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Vordenker der Neuen Rechten

Der westliche Liberalismus sei „schuld an Säkularisierung, Werterelativismus, Frauenemanzipation und CSD-Paraden“ – so denken viele Anhänger der Neuen Rechten in Deutschland. Damit sei er die weitaus größere Gefahr als andere Feindbilder wie der Islam. In seinem Editorial führt Klaus Mertes SJ die Unterscheidung dieser Feindbilder auf die Schriften Carl Schmitts (1888-1985) zurück, den Vordenker der „konservativen Revolution“.

Von Carl Schmitt (1888-1985), einem Vordenker der „konservativen Revolution“, stammt die Unterscheidung zwischen dem „wirklichen“ und dem „absoluten“ Feind. Der wirkliche Feind ist der sichtbare Feind, der meinen Lebensraum, meinen Wohlstand, mein Land bedroht. Er ist nicht prinzipiell mein Feind. Er kann existieren, ohne mein Feind zu sein, und ich kann existieren, ohne ihn bekämpfen zu müssen – wenn er mich nicht mehr bedroht. Anders verhält es sich mit dem absoluten Feind. Seine geistige Prämisse ist die Dehumanisierung des Gegenübers. Während der wirkliche Feind mich nur räumlich bedroht, bedroht mich der absolute Feind geistig. Es gibt keine Möglichkeit, zwischen ihm und mir Distanz zu schaffen.

Bezeichnenderweise bezog Carl Schmitt diese Unterscheidung nicht auf Hitlers totalen Krieg gegen die von ihm ideologisch dehumanisierten Menschengruppen. Vielmehr kennzeichnete „absolute Feindschaft“ für ihn das Verhalten der Siegermächte gegenüber Deutschland nach 1945. Rückblickend bewertete Schmitt die Nürnberger Prozesse als den Versuch, Deutschland moralisch zu vernichten. Eine an universellen Menschenrechten ausgerichtete Gerichtsbarkeit stand für ihn prinzipiell gegen seine völkisch geprägte Großraum- Theorie, nach der jedes Reich „seine eigene politische Idee ausstrahlt und fremden Interventionen nicht ausgesetzt werden darf.“ Deswegen stehe die auf „Reichen“ basierende internationale Ordnung in unversöhnlichem Gegensatz zum Universalismus der Aufklärung.

Volker Weiß (Leseempfehlung: Die autoritäre Revolte. Stuttgart 2017) zitiert aus einer Podiumsdiskussion auf einer Fachmesse in Berlin im Herbst 2012, in der sich das intellektuelle Milieu der neuen Rechten präsentierte, folgenden Disput: Ein Vordenker der Szene fällt einem hitzigen Rechtpopulisten, der gegen den Islam wettert, kühl ins Wort: Das Problem sei nicht ein angeblicher Zusammenprall der Weltreligionen, sondern die Frage nach der ethnischen, kulturellen und nationalen Identität. Ein Zwischenrufer ergänzt lautstark: „An Liberalismus gehen die Völker zugrunde, nicht am Islam!“ – ein um das Wort „Islam“ ergänztes Zitat eines anderen Vordenkers der „konservativen Revolution“, Arthur Moeller van den Bruck (1876-1925).

Der Islam ist also der „wirkliche Feind“, der westliche Liberalismus hingegen ist der „absolute Feind“. Letzterer will die Völker „umvolken“, die ihnen eingestiftete politische Idee, ihre Kultur, Sprache und Gender-Ordnung durch den universellen Geltungsanspruch der Menschrechte zerstören. Gegen Islam und Scharia hätte man nichts, wenn sie in dem ihnen durch die Geschichte zugewiesenen ethnisch-kulturellen Raum bleiben würden. Solange die unterschiedlichen ethnisch-kulturellen Großräume einander nicht „wirklich“ begegnen, lassen sie einander in ihren jeweiligen Eigenheiten in Ruhe. Solches Denken ist nicht im eigentlichen Sinne des Wortes rassistisch, sondern eher ethno-pluralistisch, allerdings mit offenen Poren für rassistische Infiltration.

Ganz anders als mit dem Islam verhält es sich mit dem „absoluten Feind“, dem westlichen Liberalismus. Potentiell besteht sogar die Möglichkeit, sich mit dem wirklichen Feind, dem anti-westlichen Islamismus, gegen den absoluten Feind zu verbünden – zumal es dann doch wieder viele Merkmale in islamisch geprägten Kulturen gibt, die in der Neuen Rechten und anderen reaktionären, auch reaktionär-katholischen Kreisen bewundert werden. Immerhin ist ja nicht der Islam schuld an Säkularisierung, Werterelativismus, Frauenemanzipation und CSD-Paraden. Es passt dazu, dass es für AfD-Abgeordnete kein Problem ist, im Irak und Syrien ganz offen gute Beziehungen zu Hintermännern des dschihadistischen Terrors zu pflegen. Auch im Antisemitismus kann man so übereinstimmen, da das Judentum (wie etwa auch der „Amerikanismus“ bis einschließlich Barack Obama) in allen nachhaltig wirkenden antisemitischen Stereotypen als „absoluter Feind“, als international agierender Pate der Moderne, der Aufklärung, des Relativismus und des Universalismus fungiert. Wirkliche Feinde können sich gegen den gemeinsamen absoluten Feind verbünden.

Was folgt daraus? Ich meine dies: Der inzwischen auch in christlich-politischen Kreisen immer bedenkenloser geführte kulturell-völkische Abgrenzungsdiskurs gegenüber Flüchtlingen wird sich, je länger und je mehr er geführt wird, dem antiliberalen, anti-universalistischen Diskurs der Neuen Rechten annähern. Es werden neue Carl Schmitts auftauchen, die den liberalen Westen und seine Rechtskultur zum „absoluten Feind“ erklären und zugleich versuchen werden, den Katholizismus für ihre politischen Ziele einzuspannen. Erfreulicherweise gibt es seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu diesem Themenkomplex eine klare Positionsbestimmung der katholischen Weltkirche. Sie ist allerdings für die Zukunft auch innerkatholisch nicht gesichert. Deswegen bedarf sie heute neu der Aneignung vor dem Hintergrund der aktuellen Fragestellungen und politischen Entwicklungen.

Autor:

Klaus Mertes SJ

Pater Klaus Mertes SJ studierte nach seinem Abitur 1973 klassische Philologie und Slawistik in Bonn, nach seinem Eintritt in den Jesuitenorden 1977 Philosophie in München und Theologie in Frankfurt. Seit 1990 war er im Schuldienst tätig, zunächst 1990-1993 an der Sankt-Ansgar-Schule in Hamburg, 1994-2011 am Canisius-Kolleg in Berlin, dessen Rektor er seit 2000 war. Von 2011 bis 2020 war er Kollegdirektor am internationalen Jesuitenkolleg in St. Blasien. Derzeit ist er Superior der Jesuitenkommunität in Berlin-Charlottenburg und Redaktionsmitglied der Kulturzeitschrift "Stimmen der Zeit"

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