Zu Bethlehem geboren,
ist uns ein Kindelein.
Das hab ich auserkoren,
sein Eigen will ich sein.
Eja, Eja, sein Eigen will ich sein.
In seine Lieb versenken
will ich mich ganz hinab;
mein Herz will ich ihm schenken
und alles, was ich hab.
Eja, Eja, und alles, was ich hab’.
O Kindelein, von Herzen
dich will ich lieben sehr
in Freuden und in Schmerzen
je länger und je mehr.
Eja, Eja, je länger und je mehr.
Dazu dein Gnad mir gebe,
bitt ich aus Herzensgrund,
dass ich allein dir lebe
jetzt und zu aller Stund,
Eja, Eja, jetzt und zu aller Stund.
Dich, wahren Gott, ich finde
in meinem Fleisch und Blut;
darum ich fest mich binde
an dich, mein höchstes Gut,
Eja, Eja, an dich, mein höchstes Gut.
Lass mich von dir nicht scheiden,
knüpf zu, knüpf zu das Band:
Die Liebe zwischen beiden
nimmt hin mein Herz zum Pfand,
Eja, Eja, nimmt hin mein Herz zum Pfand
Weihnachten ist die Zeit der Lieder. An keinem anderen Fest wird in den Familien so viel gesungen. In den evangelischen und katholischen Kirchen ist "Zu Betlehem geboren" eines der beliebtesten Weihnachtslieder. Es stammt von dem Jesuiten Friedrich von Spee (1591-1635). "Zu Betlehem geboren ist uns ein Kindelein. Das hab ich auserkoren, sein Eigen will ich sein", so setzt die erste von sechs Strophen ein: zwei Verspaare, über Kreuz gereimt. Der letzte Halbsatz wird nach dem eingeschobenen "Eja, Eja" jeweils wiederholt, was seine Wirkung verstärkt. Der Text ist von seltener Innigkeit und Schlichtheit.
In der Barockzeit liebte man Verkleinerungsformen wie "Kindelein". Das mag heute manchem niedlich vorkommen. Doch ist das keine Krippenidylle. Dahinter steckt -ähnlich wie in der Romantik - das tiefe Wissen, dass im Kleinen und Unscheinbaren das Große und Unfassbare zu finden ist. Das "Kindelein" ist "uns", der singenden Gemeinde und der ganzen Menschheit, geboren. Ähnlich wie Jesaja den Nachkommen aus der Königsfamilie dem ganzen "Volk, das im Finstern wandelt" (Jes 9,6) als demokratischen Retter ankündigt, so auch der erste Satz: Dieses Kind ist ein göttliches Weltenkind. Es fällt auf, dass nur hier ein Personalpronomen im Plural erscheint. Der folgende Duktus spielt sich zwischen Ich und Du ab.
Das gibt uns einen wichtigen Hinweis: In diesem Lied geht es um die persönliche Beziehung zu jenem "Kindelein", das immer mehr als "wahrer Gott" kenntlich wird. Die innig-zärtliche Liebe gegenüber einem Kleinkind wächst sich aus zur erwachsenen, reifen Liebesbeziehung. Diese Bewegung setzt schon in der ersten Strophe ein: "Das hab ich auserkoren, sein Eigen will ich sein." Hier spricht jemand, der eine Wahl wie bei der Kür des Königs getroffen hat. Diesem Königskind übereignet sich der Sprecher, und das aus freiem Willen. In den ersten drei Strophen hören wir fünf Mal dieses "Ich will". In den Strophen vier und sechs wird das Wollen von der Bitte abgelöst. Es geht um einen geistlichen Prozess des Einzelnen, der von Gott etwas begehrt und sich immer mehr als Empfangender Gott überlässt. "Zu Betlehem geboren" ist ein spirituelles Lied von großer Dichte.
Der Jesuit Friedrich von Spee lebte aus der Spiritualität der Exerzitien. Diese erwuchsen aus der geistlichen Erfahrung des heiligen Ignatius von Loyola (1491-1556). In den "Geistlichen Übungen", die in der Vollform 30 Tage dauern, stellt sich der Einzelne in Stille seinem Gott. Er betrachtet das Leben, Sterben und die Auferstehung Jesu und trifft eine "Wahl", eine Grundentscheidung für sein Leben. Zielpunkt des Exerzitienweges ist ein Gebet der Hingabe: "Nehmt, Herr, und empfangt meine ganze Freiheit ....". Hier ist der Geist der Neuzeit greifbar: Ein Einzelner hat Gott gefunden und überantwortet sich aus Freiheit diesem Gott. Unser Lied ist Ausdruck jener mystischen Erfahrung, zu der die Exerzitien führen wollen.
