Am 24. Januar 2022 erklärten 125 engagierte Katholikinnen und Katholiken, Laien wie Kleriker, ihr gemeinsames Coming-out als queer. Gleichzeitig wurde in der ARD eine inzwischen preisgekrönte Dokumentation ausgestrahlt. Drei Jahre später lässt sich erkennen, was diese Aktion bewirkt hat. Im Interview erzählt P. Ralf Klein SJ von diesem Brückenschlag zwischen Kirche und queeren Menschen, den er und 124 weitere Katholiken vor drei Jahren durch ihr gemeinsames Outing versucht haben.
Pater Klein, wieso brauchte es eine neue Brücke zwischen der katholischen Kirche und schwulen, lesbischen, queeren Menschen?
Weil die Situation vorher viel zu lange schon im Grunde unmöglich war: eine Lebenswirklichkeit vieler Menschen, die nicht einmal von der Kirche mehr zu leugnen ist, und eine lehramtliche Position, die nur Kopfschütteln hervorruft. Die Trennung im Katechismus zwischen homosexueller Neigung und homosexueller Praxis ist völlig wirklichkeitsfremd und funktioniert auch nicht.
Warum? Weil man dann definieren müsste, was Praxis ist: Händchenhalten? Streicheln? Küssen?
Genau. Daran sieht man, wie absurd das wird, wenn Neigung keine Sünde sein soll, Handlung aber schon. Diese Unterscheidung kann man nicht durchhalten und es ist auch nicht christlich, zu sagen: Da ist etwas von Gott im Menschen angelegt worden, das nach Verbindung und Liebe strebt, das darf aber nicht gelebt werden. Eine solche Haltung diskreditiert die Liebe zwischen Menschen. Hinzu kommt, dass die Kirche gegen ihr eigenes Prinzip verstößt, wenn sie homosexuelle Männer allein deshalb nicht zur Priesterweihe zulässt, wenn sie sich als schwul zu erkennen geben, auch wenn sie zölibatär leben wollen.
Kann man OutInChurch als einen erzwungenen Brückenschlag bezeichnen?
Erzwungen sicher. 125 Menschen sind aufgestanden und haben gesagt: Hey, wir sind alle engagierte Katholikinnen und Katholiken, wir sind mitten unter euch, akzeptiert das! Insofern war es, um im Bild zu bleiben, eigentlich kein Brückenschlag.
Also nicht hin zu einem „anderen Ufer“, auch das ein Bild, mit dem homosexuelle Menschen lange Zeit etwas verdruckst und auch abwertend bezeichnet wurden?
Ganz genau. Es ging uns darum, zu zeigen, dass wir, wenn wir in der Kirche über queere Menschen sprechen, nicht über andere reden, sondern über uns selbst, dass queere Menschen selbstverständlich Teil unserer Gemeinschaft sind.
Ist das verstanden worden?
Ja. Das hat in der Kommunikation und im Umgang miteinander vieles zum Guten hin verändert. Und ich denke auch, dass das genau der richtige Hebel war: Indem sich die Kirche mit ihrer eigenen Wirklichkeit auseinandergesetzt hat, öffnete sie sich für die Wirklichkeit der Gesellschaft, wie wir sie heute ganz normal finden.
Hat das auch Konsequenzen?
Ja, ein Beispiel ist das kirchliche Arbeitsrecht, das jahrzehntelang etwa die Kündigung queerer Menschen erlaubte. Das zu ändern, war zwar überfällig, aber dass das so schnell ging, hatte eindeutig mit OutInChurch zu tun.
Was muss darüber hinaus noch geschehen?
Wir müssen als Kirche gute Formen finden, wie queere Partnerschaften gesegnet werden können. Nicht irgendwie versteckt im Nebenzimmer, sondern offen in den Gemeinden als Zeichen für Gottes Segen, der auf dieser Liebe liegen soll. Das ist nichts Unheimliches, das muss in der kirchlichen Praxis ganz normal werden.
Wie ist da eigentlich der Stand der Dinge nach der offiziellen Erlaubnis durch Papst Franziskus und dem Zurückrudern des Vatikans?
