė in Vilnius.

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