• Das Jesuskind im Berchmanskolleg, gestiftet von der englischsprachigen Gemeinde

Welch Geheimnis ist ein Kind

In meiner englischsprachigen Gemeinde ist es Tradition, dass die Kinder jedes Jahr im Advent im Gottesdienst ein Krippenspiel aufführen. Manchmal ist die Spielweise sehr klassisch, manchmal sehr modern und manchmal auch wortwörtlich sehr bewegt. Liest man die Geschichte bei den Evangelisten Lukas und Matthäus, sind dort tatsächlich alle Protagonisten unterwegs. Maria und Josef machen sich auf und gehen in die Davidstadt Bethlehem. Die Hirten kommen von außerhalb der Stadt zur Krippe. Die drei Weisen aus dem Morgenland, die dem Stern folgen, haben wohl den weitesten Weg hinter sich. Und die Engel als göttliche Boten sausen zwischen allen hin und her. So sind alle in Bewegung. Nur einen gibt es, der sich nicht von der Stelle rührt, das ist Herodes. Die drei Weisen sollen ihm berichten, wo sie das Kind gefunden haben. Er fühlt sich in seiner Macht bedroht. Von einem kleinem Kind!

Die Bibel ist nicht einfach eine Sammlung verschiedener sehr alter Texte, sondern erzählt vor allem, wie Gott mit seinem Volk, mit den Menschen unterwegs ist. Und das wird am schönsten in den konkreten Menschen der biblischen Geschichten deutlich, etwa in Abraham und Sarah, Joseph, Moses, Noah, Jona, Judith, Hiob, Johannes, Petrus, Maria Magdalena, Maria und Josef, etc. Wir sind als Glaubende nicht allein. Wir stehen in einer langen Reihe von Glaubenden und auch manchmal Zweifelnden. Diese Menschen können uns Vorbilder im Glauben sein. Im Krippenspiel sind es nicht nur Maria und Josef, sondern auch die, denen die frohe Botschaft verkündigt wird und die sie vertrauensvoll annehmen. Gläubig sein heißt, sich auf den Weg machen, auch wenn man nicht weiß, wohin er führt. Ganz anders die Figur des Herodes. Er bleibt reglos sitzen, er geht nirgendwohin. Aber ihm geht es ausschließlich um seinen eigenen Machterhalt.

Im Lukasevangelium wird uns die Geburt Jesu aus der Perspektive Marias erzählt. Der Engel tritt bei ihr ein und verkündigt ihr, dass sie Mutter eines göttlichen Sohnes werden soll. Sie darf entscheiden. Und sie nimmt die Erwählung an. Der Evangelist Matthäus jedoch berichtet uns die Geschichte aus einer ganz anderen, nämlich Josefs Perspektive. Josef hat eigentlich nur zwei Alternativen, auf die Verkündigung zu reagieren: Er bezichtigt seine Verlobte vor Gericht der Untreue, was zur Folge hätte, dass sie wohl gesteinigt würde, oder er entlässt sie in aller Stille. Aber Josef ist auch jemand, der sich gut an seine Träume erinnert. Er entscheidet sich für eine dritte Möglichkeit: Er nimmt Maria zur Frau und das Kind als sein eigenes an. Josef, so heißt es, war ein rechtschaffener, ein gerechter Mann. Gerecht heißt im Alten Testament, Gott gerecht zu sein, also Gottes Willen zu tun. Für die Mystikerin und Kirchenlehrerin Teresa von Ávila ist Josef ganz besonders verehrungswürdig, da er in allem Gottes Willen zu ergründen versucht und auch wenn er ihn mit dem Verstand nicht zu erfassen vermag, den Willen Gottes dennoch erahnt und tut.

Auf der einen Seite ist da Josef, der fragt, der zweifelt, der mit Gründen abwägt. Auf der anderen Seite ist Marias schlichtes Ja. Gottes Sohn wird beiden anvertraut! Es braucht beide, damit Gott Mensch werden kann, damit der kleine Jesus eine Zukunft hat. Es gibt von Clemens Brentano ein wunderschönes Weihnachtsgedicht: „Welch Geheimnis ist ein Kind! / Gott ist auch ein Kind gewesen. / Weil wir Kinder Gottes sind, / kam ein Kind, uns zu erlösen. / Welch Geheimnis ist ein Kind! / Wer dies einmal je empfunden, / ist den Kindern alle Zeit / durch das Jesuskind verbunden.“ Maria und Josef haben sicher diese Erfahrung geteilt. Und sie haben Jesus auch nicht immer verstanden. So zum Beispiel, als der zwölfjährige Jesus in Jerusalem im Tempel blieb, anstatt brav mit den Verwandten nach Hause zu gehen. Ja, Kinder bleiben uns ein Geheimnis und erinnern uns daran, dass wir selber einst Kinder waren. Der erwachsene Jesus wird einmal von seinen Jüngern gefragt: „Wer ist denn im Himmelreich der Größte? Da rief er ein Kind herbei, stellte es in ihre Mitte und sagte: Amen, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen.“ (Mt 18,1-3) Wer ist bei Gott am größten? könnte man auch fragen. Kinder sind am meisten abhängig von ihren Eltern, emotional und ökonomisch. Die Eltern sind ihre wichtigste Beziehung, und auch wirtschaftlich haben Kinder kein eigenes Einkommen. Diese radikale Abhängigkeit dürfen wir nach Jesu Worten in unserer Gottesbeziehung beglückend erleben. Dass Gott Menschenkind wird, heißt, dass wir damit eine Beziehung geschenkt bekommen, die uns niemals im Leben enttäuscht.

 

Autor:

Christof Wolf SJ

Pater Christof Wolf SJ ist 1970 in Chemnitz geboren und 1993 in die Gesellschaft Jesu eingetreten. 2004 ist er zum Priester geweiht worden. Er hat Dramaturgie in München und Leipzig studiert und gibt seit 2004 Filmexerzitien. Christof Wolf SJ ist Produzent und Geschäftsführer der Loyola Productions Munich GmbH und der DOK TV & Media GmbH. Außerdem ist er Geistlicher Beirat der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP) und Geistlicher Berater des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU) München.

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