Wir befinden uns nun im zutiefst katholischen Freiburg im Üechtland, das von den durch die Reformation geprägten Kantonen Waadt, Neuenburg und Bern umgeben ist. Als Petrus Canisius im Jahr 1580 in der Schweiz eintrifft, hat die Reformation bereits große Teile des Landes erfasst, und dem Jesuiten wird eine entscheidende Rolle dabei zukommen, die katholische Konfession in der französischsprachigen Schweiz zu erhalten. Man sagt, dass die Seele des Heiligen noch heute über der Stadt wacht. Der Jesuit Jean-Blaise Fellay SJ, Historiker und Superior in Villars-sur-Glâne im Kanton Freiburg, nimmt uns mit auf den Spuren des Schutzpatrons der Zentraleuropäischen Provinz der Jesuiten und erklärt, dass nicht zuletzt Schulen und Hochschulen für die Konfessionszugehörigkeit entscheidend waren.
Die konfessionelle Situation in der Schweiz war und ist ständig im Fluss. Die Veränderungen vollzogen und vollziehen sich zuweilen schneller und zuweilen langsamer, unter anderem durch Kriege, Lehrpläne und demografischen Wandel (insbesondere Migration). Die Gründung und Erhaltung hochwertiger katholischer Schulen und Hochschulen ist daher sehr folgenschwer, genau wie die Ankunft des Heiligen Petrus Canisius in Freiburg, dem sein Ruf als entschlossener Gründer von Jesuitenkollegien vorauseilte. Die Gründung von 18 Jesuitenkollegien in Mitteleuropa – darunter Ingolstadt (1556), Prag (1556), Augsburg (1582) und schließlich Freiburg im Üechtland (1582) – gehen unmittelbar oder mittelbar auf Petrus Canisius zurück.
Ein von der Vorsehung Gottes gesandter Geistlicher
1580 warteten die kirchlichen und weltlichen Behörden in Freiburg voller Ungeduld auf die Ankunft von Petrus Canisius. Vor dem Hintergrund einer sich verschärfenden Rivalität mit der mächtigen Nachbarstadt Bern, die im Jahr 1528 die Reformation angenommen hatte, galt es als dringend, ein katholisches Kolleg zu gründen, um den reformatorischen Einflüssen aus den Nachbarkantonen entgegenzuwirken. Was geschah dabei im Einzelnen? Und was ist heute noch geblieben von dieser Rivalität zwischen Protestantismus und katholischer Kirche sowie vom Einfluss des Canisius in Freiburg, wo dieser starb und begraben wurde.
Wie war die Lage in Freiburg vor der Ankunft von Petrus Canisius?
Jean-Blaise Fellay SJ: Nach der Schlacht der Berner, Freiburger und Walliser gegen das benachbarte Savoyen 1536 sicherten sich die Berner sich den Löwenanteil. Sie sperrten den für den Warenverkehr nach Genf so lebenswichtigen Zugang zum Genfersee und kontrollierten auch die Handelsrouten auf der Aare und auf dem Rhein, auf denen die Erzeugnisse des Freiburger Textilgewerbes per Floß transportiert wurden. Zu allem Überfluss blockierten die Berner auch noch die Nutzung der Straßen und Wege durch das Waadtland. Als Einkommensquellen verblieb den Freiburgern nur die Entsendung von Söldnern in aller Herren Länder sowie die Ausfuhr von Käse nach Frankreich.
Noch bedenklicher für die Freiburger war, dass die Berner Obrigkeit im Jahr 1537 in Lausanne eine sogenannte Akademie zur Ausbildung von französischsprachigen Pastoren gegründet hatte, um die katholischen Priester zu verdrängen. Das seit 1517 mit Freiburg verbündete Genf hatte – unter dem Druck Berns – ebenfalls die Reformation angenommen. Der protestantische Theologe Théodore de Bèze, der zuvor an der Akademie in Lausanne tätig gewesen war, gründete 1559 eine den Calvinisten vorbehaltene Hochschule. Diese Hochschule nahm einen raschen Aufschwung. Gegen Ende des Jahrhunderts zählte sie beinahe 1.000 Studenten.
