• Bild: Wikipedia
  • Simplicissimus Ausgabe von April 1912
1 / 2

Vor 150 Jahren erließ Bismarck das Jesuitengesetz

Als Speerspitze des romtreuen Katholizismus waren die Jesuiten dem preußisch regierten Reich ein Dorn im Auge. 1872 verbannte Reichskanzler Bismarck den Orden aus Deutschland. Ein Deja-Vu für die Gesellschaft Jesu.

Berlin (KNA) "Nach Canossa gehen wir nicht!" - Kein Text über den Kulturkampf zwischen protestantisch-preußischem Kaisertum und der römisch-katholischen Kirche im Deutschen Reich kommt ohne das Credo des "Eisernen Kanzlers" Otto von Bismarck vom 14. Mai 1872 aus. Niemals wieder sollte ein Kaiser wie 1077 als Bittsteller über die Alpen ziehen.

Denn jenseits der Berge - auf lateinisch "ultra montes" - saßen der Papst und die römische Kurie, übernationale und gesellschaftszersetzende Kräfte aus Sicht der nationalstaatsorientierten Eliten des 19. Jahrhunderts. Der Ultramontanismus - bedingungslose Romtreue und Höherbewertung der päpstlichen über die staatlichen Interessen - wurde zum Kampfbegriff gegen den politischen Katholizismus.

Dabei geriet insbesondere der Jesuitenorden ins Visier. Wenig verwunderlich, luden doch schon die Grundsätze der Gesellschaft Jesu, die den umfassenden Gehorsams gegenüber dem Papst fordern, zum Misstrauen ein. Hinzu kamen die weltweite Ausbreitung des Ordens, seine Mitgliederstärke sowie nicht zuletzt die Wahrnehmung als Elitetruppe und als "Schlaue Jungs" - abgeleitet vom Ordenskürzel SJ. Fertig war das Feindbild, das sich exzellent dazu eignete, antikirchliche Ressentiments zu verbreiten.

Die bedingungslose Papsttreue wurde dem Orden, der im Deutschen Reich schon länger Bildungseinrichtungen und Seminarhäuser führte, schließlich zum Verhängnis: Als Papst Pius IX. 1870 das auch unter Katholiken umstrittene Unfehlbarkeitsdogma verkündete, wurden die Jesuiten als ultramontaner Arm im Reich unvertretbar.

Am 4. Juli 1872 setzte der Reichstag ihrer Tätigkeit ein Ende: Das "Gesetz, betreffend den Orden der Gesellschaft Jesu" verbannte die Jesuiten und die ihm verwandten Orden und ordensähnlichen Kongregationen vom Gebiet des Deutschen Reiches. Die Errichtung von Niederlassungen wurde strengstens untersagt. Zudem wurde die Regierung ermächtigt, einzelne Jesuiten aus dem Reich ausweisen zu dürfen, sofern es sich um ausländische Ordensmitglieder handelte. Deutschstämmigen Jesuiten durfte zumindest "der Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Orten versagt oder angewiesen werden".

Neben dem ebenfalls gegen die katholische Kirche gerichteten Kanzelparagrafen, der Geistlichen in der Predigt politische Stellungnahmen untersagte, gehörte das Jesuitengesetz zu den wenigen Gesetzen, die auf gesamter Reichsebene Gültigkeit besaßen.

Tatsächlich war das Gesetz auch einigen liberalen Abgeordneten zu radikal, die ansonsten durchaus bereit waren, Bismarcks Linie zu folgen. "Es ist ein Ausnahmegesetz im allerschlimmsten Sinne", schrieb etwa der nationalliberale Abgeordnete Karl Biedermann an seinen Kollegen Eduard Lasker - ein Intimfeind des Reichskanzlers.

Behörden und öffentliche Stellen setzten das Gesetz strickt durch. Ordenshäuser wurden geschlossen, Katholiken, die bei den Jesuiten zur Messe oder Beichte kommen wollten, wurden unverrichteter Dinge wieder nach Hause geschickt.

Für die Jesuiten selbst kam es einem Deja-Vu gleich: Bereits im Zeitalter der Aufklärung hatte es scharfe Auseinandersetzungen um die Tätigkeit und insbesondere die Papsttreue der Gesellschaft Jesu gegeben, die schließlich in der Aufhebung des Ordens zwischen 1773 und 1814 mündeten.

Der Orden reagierte pragmatisch auf das Verbot: Die Ausbildung der Novizen wurde in andere Länder verlegt, zwangsexilierte Mitglieder gingen in die Mission, auch bis nach Afrika und Südamerika. Im Gegensatz zur Aufhebung 1773 blieb Rom dem Orden dieses Mal gewogen; immerhin war der Gegner nun kein katholisches Königshaus, sondern das preußisch-protestantische Kaisertum.

Auch der gewünschte Bruch des politischen Katholizismus konnte dadurch nicht erreicht werden. Vielmehr stärkte die Unterdrückung im Kulturkampf den Zusammenhalt im Milieu.

Wie alle Jesuitenverbote, sollte auch das bismarck'sche Gesetz nicht von Dauer sein. Mitten im Ersten Weltkrieg entschied der Reichstag, es zum 19. April 1917 vollständig außer Kraft zu setzen. Insbesondere dürfte ein Entgegenkommen in Richtung der katholischen Zentrumspartei ausschlaggebend gewesen sein, ohne deren Unterstützung die Regierungsbildung faktisch unmöglich geworden war.

Von Johannes Senk (KNA)

Newsletter

Das Magazin „Jesuiten“ erscheint mit Ausgaben für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Bitte wählen Sie Ihre Region aus:

×
- ×