Frau Mächler, warum werden gerade Ordensleute so alt?
Die frühe Lebensentscheidung, in den Orden einzutreten, ist wohl hilfreich, wenn sie konsequent verfolgt wird: Es gibt ein klares Ziel im Leben, Regelmäßigkeit, eine starke Sinnhaftigkeit. Dazu kommt, dass Ordensleute bis ins hohe Alter arbeiten – ihren Kräften angemessen. Die Alternative „Vollzeit oder Rente“ in unserer Gesellschaft ist keine gute Idee. Besser ist es, auch im hohen Alter noch einmal etwas Neues anfangen zu können. Sehr alte, schwache Ordensleute haben zu mir gesagt, dass sie noch Seelsorge per E-Mail machen und sinnvolle Aufgaben haben: Sie kümmern sich um andere, die noch schwächer und kranker sind.
Fasziniert hat mich auch die Bereitschaft der Orden, ihre Mitglieder dabei zu unterstützen, sich bis ins hohe Alter weiterzubilden und immer wieder Neues zu anzufangen. Ein Jesuit erzählte mir beispielsweise, dass er mit 73 zu seinem Oberen gegangen ist und ihn gefragt hat, was er jetzt Neues anfangen soll. Er wurde dann Seelsorger für noch ältere Ordensschwestern, bis er fast 90 war.
Mit ihrem Entschluss, ein Leben im Orden zu führen, haben Ordensleute eine weitreichende Lebensentscheidung getroffen. Hadern sie im Alter damit?
Die Ordensmänner und Ordensfrauen haben im Alter keine großen Krisen mehr, aber sie haben mir von den Krisen erzählt, die sie erlebt haben, und wie sie diese überwinden konnten. Wenn sie die Krisen nicht verdrängt, sondern sich gefragt haben, ob sie auf dem richtigen Weg sind – was teilweise sehr schmerzhaft und schwierig gewesen sein mag –, dann gab das ihnen neue Kraft und Wurzeln.
Eine Schwester erzählte mir davon, dass sie einen Mann kennengelernt hatte. Sie fragte sich: Vielleicht möchte ich lieber mit ihm weiterleben? Sie hat es ihrer Oberen erzählt, die ihr immer wieder Gelegenheit gab, den Mann zu sehen, um ihre Entscheidung gut treffen zu können. Das fand ich toll. Sie hat sich aber für den Orden entschieden und wirkte auf mich sehr geerdet und zufrieden.
Ordensleute haben keine eigene Familie. Sind sie besonders einsam am Lebensende?
Man kann nicht sagen, dass Ordensleute immer in Gemeinschaft und darum nie einsam sind. Bei alleinstehenden alten Menschen sind die Kinder aber auch nicht immer in der Nähe und eine gute Beziehung klappt nicht immer. Die Ordensleute sind nie ganz alleine, weil sie in Gemeinschaft leben, und gleichzeitig sind diese Gemeinschaften mit Herausforderungen verbunden. Man kann auch in einer Gemeinschaft einsam sein. Das wurde in meinen Befragungen zum Teil auch angesprochen.
Interessanterweise ist die Herkunftsfamilie für viele alte Ordensleute sehr wichtig. Viele erzählten auffällig viel von ihren Geschwistern: wie viel telefoniert und besucht wird. Sie erzählten auch von ihren Nichten und Neffen, von deren Kindern und so weiter. Eine alte Ordensschwester sagte mit leuchtenden Augen: Hier sieht man, dass das Leben weitergeht. Das ist auch das, was wir mit Familie verbinden: Leben weitergeben und die nächsten Generationen sehen.
Was trägt Patres, Brüder und Schwestern im Alter, wenn Gesundheit und Kraft schwinden?
