Syrien befindet sich mitten im Krieg und zum Teil auch schon in der Nachkriegszeit. P. Marc-Stephan Giese war über die Weihnachtstage in Homs und berichtet, wie das Fest der Liebe zumindest auf lokaler Ebene einen Klimawandel erzeugen kann.
Ignatius von Loyola reitet kurz nach seiner Bekehrung auf einem Esel in sein neues Leben. Nicht weit entfernt von Montserrat kreuzt sich sein Weg mit einem Muslim. Während sie ein paar Stunden in die gleiche Richtung reiten, reden sie natürlich miteinander, aber als die Diskussion auf die Religion kommt, beginnt ein Streit über die Jungfräulichkeit Mariens (eigentlich geht es dabei nicht um die Jungfräulichkeit selbst, sondern über die Jungfräulichkeit post partum also nach der Geburt Jesu, die der Muslim bestreitet), und als der Muslim etwas später vorausreitet, bleibt im Herzen des Ignatius ein unbestimmter Hass zurück.
Da er noch ein Anfänger in der Jüngerschaft ist, weiß er nicht, was er tun soll. Soll er dem Fremden folgen und ihn angreifen, um die Ehre Mariens zu verteidigen, oder soll er einen anderen Weg einschlagen? Auch seine neuen aber noch ungeübten Fähigkeiten zur Unterscheidung der Geister helfen ihm nicht weiter. Als er an eine Weggabelung kommt, lässt er schließlich den Esel entscheiden. Er selbst hätte sich die Erlaubnis zum Hass gegeben, aber der Esel wählt die andere Straße.
Ich wurde an diese Episode aus dem Leben des Heiligen Ignatius erinnert, als ich mit unseren christlichen Schwestern und Brüdern in Damaskus und Homs sprach: mit denen, die geblieben sind und mit denen die schon zurückgekehrt sind. Sie haben grausame Dinge in einem Bürgerkrieg erlebt und durchgemacht, in dem es im Prinzip nicht um Religion ging, in dem die Religion aber gleichwohl eine Rolle gespielt hat (zumindest seit der Ausdehnung von ISIS auf syrisches Territorium). Die Not, die unsere Schwestern und Brüder erlebt haben, wurde von Menschen der anderen Religion verursacht. Und nun in der Nachkriegszeit haben sie eine gewaltige geistliche Aufgabe zu bewältigen: sich nicht die Erlaubnis zum Hassen zu geben. Ob sie einen Esel haben, der diesen Weg für sie wählt oder nicht, den Weg des Friedens und der Versöhnung zu gehen, das wird ihre Aufgabe sein.
Für einen Jünger Jesu gibt es keine andere Möglichkeit. Jesus hat uns keine Erlaubnis gegeben, zu hassen, es gibt keine Dispens von der Liebe, nicht einmal gegenüber unserem Hauptfeind. Nicht einmal gegenüber denen, die uns gefoltert oder unsere Angehörigen umgebracht haben. Ich weiß, für mich ist das leicht zu sagen, insbesondere als ein Europäer meiner Generation, der nie Krieg oder Terrorismus erlebt hat. Deshalb möchte ich betonen, dass ich niemanden verurteile. Wir müssen uns jedoch als Christen aufrichtig ermutigen und uns gegenseitig daran erinnern, was Jesus gesagt hat und was er nicht gesagt hat.
In der Frage nach der (Feindes-)Liebe kann es keinen Zweifel geben: Es ist gleichsam der Kern der guten Nachricht von Jesus, dass Gottes Liebe zu uns bedingungslos ist und dass wir, selbst gestärkt durch diese göttliche Liebe, ohne Bedingungen und ohne Ausnahmen lieben sollen und können. Alles, was wir normalerweise über Liebe sagen und predigen, könnte hier erwähnt werden, dass die Liebe, über die wir sprechen, hauptsächlich kein Gefühl ist, sondern eine Entscheidung und vieles andere mehr, aber ich möchte diese ausnahmslose, einschließende Liebe mit einer Anekdote veranschaulichen, die mir von Pater Magdi Seif SJ erzählt wurde, einem ägyptischen Jesuiten, der seit einigen Jahren in Homs arbeitet.
Im Gemeindezentrum Deir Al-Muhallis (Kloster des Erlösers) gab und gibt es zahlreiche Aktivitäten, einige im strengen Sinne religiös andere mehr sozial oder kulturell. Zu letzteren sind alle Bewohner des Viertels eingeladen. Nach der Befreiung von Homs im Jahr 2014 begannen die Aktivitäten, die während der heißen Phase des Krieges reduziert oder sogar eingestellt wurden, mit neuem Schwung. Aber plötzlich entstand eine Dynamik der Ausgrenzung. Anfangs beschwerten sich die Alawiten über die Teilnahme der Sunniten an den Aktivitäten, dann teilten die Christen Pater Magdi mit, dass sie sich bei so vielen Muslimen nicht zu Hause fühlen würden und schließlich bemerkten die Katholiken, dass das Zentrum keine Aktivitäten für orthodoxe Christen haben sollte. Es ist offensichtlich, dass diese Ausschlusslogik progressiv ist: in immer kleiner werdenden Kreisen sollen immer mehr Menschen ausgeschlossen werden. Pater Magdi und die anderen Jesuiten mussten dem entgegenwirken und dieses Bestreben, das Zentrum offen für alle zu halten, trägt zumindest im heute Frucht.
Eine dieser Früchte konnte ich an meinem letzten Abend in Homs genießen: ein Konzert des Chores von Deir Al-Muhallis in Zusammenarbeit mit einer Moschee. Das Stadttheater war voll besetzt und alle genossen ein gemischtes Programm aus christlicher, muslimischer und weltlicher Musik rund um die Geburt Jesu. Die feierliche Rezitation der Sure 19 aus dem Koran, in der die Geburt Jesu beschrieben wird, war ein Höhepunkt, der nur durch das Duett der beiden Chorleiter übertroffen wurde. Dieses Duett war ein symbolträchtiger Moment. Am Anfang fühlte es sich an, wie ein Sing-Out aus einer dieser Castingshows, und jeder der beiden versuchte, mehr Applaus als der andere zu bekommen, aber je mehr das Lied voranschritt, desto besser harmonierten die Sänger. Was für ein schönes Bild, das so viel Hoffnung weckt.
Aber klar, wir sollten nicht naiv sein. Ein paar kulturelle Ereignisse werden die politische Situation in Syrien oder im Nahen Osten nicht verbessern, aber sie können - im kleineren Maßstab einer Stadt oder eines Stadtteils - zu einem (definitiv vom Menschen geschaffenen) Klimawandel beitragen: Vom feindseligen und misstrauischen Klima des Bürgerkrieges, zurück zu einer inklusiven und offenen Gesellschaft wie in dem Syrien vor dem Krieg - und vielleicht sogar noch besser. Dies wird eine enorme Herausforderung für alle Seiten sein, aber ich hoffe, dass die christlichen Kirchen und Gemeinschaften in diesem Prozess eine wichtige Rolle spielen können.
Wir haben als Jünger Jesu Versöhnung in unsere DNA geschrieben. Christus wurde Mensch, um Himmel und Erde miteinander in Einklang zu bringen, und Engel verkündeten bei seiner Geburt: "Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden den Menschen seiner Gnade”. Noch einmal: das wird nicht einfach werden, aber wir - als Christen - haben keine andere Wahl, als zu lieben. Und ja, von dieser einschließenden Liebe ohne Ausnahme wird eine tiefe Freude ausgehen. Eine Freude, die in Wahrheit nichts anderes ist, als die Freude der Weihnacht.