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Zwei Arten der Berufung – Paulus oder Samuel?

Wie finden wir zu unserer wahren Berufung? Suchen wir ein einmaliges Erlebnis, das unser ganzes Leben auf den Kopf stellt, wie bei der Bekehrung des Saulus zum Paulus? Oder folgen wir Samuel in seinem schrittweisen, stetigen Prozess?

Die Suche und die Erfüllung unserer Berufung war für unseren Ordensgründer Ignatius eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Aufgabe des Menschen. Denn mittels der Berufung findet der Mensch die ihm eigene Art und Weise, sein Lebensziel umzusetzen. Für Ignatius heisst das: Gott loben, ehren und dienen und und damit seine Seele retten. Oder mit anderen Worten ausgedrückt: ein erfülltes, gelungenes und sinnerfülltes Leben führen, je nach Talent und Möglichkeiten – im Wissen, dass unser Leben ein Geschenk ist und nicht allein von uns selber abhängt.

Aber es ist so eine Sache mit der Berufung. Das Wort verrät es schon: Es ist ein Passiv. Wir rufen nicht, sondern werden berufen. Das heisst, es hängt nicht alleine von uns ab. Und den Zeitpunkt bestimmen wir auch nicht selber.

Wenn ich mit meinen Mitbrüdern rede, dann gibt es zwei grundsätzliche Geschichten. Die einen erzählen von einem bestimmenden Ereignis, einem Moment, der in ihnen die Berufung zum Jesuiten geweckt hat und von dem sie sagen, dass es der Auslöser gewesen ist, ihr Leben ganz in den Dienst Gottes und der Menschen zu stellen. Die anderen können es nicht so genau festlegen und sprechen lieber von einem langsamen und stetigen Prozess, in dem sich immer klarer gezeigt hat, wo ihr Weg hinführt.

Das finde ich spannend und als Historiker ziehe ich gerne Vergleiche mit der Geschichte, in der es genauso zu und her geht. Einerseits gibt es die klaren Ereignisse (auch wenn sie im Moment vielleicht gar nicht so klar erscheinen), zum Beispiel den Sturm auf die Bastille, der gerne als Auftakt der Französischen Revolution gesehen wird. Andererseits gibt es die Prozesse, die langsam und stetig Form annehmen, bis sie irgendwann „da“ sind, zum Beispiel das ökologische Bewusstsein in der Gesellschaft (auch wenn man bestimmt auch da einzelne Daten und Ereignisse finden könnte).

Wie finden wir aber nun unsere Berufung? Werfen wir einen Blick in die Bibel. Dort gibt es ebenfalls zwei Varianten: den Blitz-und-Donner-Moment und den schrittweisen Prozess. Der erste Weg spielt tatsächlich auf einer Strasse: Saulus ist auf dem Weg nach Damaskus. Christus begegnet dem eifrigen und gesetzestreuen Christenverfolger und wirft ihn buchstäblich aus der Bahn (nämlich von seinem Pferd). Saulus erblindet (Zeichen seiner bisherigen Blindheit gegenüber seiner eigentlichen Berufung?) und wird durch einen Akt der Nächstenliebe geheilt. Er erkennt seine wahre Berufung in der Nachfolge Christi und wird Apostel und Begründer zahlreicher Gemeinden im östlichen Mittelmeerraum. Umgangsprachlich wird so aus Saulus Paulus (obwohl er nach Apg 13,9 schon immer unter beiden Namen bekannt war).

Der zweite Weg ist die Berufungsgeschichte des Propheten Samuel (1 Samuel 3). Der junge Samuel ist Schüler des Hohepriesters Eli und tut seinen Dienst im Heiligtum von Silo. In der Nacht ruft Gott ihn dreimal und dreimal rennt Samuel zu Eli. Jedes Mal verkennt Samuel die Stimme Gottes und meint, sein Lehrer hätte ihn gerufen. Beim dritten Mal erkennt Eli, dass es sich um Gott handelt und sagt seinem Schüler Samuel: „Geh, leg dich schlafen! Wenn er dich ruft, dann antworte: Rede, HERR; denn dein Diener hört.“ (1 Sam 3,9). Genauso geschieht es und Samuel wird von Gott zum neuen Propheten Israels eingesetzt.