Freiburg war also im 16. Jahrhundert eine wirtschaftlich isolierte, in ihrer konfessionellen Identität bedrohte und militärisch von den Bernern umzingelte Stadt.
Wie konnte Petrus Canisius dieses Dilemmas lösen?
Die Katholiken warteten ungeduldig auf die Ankunft des Jesuiten, von dem sie sich die Gründung eines Kollegs und die Stärkung der katholischen Identität des Kantons erhofften. Petrus Canisius hatte sich einen Namen gemacht, da er bereits an zahlreichen Orten in Europa katholische Schulen und Hochschulen gegründet hatte.
Erstmals in Europa hatte Freiburg im Üechtland 1527 von ihren Einwohnern einen antilutherischen Eid verlangt. Auf Betreiben des Domherrn Schneuwly hatte die Stadt bereits 1555 den von Petrus Canisius verfassten Katechismus eingeführt. Es gab damals in der ganzen Eidgenossenschaft nur eine einzige Universität, nämlich in Basel; und sie hatte ebenfalls die Reformation angenommen. Jeder, der die sogenannten Freien Künste studieren und beispielsweise Jurist oder Arzt werden wollte, musste diese Universität oder eine der neuen Akademien besuchen. Nach dem Studium war man dann zwangsläufig – jedenfalls bis zu einem gewissen Grade – von den Ideen der Reformation geprägt. Somit war eine Bildungsstätte zur Bewahrung der katholische Konfession dringend erforderlich.
War Petrus Canisius der einzige, der das katholische Bildungswesen und die katholische Konfession in der Schweiz retten konnte?
Nein, natürlich nicht. Aber er war doch einer der wichtigsten und entscheidenden Akteure. In Luzern sah die Lage ähnlich aus wie in Freiburg. Dort wurde kurz zuvor – im Jahr 1574 – mit Unterstützung der Jesuiten die Gründung eines Kollegs in Angriff genommen. Papst Gregor XIII., der angesichts der Lage sehr besorgt war, unterstützte das Vorhaben, und der päpstliche Nuntius Bonhomini trieb es in Luzern voran. Allerdings mangelte es den Jesuiten, die auf der ganzen Welt Schulen gründeten, an Personal. Der Provinzial der Oberdeutschen Provinz entsandte daher Petrus Canisius und stellte ihm einen englischen Jesuiten als Begleiter zur Seite.
Welcher Ruf eilte Petrus Canisius voraus?
Wie der päpstliche Nuntius Bonhomini gegenüber der Freiburger Obrigkeit darlegte, machte das Ansehen von Canisius die geringe Anzahl der von ihm mitgebrachten Ordensleute wett. Der Jesuit, der zu diesem Zeitpunkt schon fast 60 Jahre alt war, war wirklich sehr bekannt. Er hatte sich an Orten von großer strategischer Bedeutung – wie München, Prag, Innsbruck und Wien – ausgezeichnet. Zudem war er ein umfassend gebildeter Mann. Nach einem Studium in Köln hatte er in Bologna den Titel eines Doktors der Theologie erworben und wurde in der Folge zum Rektor der Universität Ingolstadt ernannt. Als Domprediger in Augsburg war es ihm gelungen, die dortige Bevölkerung von einer protestantischen zu einer katholischen Mehrheit zurückzuführen. Während seiner Jahre in Wien war er nicht nur kommissarischer Leiter des Bistums, sondern auch als Beichtvater der Töchter des Kaisers tätig. Auf Ersuchen des Kaisers hatte Petrus Canisius einen Katechismus verfasst oder – genauer gesagt – drei Katechismen, je nach Zielgruppe von unterschiedlicher Komplexität. Diese Katechismen fanden rasche Verbreitung im Heiligen Römischen Reich und schließlich in der ganzen Welt, mit über 200 Auflagen und Übersetzungen in 20 Sprachen, darunter Japanisch und Hindustani. Schon als Student hatte er Texte der Kirchenväter ediert. Petrus Canisius hatte am Konzil von Trient und an den Wormser Religionsgesprächen teilgenommen und war Berater des Papstes. Zugleich führte er ein tatkräftiges Leben als Prediger, Dozent und Berater.
