Wie werde ich gut alt? Diese Frage stellt sich P. Hermann Kügler SJ, Seniorendelegat der Jesuiten, zum internationalen Tag der älteren Menschen. Für jeden Lebensabschnitt gibt es Bereiche, die dem Leben Sinn geben. Bis etwa zum 20. Lebensjahr sind Freunde zentral wichtig, um die 30 ist es der Partner, die Partnerin. In der Lebensmitte spielt die Arbeit eine große Rolle. Doch was kommt danach?
„Ich möchte mit Ihnen herausfinden, wie ich gut alt werden und dann sterben kann“, sagt mir der liebenswürdige, hoch reflektierte und voll präsente 93-jährige. Weder Gehstock noch Rollator braucht er. Den Weg hat er mühelos gefunden und benötigt so gut wie keine Unterstützung durch seine auch nicht mehr ganz jungen Kinder. Ich bin beeindruckt! Er erwartet zu seiner Frage auch keine „guten Ratschläge“ von mir. Sondern er merkt einfach, dass er nun wirklich an den Lebenspol der „alten“ Alten gerückt ist.
Wir haben heute in den industrialisierten Ländern die Situation, dass die Lebensspanne „Alter“ für die meisten Menschen immer länger wird. Rund acht Jahrzehnte stehen für eine Lebenszeit statistisch zur Verfügung. In Deutschland gibt es derzeit etwa 16.000 Über-100-jährige. Als Bismarck im Jahre 1889 die Rentenversicherung einführte, hatten die damaligen Rentenempfänger im Durchschnitt 2 Jahre lang einen Nutzen davon, heute sind es 20 Jahre. (Allerdings lag die durchschnittliche Lebenserwartung damals bei etwas über 40 Jahren.) Wenn jemand mit dem Rauchen und Trinken Maß gehalten und nur wenig Übergewicht hat, dann sind von diesen 20 Jahren mindestens die Hälfte gute Jahre. Die jungen Alten müssen nicht mehr die Schwere der Verantwortung tragen und sind nicht pflegebedürftig.
Wer am Lebenspol der jungen Alten ist, neigt oft dazu, diese Lebensphase soweit wie möglich nach hinten auszudehnen. Etliche geben sich z.T. gar nicht die Erlaubnis, alt zu werden. Denn ihnen ist bewusst, dass sie keinen Nachfolger bekommen werden und niemand ihre für die Menschheit oder das Reich Gottes so immens wichtigen Aufgaben übernehmen wird!
Manche Menschen, die von den jungen Alten irgendwann zu „alten Alten“ werden, verhalten sich bisweilen – leider – störrisch und unflexibel. Wenn die Wirklichkeit nicht so ist, wie sie sie gerne hätten, dann jammern und lamentieren sie. Einige ticken regelrecht aus und zerren an ihren erwachsenen Kindern oder an anderen Hilfs- und Unterstützungspersonen. Es ist aber kein blindes Schicksal, rechthaberisch und kleinlich zu werden. Ich bin zutiefst überzeugt: Man muss beizeiten anfangen, sich gut aufs Alter vorzubereiten – also schon als junger Alter, am besten noch früher.
Gut gesicherte Untersuchungen zeigen, wie sich die sinngebenden Lebensbereiche für Menschen verschiedener Altersstufen ausprägen. Bis etwa zum 20. Lebensjahr sind Freunde zentral wichtig, um die 30 ist es der Partner, die Partnerin. In der Lebensmitte spielt die Sinnstiftung durch Arbeit eine große Rolle, ab etwa dem 60. Lebensjahr die eigene Gesundheit, aber auch gelebter Altruismus. Und etwa ab dem 70. Lebensjahr liegt eine große Sinnerfahrung in der Natur und in der persönlichen Spiritualität.
Die gute Nachricht: diese neuen Bereiche treten mit dem Alter fast von selber in den Vordergrund. Die Zufriedenheit mit dem eigenen Lebenssinn steigt wieder auf die gleichen Werte wie in der Jugend - trotz deutlich geringerer Lebenserwartung. Der Stellenwert von Spiritualität als potentiell sinngebendem Bereich lässt sich in der vorgerückten zweiten Lebenshälfte gut erkennen.
Unter „Spiritualität“ verstehe ich im weitesten Sinn das Bedürfnis und die Fähigkeit des Menschen, Ereignissen eine Bedeutung zu geben. Spiritualität ist die Fähigkeit, mit der wir uns vor Sinnlosigkeit schützen. Spirituell handlungsfähig sind wir Menschen, wenn wir bewusst und souverän mit unseren spirituellen Ressourcen umgehen können. Diese zu entwickeln ist eine zentrale Herausforderung für ein gutes Leben im Alter.
Dazu eine Idee aus der christlichen, näher hin aus der ignatianischen Spiritualität. Ignatius beendet sein Buch der Geistlichen Übungen mit der „Betrachtung, um Liebe zu erlangen“. Er regt darin an, dass ich mir die empfangenen Wohltaten Gottes, der mich geschaffen, erlöst und persönlich berufen hat, ins Gedächtnis rufe. Ich erwäge dann, „wieviel Gott unser Herr für mich getan hat und wieviel er mir von dem gegeben hat, was er hat, und wie weiterhin derselbe Herr sich mir zu geben wünscht, so sehr er kann.“
Der anfangs genannte beeindruckende 93jährige entdeckte genau das, was Ignatius da vorschlägt. Sinngemäß sagte er: „Die Vollendung meines Lebens besteht wohl darin, dass Gott sich mir selber mitteilen will und dass ich vorbereitet werde, diese Gabe Gottes zu empfangen, um so einmal ganz mit ihm verbunden zu sein.“
Ich gebe aber gerne zu, dass nicht alle Menschen zu einer solchen Sinnfindung gelangen. In Extremsituationen des Lebens bleibt auch für einen intensiv spirituell suchenden und übenden Menschen oft nicht viel mehr übrig, als seine persönliche Lebenssituation auszuhalten und zu versuchen, sie mit Gott in Berührung zu bringen. Und auf dem Weg der Suche nach Gott heißt das steilste Stück Einsamkeit.