Die Frage ist, welche Bedeutung das Schreiben der Glaubenskongregation hat. So klein der Schritt war, handelt es sich doch um eine Abkehr vom kategorischen Nein zur Segnung queerer Beziehungen. Wir müssen hier die Wirklichkeit in unserer Kirche nicht gut finden, aber anerkennen, dass das, was für uns in Deutschland und Westeuropa selbstverständlich ist, in großen Teilen der Welt und damit der Weltkirche völlig anders gesehen wird: In der Mehrzahl der afrikanischen Staaten sind homosexuelle Handlungen strafbar und die Tendenz der letzten Jahre ging nicht in Richtung Liberalisierung, eher Verschärfung. In vielen Ländern wird das von der jeweiligen katholischen Bischofskonferenz unterstützt. Ein offizieller Segen der Kirche für homosexuelle Paare ist in diesen Ländern eine brisante Aufforderung an die Bischöfe. Papst Franziskus hingegen hat in einem bemerkenswerten Interview die Bischöfe in der Bewertung von Homosexualität zur Bekehrung aufgerufen. Er hat nicht – und das ist der Gegensatz zu früheren kirchlichen Verlautbarungen – von queeren Menschen eine Verhaltensänderung gefordert. Wegen einer vergleichbaren Positionierung in der Frage des Kommunionsempfangs Geschiedener, die wieder geheiratet haben, ist Franziskus das Schreiben Amoris laetitia letztendlich auch um die Ohren geflogen.
Wo liegt dann die Lösung bei diesem Thema? Brauchen wir perspektivisch weniger Rom und mehr regionale Verantwortung?
Genau dahin muss es gehen, zu mehr Eigenständigkeit der Ortskirchen. Das gilt für dieses Thema und eine Reihe weiterer. Damit hat Franziskus begonnen und ich gehe davon aus, dass Leo diesen Prozess fortsetzen wird.
Wie laufen Segensfeiern bei Ihnen ab? Große Messe oder kleiner Rahmen?
Das kommt ganz darauf an, was sich die Paare wünschen. Ich mache das auch im Gottesdienst, gern unter Beteiligung der Gemeinde. Zusammen mit den Paaren suche ich nach einer guten, stimmigen Form. Ich würde niemals in der Feier sagen, dass das keine Hochzeit ist, das würde die Segensfeier als zweitklassig abwerten. Aber ich nenne den Paaren vorher zwei Bedingungen. Erstens: Wir spielen keine Eheschließung nach. Zweitens: Sie laden ihre Familien und Freunde nicht zu einer „Hochzeit“ ein, sondern zu einer „Segensfeier anlässlich ihrer Hochzeit“, die ja oft davor oder danach im Standesamt stattfindet. Das erlaubt dann auch neue Freiheiten für neue Formen.
Welche zum Beispiel?
Ich schlage den Paaren vor, dass sie eine Art Liebeserklärung abgeben: dass die Partner öffentlich aussprechen, was sie am anderen lieben, wieso sie mit ihm, mit ihr das Leben teilen wollen. Das werden dann oft sehr persönliche, berührende Bekenntnisse einer Liebe. Das gilt im Übrigen auch für wiederverheiratete Geschiedene, für die diese Segensfeiern auch oft ein ganz wichtiges, versöhnendes Zeichen sind.
Welche Bedeutung hat diese Feier für die Menschen, die Sie segnen?
Ich erinnere einen Fall in Sankt Blasien, da wurden wir von einem Paar angefragt, ob wir eine Kapelle für eine standesamtliche Trauung für sie, die beide geschieden waren, zur Verfügung stellen könnten. Das klang zunächst unsinnig, machte uns aber neugierig. Der Pfarrer telefonierte dann mit dem Paar und schlug den beiden eine Segensfeier vor, die beiden waren sofort einverstanden. Es stellte sich heraus, dass sie durch die Wahl des Ortes Gott bei ihrem Eheversprechen insgeheim mit dabeihaben wollten. Durch die Feier hat dieser Wunsch eine explizite Form gefunden.
Es sind also vor allem religiös empfindende und auch praktizierende Menschen, die den Segen wünschen, weniger kirchenferne?
Ja, ein bisschen provokativ formuliert kann man vielleicht sagen: Es gibt Menschen, die wollen schwul und katholisch sein, und beides leben. Ich bin mit einem Lehrerpaar befreundet, einer von ihnen ist ein engagierter Katholik. Der sagte einmal, dass er sein Coming-Out eigentlich in zwei Richtungen hat: In der Kirche outet er sich als Schwuler – und in seiner Community als Katholik. Das war auch eine der Intentionen von OutInChurch: Wir haben uns damit nicht nur als queer, sondern auch als katholisch geoutet, weil beides zu unseren Persönlichkeiten gehört und wir beides leben wollen. Ich hatte nach der ARD-Dokumentation eine Begegnung mit einem schwulen Prominenten, der sich in seinem Berufsfeld für die Rechte queerer Menschen einsetzt. Er sagte mir, dass er, als er den Trailer des Films gesehen hatte, in einem Interview kommentierte: „Warum treten diese Menschen nicht einfach aus der Kirche aus?“ Nachdem er den Film gesehen hatte, bat er die Redaktion, diese Bemerkung nicht zu veröffentlichen, weil er, wie er sagte, gemerkt habe, „dass sie ihre Berufung leben“.
Interview: Gerd Henghuber