Er war also bestens für die Vorhaben in der Schweiz gerüstet…
Gewiss doch. Die Aufgabe, die ihn in Freiburg im Üechtland erwartete, war jedoch ganz besonders komplex und anspruchsvoll. Ein Kolleg des 16. Jahrhunderts ist – nach heutigem Verständnis – zugleich eine Schule und eine Hochschule, in der die Schüler und Studenten sowie die Lehrer und Dozenten zusammenlebten. Die Lehrer und Dozenten hatten – wenn es sich um Ordensleute handelte – innerhalb der Mauern der Einrichtung ihren Konvent, ihre Bibliothek und ihre Kirche. Ein Großteil der Schüler und Studenten an einem Kolleg lebte im zugehörigen Internat. Darüber hinaus brauchte man Großküchen sowie landwirtschaftliche Betriebe auf dem Land für die Versorgung. Für ein solches Vorhaben war eine sehr umfangreiche Bautätigkeit erforderlich, und es musste für eine solide Finanzausstattung gesorgt werden, um den langfristigen Betrieb zu gewährleisten. Für Petrus Canisius und die stetig wachsende Zahl der Ordensbrüder, die zu seiner Unterstützung hinzukamen, war das eine enorme Anstrengung – und für die Stadt eine enorme Investition, zumal der Unterricht kostenlos erteilt wurde.
Was stand dem Petrus Canisius für den Aufbau des Kollegs denn zur Verfügung?
Der Papst hatte den Jesuiten das Kloster Humilimont in Marsens sowie die zugehörigen Weingärten in Lavaux übereignet. Dennoch reichten die Einkünfte daraus für den umfangreichen Gebäudekomplex nicht aus, für den als Standort ein oberhalb der Altstadt gelegener Hügel mit dem Namen Belsex ausgewählt wurde. Trotzdem erfolgte 1586 die Grundsteinlegung. Die Bauarbeiten schritten langsam voran, da die Bauleute – je nach aktueller Bedrohungslage – die Arbeiten am Kolleg immer wieder unterbrechen mussten, um die Mauern und Türme der Stadt zu verstärken. Der Unterricht hatte zu dieser Zeit bereits begonnen und wurde in der heutigen Rue de Lausanne erteilt.“
Wann konnte das Freiburger Jesuitenkolleg dann endlich eingeweiht werden?
1596, in diesem Jahr konnten die Patres einziehen. Im Einweihungsjahr schrieben sich 200 Schüler am Kollegium Sankt Michael ein. Der Lehrplan folgte dem klassischen Kanon – Latein, Griechisch, Grammatik, Rhetorik – und war zugleich stark durch die italienische Renaissance und die von den Jesuiten angestoßene Reform – wie sie durch Ignatius von Loyola, Franz Xaver, Diego Laínez, Alfonso Salmerón und Jerónimo Nadal verkörpert wird – inspiriert. Mit Jerónimo Nadal hatte Petrus Canisius übrigens zuvor bereits in Messina, auf Sizilien, zusammengearbeitet, wo Canisius zum ersten Mal an der Gründung eines Jesuitenkollegs mitwirkte und als Lehrer tätig war. Unter dem Einfluss dieser Männer wurde die Ratio studiorum verfasst, der Lehrplan für die vom Jesuitenorden geführten Bildungseinrichtungen. Das Freiburger Jesuitenkolleg zeigte sich darüber hinaus offen für die Pädagogik des Erasmus von Rotterdam und unterschied sich deutlich von den evangelisch-reformierten Akademien, denn im Kollegium Sankt Michael interessierte man sich für das Theater – dem in Freiburg schon immer eine besondere Rolle zugekommen ist –, man pflegte die Astronomie und die Physik – wobei nicht zu vergessen ist, dass die Jesuiten als einzige über Observatorien verfügten –, und man räumte der Musik, der Malerei, der Skulptur und der Architektur eine zentrale Stellung ein.
