Wenn ich mit 35 Jahren auf die erste Weihnacht im Orden zurückschaue, dann sind da viele Weihnachtsfeste, die dieser vorausgegangen sind. Alle habe ich mit der Familie gefeiert. Zu Weihnachten waren das nicht nur meine Mutter, meine Oma, mein Bruder und ich, sondern auch meine Tante mit ihren drei Töchtern, die etwas weiter entfernt wohnen. Trotz üblicher Reibereien war es immer ein schönes Fest, das die Familie trotz oder gerade wegen ihrer kleinen Macken genießen konnte. Wir besuchten meist gemeinsam die Messe, aßen zusammen und tauschen dann die Geschenke aus. Die Weihnachtslieder, die am Baum gesungen wurden, wurden mit den Jahren weniger, denn die Stimme der einzigen Person, die wirklich gut singen konnte (der Oma), ließ irgendwann nach. Was wir nachfolgenden Generation dann zu Stande brachten, hatte allenfalls unterhaltsamen Wert… Familie heißt eben auch, miteinander übereinander lachen zu können!
Weihnachten im Orden zu feiern, war für mich eine große Umstellung, denn es war alles ganz anders — vielfältiger! Am Heiligen Abend halfen wir Novizen bei offenen Angeboten aus, zu denen Menschen kamen, die entweder allein hätten feiern müssen, oder aus welchen Gründen auch immer Weihnachten nicht zu Hause feiern konnten. Im „Haus Eckstein“ der evangelischen Stadtkirche Nürnberg verbrachten wir Zeit mit Obdachlosen, mittellosen oder schlicht einsamen Menschen. Es war bewegend zu sehen, wie die Menschen, die allein in den Raum kamen, sich zueinander an die Tische setzten und ins Gespräch kamen. Wir Novizen mitten unter ihnen. Wir hatten keine Geschenke dabei und konnten trotzdem unsere Anwesenheit, unsere Zeit und unsere Aufmerksamkeit schenken. Das Bewusstsein, vielen Menschen eine schöne Weihnacht ermöglicht zu haben, war das große Geschenk an uns.
Der erste Weihnachtsfeiertag war eine mindestens genau so wichtige Erfahrung. Auch wenn die späte Christmette und das anschließende Beisammensein der Noviziatsgemeinschaft bis in die Nacht gingen, waren wir am nächsten Morgen wieder gefordert, denn wir empfingen Gäste aus den benachbarten Jesuitenkommunitäten sowie der Hausgemeinschaft in Gries. Statt sich bei der Familie den Bauch voll zu schlagen, waren wir Novizen nun Gastgeber. Zugegeben: die Hauptlast trug natürlich unsere Köchin Frau Heilmann, aber dennoch war auch dieser Teil des Festes eine „Weihnacht für andere“.
Weihnachten im Noviziat ist eine Weihnacht mit anderen für andere. Statt mit der Familie oder der Kommunität feiern wir Weihnachten mit Menschen, die wir kaum kennen. Das erfordert von uns Vertrauen, doch der Einsatz lohnt sich, denn das Vertrauen, mit dem wir beschenkt wurden, war es allemal wert!