Die zweite Strophe umkreist, was Mystikerinnen und Mystiker die "Liebes-Einung" nennen. Die Seele fühlt sich unwiderstehlich hingezogen zu Gott, der klein geworden und abgestiegen ist in unsere Welt. Sie kann nur eines: die Liebe Gottes erwidern, indem sie sich selbst, ihr Herz schenkt. Friedrich von Spee ist ein geistlicher Minnesänger. Die Gottesbeziehung als innige Vereinigung mit dem Seelenbräutigam zu besingen, darin gipfelt die biblische Spiritualität. Das Hohelied der Liebe im Alten Testament ist für gläubige Juden nicht nur ein heiliges, es ist ein "hochheiliges Buch", denn hier wird das Gottesverhältnis als Sehnsucht nach dem himmlischen Bräutigam besungen.
Die dritte Strophe bekräftigt den Entschluss, bei der Liebesentscheidung zu bleiben, "in Freuden und in Schmerzen". Friedrich von Spee lebte in einer aufgewühlten Zeit: Konfessionelle Verwerfungen, der furchtbare Dreißigjährige Krieg und schließlich der Massenwahn der Hexenverfolgungen. Er schrieb dieses Lied mit verwundetem Herzen. Er deckte den Widersinn der Hexenprozesse auf und stieß dabei auf wenig Verständnis und Gegenliebe. Bei der Pflege pestkranker Soldaten in Trier steckte er sich mit der tödlichen Seuche an und starb im Alter von 44 Jahren. Dieser begabte Poet und Mystiker ging "mehr und mehr" durch die läuternde Schule des Leidens.
Und doch sang es in ihm, weil er von verzehrender Leidenschaft erfüllt war. In der Natur sah er des großen Gottes Spur. Noch größer sah er ihn am Kreuz. "Hertzopffer" ist unser Lied überschrieben, und das sagt alles über ihn. Von Weihnachtsidylle oder Weihnachtstrubel ist das weit entfernt. Die Menschwerdungs-Betrachtung der Exerzitien beginnt bei Ignatius mit einem Gespräch: Die Dreifaltigkeit sieht, wie schlimm es auf der Erde zugeht, und sie beschließt: Da muss einer von uns runter. Es ist ein Abstieg aus Liebe, und das Leiden ist der bittere Preis der Liebe. Der Jesuit Spee gab sein Leben als Opfer tätiger Liebe.
Die vierte Strophe - "Dazu dein Gnad mir gebe.." - markiert eine Wendung. Die Seele, die bisher wie mit sich selbst im Gespräch war, wendet sich bittend an den Menschgewordenen. Sie bittet "aus Herzensgrund", dass sie dem geliebten Seelenbräutigam treu bleibt. Grund zum Verzweifeln hätte auch der sensible und hochbegabte Lieddichter gehabt, weil er in verwirrter Zeit sowohl in der Kirche wie auch in seinem Orden nicht immer verstanden wurde. Doch muss er etwas von dem erfahren haben, was der heilige Paulus in den Satz kleidete: "Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir." (Gal 2,20) Von mystischer Einheit beseelt, singt unser Lied. Es stammt von einem, bei dem Christus in die eigene Existenz eingegangen ist.
"Das Wort ist Fleisch geworden" (Joh 1,14): So lautet die prägnante johanneische Weihnachtsbotschaft. Gott wird Mensch und bietet uns einen "heiligen Tausch" an: Wir sterbliche Menschen sind mit Christus hineingenommen in das Geheimnis Gottes. "Das Fleisch ist der Angelpunkt des Heiles", sagt der Kirchenvater Tertullian ("caro cardo salutis"). Als leib-seelische Wesen dürfen wir auf die Vollendung hoffen und jetzt schon das Heil erfahren: in unserem eigenen "Fleisch und Blut", aber auch in dem unserer Mitmenschen. In der aufopferungsvollen Pflege der Pestkranken hat Friedrich von Spee seine Vollendung, sein "höchstes Gut" gefunden.
