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Widerstand!

Seit vielen Jahren setzt sich P. Jörg Alt SJ (60) für globale soziale Gerechtigkeit ein und für ein nachhaltiges Wirtschaftssystem. Seit kurzem nutzt er dafür auch gezielte Aktionen zivilen Ungehorsams und Widerstands. Er beteiligt sich an Containering-Aktionen von Lebensmitteln und Straßenblockaden, wie im August auf dem Nürnberger Altstadtring. Die daraus entstehende öffentliche Aufmerksamkeit nutzt er für seine Botschaften. In seinem neuen Buch ruft er auf zu „Widerstand! Gegen eine Wirtschaft, die tötet“. Im Interview spricht er über den Moment, als er beschloss bewusst Gesetze zu übertreten, die Legitimität solcher Aktionen und ihre Grenzen. 

Pater Alt, warum beteiligen Sie sich an Straßenblockaden und kleben sich auf der Fahrbahn fest? 

Weil es nicht mehr anders geht. Obwohl die Erderwärmung dramatisch ist, redet die Politik weiter über Dienstwagenprivileg und Tankrabatt. Wir müssen jetzt eine Wende der Gesellschaft und der Wirtschaft hin zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz erreichen, weil es sonst zu spät ist. Und dazu gehört dringend auch die Verkehrswende.

Sie begehen damit bewusst eine Gesetzeswidrigkeit. 

Ja, das ist der Sinn von zivilem Ungehorsam und Widerstand: man setzt einen Regelverstoß ganz bewusst und begrenzt gegen ein Gesetz, eine Verpflichtung, eine Maßnahme des Staates, um damit Protest auszudrücken und ein Zeichen zu setzen. Das gab es durch die Geschichte hindurch immer schon als ein legitimes politisches Instrument: Mahatma Gandhi, Martin Luther King oder Daniel Berrigan SJ haben damit gearbeitet. Und auch die Aktionen zur Befreiung der Sklaven in den USA im 19. Jahrhundert waren ein Verstoß gegen das damals geltende Eigentumsrecht. 

Aber rechtfertigt das solche Aktionen in einer Demokratie, einem Rechtsstaat? 

Ja, die bewusste Gesetzeswidrigkeit ist der Weckruf in eine Gesellschaft, die anders nicht wachgerüttelt würde. Ziviler Ungehorsam ist dann legitim, wenn die Sache, um die es geht, von existenzieller Bedeutung ist. Und wenn andere Formen der Initiative, des Diskurses, der politischen Auseinandersetzung und Einflussnahme ausgeschöpft und erfolglos geblieben sind. Ich selbst und alle anderen Engagierten für diese Blockaden haben viele Jahre lang versucht, Gesellschaft und Politik auf die kommende Katastrophe aufmerksam zu machen und zu entschiedenem Handeln zu drängen. Dabei haben sie festgestellt: Dies gelingt trotz aller Publikationen, Demonstrationen, Petitionen, Gespräche und Appelle nicht in dem Maß, wie es erforderlich wäre. 

Wie funktioniert das über Gesetzesverstöße? 

Der Mechanismus dahinter ist, ein moralisches Dilemma zu konstruieren: Bestrafen wir die Aktivisten, die gegen ein Gesetz verstoßen, obwohl wir ihre Ziele richtig finden?  Was ist wichtiger: das Anliegen aufzurütteln oder die Gesetzestreue bei einem vergleichsweise harmlosen Verstoß, etwa beim Containern? Dieses Dilemma regt sehr zum Nachdenken an: worum geht es diesen Leuten? Und wie soll man als Gesellschaft darauf reagieren?  

Es scheint sich hier eine recht breite Bewegung zu bilden. 

Ja genau. Solche Aktionen regen auch zur Nachahmung an, das ist nicht nur die Theorie sozialer Veränderung. Es machen immer mehr mit, und es kommt zu immer mehr Aktionen gewaltfreien zivilen Ungehorsams und zivilen Widerstands, um unübersehbar zu stören und dadurch Gesellschaft und Politik zum Innehalten und Nachdenken zu zwingen. 

Wann sind Sie zu der Überzeugung gelangt: jetzt hilft nur noch ziviler Ungehorsam? 

Wir reden seit Jahrzehnten über den Klimawandel, wir wissen, wie schlimm die Erderwärmung die Lebensbedingungen auf unserem Planeten verändern wird. Aber daraus folgen in der Politik nicht die erforderlichen Schritte. Einer der Anlässe, die mich dazu gebracht haben, dass jetzt andere, radikalere Maßnahmen erforderlich sind, war in diesem Jahr der aktuelle Sachstandsbericht zum Weltklima des IPCC. Es ist ein Fakt: ab 2025 müssen die Emissionen runter, wir haben also nur noch wenige Jahre Zeit. Und wir müssen um jedes Zehntel Grad kämpfen. Dazu kommt, dass mich der Hungerstreik des Klimaaktivisten Henning Jeschke, der am Ende auf der Intensivstation lag, emotional sehr berührt hat. Herrgott, wenn diese jungen Leute unter Einsatz ihres Lebens, ihres Führungszeugnisses und ihres guten Rufes für ihre Zukunft kämpfen, kann ich doch nicht weiter nur Bücher schreiben und Vorträge halten! 

Und wo sind für Sie die Grenzen bei solchen Aktionen? 

Ganz klar: es darf davon keine Gefahr für Leib und Leben von Menschen ausgehen. Natürlich ist eine Straßenblockade Nötigung und insofern auch eine Grauzone, über die man auch streiten kann. Man muss das im Einzelfall sehr gut überlegen und abwägen. Deshalb haben wir die Aktion in Nürnberg auch frühzeitig bekannt gegeben, damit niemand überrascht wurde und jeder auch eine andere Route wählen konnte. Das gilt ja besonders für Feuerwehr oder Krankenwagen, für die seitens der Blockierer allerdings jedes Mal der Durchlass garantiert wird – sofern die Autos eine Rettungsgasse zu bilden vermögen. Aber das ist das Problem eines jeden Staus. 

Haben Sie Bedenken, dass Sie mit Blockadeaktionen Ihrer Sache einen Bärendienst erweisen könnten, wenn sich Menschen darüber ärgern, dass sie im Stau stehen? 

Mir ist schon klar: die Blockaden finden weniger Sympathie als das Containern von Lebensmitteln. Aber es hilft ja nichts, und es geht hier auch nicht ums Nett-Sein. Eines der großen Probleme ist ja, dass der Mensch Probleme erst angeht, wenn er unmittelbar davorsteht. Im Fall der Klimakatastrophe ist es dann aber zu spät. Insofern nehmen die Blockaden die gewaltigen Disruptionen, die da kommen werden, ein kleines bisschen vorweg. Ich hatte aber überhaupt nicht den Eindruck, dass die, die im Stau standen, wütend auf uns waren. Eher nachdenklich. Auch die Polizisten, die uns wegtrugen, waren sehr freundlich und professionell. Es waren eher andere, die uns vom Straßenrand beschimpften: Menschen, die nicht verzichten wollen. 

Und jetzt kommt Ihr nächstes Strafverfahren? 

Wahrscheinlich. Aber für diese Sache lasse ich mich gern einsperren. 

 

Von Jörg Alt ist jüngst im Vier-Türme-Verlag erschienen:

WIDERSTAND! - GEGEN EINE WIRTSCHAFT, DIE TÖTET

https://www.vier-tuerme.de/widerstand-gegen-eine-wirtschaft-die-toetet

 

Interview: Gerd Henghuber

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