Wie sieht es auf der spirituellen Ebene aus? Was brachte Petrus Canisius da in seinem Gepäck für die Schüler des Kollegs mit?
Petrus Canisius wurde in das Umfeld der flämischen Mystik und der Devotio moderna hineingeboren. Beim Heiligen Petrus Faber und beim Heiligen Ignatius von Loyola sowie dank der Geistlichen Übungen – der Exercitia spiritualia –, denen er sich unterzog, lernte er, die innige Meditation durch das entschlossene Handeln zu ergänzen. Das Kollegium Sankt Michael, in dem er eine Druckerei einrichtete, nutzte er nicht nur, um zu unterrichten, zu predigen und Lebensberichte über die ersten Heiligen des Schweiz zu verfassen, sondern er gründete auch – wie an allen vorherigen Stationen seines geistlichen Wirkens – sogenannte Marianische Kongregationen, um den Menschen – und insbesondere den Absolventen des Kollegs – Unterstützung für ihr christliches Leben im Alltag zu geben. Eines der besonders dringlichen Ziele war dabei die Verantwortung gegenüber Armen und Benachteiligten. Es gab übrigens auch Marianische Frauenkongregationen, und viele dieser Kongregationen bestehen bis heute fort.
In dieser Kongregation beschlossen die Walliser Studenten das ehrgeizige Vorhaben der konfessionellen Rückgewinnung des Wallis, das unter anderem durch die Gründung der Kollegien in Brig und Sitten vorangetrieben wurde. Das Kollegium Sankt Michael entfaltete somit eine Ausstrahlung weit über die Stadt und den Kanton Freiburg hinaus. Bereits nach kurzer Zeit übertraf es das Kollegium von Luzern an Bedeutung. Zusätzliche Bedeutung gewann das Kollegium, als Ludwig XV. 1763 den Jesuitenorden in Frankreich verbot und die Schließung der jesuitischen Bildungseinrichtungen anordnete. Der Zustrom von Schülern aus Frankreich war so stark, dass ein weiterer Gebäudetrakt errichtet und sogar eine Zweigniederlassung im 30 km entfernten Estavayer-le-Lac am Neuenburgersee geschaffen werden musste. Die Aufhebung des Jesuitenordens durch den Papst im Jahr 1773 bedeutete nicht das Ende des Kollegiums Sankt Michael, da von nun an Weltpriester die Fackel der Bildung weiter trugen.
Was bleibt vom Erbe des Petrus Canisius?
Vor allem das Kollegium Sankt Michael selbst mit seinem schönen Gebäudekomplex vom Ende des 16. Jahrhunderts, mit der Grabkapelle des Heiligen Petrus Canisius, einem Werk von Künstlern aus der Familie de Reyff, die Absolventen des Kollegs waren. Ferner gibt es innerhalb des Kollegiums die hochinteressante Kapelle des Heiligen Ignatius von Loyola mit einem Gemäldezyklus über das Leben des Ordensgründers. Dann natürlich die Jesuitenkirche Sankt Michael. Sie wurde im 17. Jahrhundert erbaut und weist eine klassisch barocke Innenausgestaltung auf, wobei insbesondere der Hochaltar im Chor, das reichverzierte Chorgestühl, die Deckenmalereien im Chor sowie die große Orgel zu nennen sind. Anfang des 20. Jahrhunderts schuf der Bildhauer Marcel Feuillat – ein Mitglied der Genfer Künstlergruppe Saint-Luc, die eine Erneuerung der sakralen Kunst anstrebte, – das Grabmal mit der lebensgroßen Liegefigur des Heiligen Petrus Canisius unter dem Hochaltar.
Am wichtigsten ist jedoch, dass das Kollegium Sankt Michael den intellektuellen Reichtum der katholischen Renaissance des 16. Jahrhunderts und damit die Verbindung zur christlichen Antike bis in unsere Gegenwart am Leben erhält und es dabei zugleich verstanden hat, sich den Erfordernissen der Moderne anzupassen, wie das äußerst erfreuliche Abschneiden in den Pisa-Studien belegt.