Die sechste Strophe ist nach dem geistlichen Prozess, der vorausging, wie das Einlaufen ins Ziel. "Nichts kann uns scheiden von der Liebe Christi" (vgl Röm 8,39), schreibt Paulus. Die ersten drei Strophen betonten "ich will", was dann überging in die Bitte um die Gnade. Das Bitten klingt zu Beginn der sechsten Strophe noch einmal an. Mit dem letzten Satz mündet alles im Indikativ: Der Geliebte nimmt das Herz des Liebenden als Pfand. Der Prozess der Einung findet Ruhe in der Liebeseinheit. Die sehnsüchtige Braut im Hohen Lied der Liebe hat am Ende einer wechselvollen Liebesgeschichte nur eine Bitte: "Leg mich als ein Siegel auf dein Herz." Der himmlische Bräutigam möge sie ganz nah bei sich tragen. Diese Gewissheit lässt sie glauben, dass es die Liebe mit dem Tod aufnehmen kann, denn sie ist eine Flamme Gottes. (Hhld 8,6).
Wer hinter dem schlichten Text und der anrührenden Melodie unseres Liedes etwas von seiner mystischen Tiefe ahnt, kann nachempfinden, warum sich "Zu Betlehem geboren" solcher Beliebtheit erfreut: Die Ursehnsucht des Menschen nach der ewigen Liebe spricht und singt aus diesem Weihnachtslied.
P. Karl Kern SJ
Kirchenrektor St. Michael, München
Dieser Text ist freundlicherweise übernommen aus dem Weihnachtsmagazin 2018 der Mediengruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung.
Pater Karl Kern SJ stammt aus Obernburg am Main in Unterfranken. 1968 trat er mit 19 Jahren in den Jesuitenorden ein und wurde 1976 zum Priester geweiht. Er hat als Hochschulseelsorger und Gymnasiallehrer gearbeitet. Ab 1996 hat er in Nürnberg die Cityseelsorge in der "Offenen Kirche St. Klara" aufgebaut. Von 2010 bis 2022 war er Kirchenrektor der Jesuitenkirche St. Michael in München. Seitdem ist er als Seelsorger sowie für das Fundraising der Hochschule für Philosophie in München tätig.
Spiritualität ist „ein Weg zu Gott“, niemals abstrakt, sondern sie wird lebendig in jedem Menschen. Ignatianische Spiritualität bezieht sich auf die „Geistlichen Übungen“ (Exerzitien), mit denen der Hl. Ignatius von Loyola Menschen helfen wollte, Gott zu finden und ihr Leben auf Gott auszurichten. Er war überzeugt davon, dass Gott selbst in jedem Menschen wirkt und ihn in die Freiheit führen will, damit er verantwortet wählen und entscheiden kann. Ignatianische Spiritualität ist eine Spiritualität der Freiheit, der Unterscheidung und Entscheidung, und das Grundprinzip ist das Wachsen und Lernen. Sie ist eine Spiritualität der Dankbarkeit. Ignatius erlebte sich bei aller Gebrochenheit zutiefst als beschenkt, geliebt von Gott und durch Jesus Christus erlöst. Auf diese Erfahrung wollte Ignatius mit seinem Leben großherzig antworten und anderen dabei helfen, Gott in allen Dingen zu suchen und finden. Ignatianische Spiritualität ist eine Mystik des Dienstes. Die „Geistlichen Übungen“ wollen einen „Menschen für andere“ formen, wie es dem Lebensmodell Jesu entspricht.
Das wichtigste Gebet ist für den Hl. Ignatius das "Examen" oder "Gebet der liebenden Aufmerksamkeit". Er ließ diese "wichtigste Viertelstunde" des Tages niemals ausfallen. Das Gebet, das nur ca. 10 bis 15 Minuten dauert, hilft, die Spuren Gottes im eigenen Leben besser zu entdecken und das eigene Leben aufmerksamer mit und vor Gott zu leben. Wenn man dieses Gebet regelmäßig pflegt, verhilft es einem, das eigene Leben wahrhaftig und ehrlich anzuschauen und es so vor Gott da sein zu lassen, wie es war - ohne es zu bewerten, zu verurteilen oder zu verdrängen oder zu beschönigen, und es mit dem Blick zu sehen, mit dem Gott auf mich schaut: mit Liebe und Erbarmen.
Das Magazin „Jesuiten“ erscheint mit Ausgaben für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Bitte wählen Sie Ihre Region aus:
×