Viele haben über ihren Glauben gesprochen. Das waren beeindruckende Zeugnisse: Wie tragend der Glaube für sie ist und wie viel Liebe, Sinn, Halt und Geborgenheit er ihnen bis ins hohe Alter gibt. Bei vielen ist der Glaube sehr lebendig: Es tut sich Neues auf, der Glaube entwickelt sich. Die Ordensleute lesen Bücher und denken immer wieder neu über Gott nach. Eine sagte mir, dass ihr der Heilige Geist immer näher kommt. Intellektuell versteht sie nicht mehr alles, aber sie spürt es in ihrem Herzen.
Hier müssen die Orden aber aufpassen, dass nicht einfach davon ausgegangen wird: Dein Glaube trägt dich, denn Glaube ist nicht machbar. Es gibt Dürre. Es gibt Zweifel. Es gibt auch Glaubensverluste. Es kann sein, dass Ordensleute im Alter aus ihrem Glauben schöpfen können, aber das ist nicht garantiert.
Was trägt in den Zeiten, in denen das Glauben schwerfällt?
Das Ringen darum. Die sinnhaften Aufgaben, die dennoch da sind. Freundschaften und Gemeinschaft. Auch, sich entschieden zu haben. Durchhalten war ein großes Thema in den Gesprächen: Ich habe nicht aufgegeben, als es schwierig war. Ich habe eine Entscheidung getroffen und bin dazu gestanden. Durchhalten an sich ist ja noch kein Wert, der ausreichen würde. Aber die Treue zu halten – das scheint mir nach meinen Gesprächen mit diesen Menschen als etwas Wunderbares.
Was hat sich durch die Gespräche mit den alten Ordensleuten für Sie mit Blick auf das Alter und Älterwerden verändert?
Ich möchte von der intellektuellen Offenheit und Neugier der Ordensleute lernen. Von ihrer Lebendigkeit und Bereitschaft, sich zu entwickeln und zu verändern. Von ihrer Bereitschaft, Dinge loszulassen und bis ins hohe Alter zu arbeiten. Sie fragen sich immer wieder: Wer bin ich heute? Was macht mich jetzt aus? Was lebe ich? Sie sind nicht festgefahren. Auch im Glauben festzuhalten, würde ich gerne bis ins hohe Alter schaffen – ich wünsche es mir.
Gab es etwas, das Sie in den Interviews überrascht hat?
Mich hat sehr überrascht, dass viele von Vorbildern gesprochen haben. Bis ins hohe Alter waren den Ordensleuten die Vorbilder wichtig, die sie damals dazu bewegt haben, den Lebensweg im Orden einzuschlagen, und die im Laufe ihres Lebens eine Orientierung für sie waren. Das sind zum Teil natürlich die Ordensgründer Ignatius von Loyola und Sophie Barat oder andere Heilige. Eine Ordensschwester erzählte mir, sie hat gesehen, wie ihre Mitschwester krank wurde und starb. Sie war ihr Vorbild, so wollte sie diesen Weg auch gehen. Solche Vorbilder tragen.
Wie kann man als junger Mensch von alten Ordensleuten lernen, gut alt zu werden?
Wie es mir im Alter geht, hat viel mit meiner Geschichte zu tun und fängt früh im Leben an. Sich erst im Alter darum zu kümmern, Hobbys zu entwickeln oder Interessen und Beziehungen aufzubauen, ist keine gute Idee.
Ich habe mir bei meiner Befragung die Lebensgeschichten der Ordensleute erzählen lassen und auch die Frage gestellt: Was würden Sie Ihrem jungen Selbst raten? Ganz oft kam, durchzuhalten, wenn es schwierig wird, und sich ganz hinein zu begeben, wenn man sich einmal für etwas entschieden hat. Das möchte ich von den Ordensleuten lernen und auch jungen Leuten weitergeben: Ich kann meine Arbeit irgendwie machen und für meine Freizeit leben oder ich kann mich ganz in meinen Beruf reinschmeißen und ihn mit Leidenschaft machen. Ich kann meine Beziehungen, meinen Glauben mit Leidenschaft leben. Ich kann nach meiner Berufung fragen und glauben, dass mein Leben einen Sinn hat, eine Aufgabe – und wenn ich diese nicht kenne, dann kann ich danach suchen.