Nun wird nicht gleich jeder Mensch Apostel oder Prophet (auch wenn sich einige Leute gerne so sähen…). Und doch steckt in jeder Berufung etwas Apostolisches und Prophetisches. Denn es geht bei unserem Suchen um das, was uns in die Welt (und aus uns selber) hinausschickt – das Apostolische. Gleichzeitig verkünden wir mit dem Ja zur Berufung unsere Überzeugung, dass wir hinter dieser Sache stehen – das Prophetische.

Vielleicht dauert es viele Jahre und vielleicht braucht es ein paar Anläufe und Umwege, um unsere Berufung zu finden. Aber wenn die Klarheit kommt, sei es als Blitzlicht oder in immer deutlicheren Zeichen, dann müssen wir Kairos, die Gelegenheit, beim Schopf packen und entsprechend handeln. Natürlich heisst das nicht, Hals über Kopf und unüberlegt etwas Neues zu beginnen. Paulus brauchte ein paar Tage, um sein Erlebnis zu verarbeiten und er erhielt Rat und Hilfe von Hananias, um zu verstehen, was mit ihm geschehen war. Bei Samuel war es Eli, der ihm den entscheidenden Rat gab. Denn so wichtig die Inspiration und die Klarheit, so wichtig ist es auch, das Erlebnis zu reflektieren und so von einem einfachen Erlebnis zu einer hilfreichen Erfahrung zu gelangen. Dabei hilft die Aussprache mit einem Menschen unseres Vertrauens. 

Ein Wort zu meiner eigenen Berufung. Ich bin ganz der Samuel-Typ. Kein grosses Aha-Erlebnis, keine Erleuchtung mitten auf der Strasse oder in der Messe. Kein Jesus, der mich mitten auf dem Weg ansprach. Nein, Gott rief mich mehrfach, ohne dass ich ihn gleich hörte oder auf die richtige Fährte geriet. Aber stetig wuchs in mir das Bewusstsein, dass mich etwas zu Ihm hinzieht. Und schliesslich gab es eine Klarheit, die nicht mehr wegzubringen war. Dabei haben mich einige meiner jetzigen Mitbrüder, aber auch andere wichtige Personen in meinem Umfeld begleitet.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihre Berufung suchen, finden und leben können. Ich wünsche Ihnen auch Menschen Ihres Vertrauens, um sich über Ihre Berufung auszutauschen. Und wenn es ein ganzes Leben lang dauert, macht das nichts. Wir Menschen sind da, um berufen zu werden – die einen früher, die anderen später mit der Ahnung im Herzen, was erfülltes Leben ist.

Weiterführende Links, Quellen, Infos:
App: Vocaris – Finde Deine Berufung!, Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz, auch hier 
Stefan Kiechle SJ: „Sich entscheiden“, (Ignatianische Impulse Bd. 23, hg. von Stefan Kiechle SJ und Willi Lambert SJ), Echter Verlag, Würzburg
Josef Maureder SJ: „Mensch werden - erfüllt leben“, (Ignatianische Impulse Bd. 23, hg. von Stefan Kiechle SJ und Willi Lambert SJ), Echter Verlag, Würzburg

Zur Person:

Mathias Werfeli SJ

Mathias Werfeli wurde 1977 in einer reformierten Familie in Basel in der Schweiz geboren. Er studierte Geschichte und Anglistik an der Universität Basel. Schon während des Gymnasiums interessierte er sich für die ostkirchliche Spiritualität und Liturgie und sang im Chor der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Gemeinde in Zürich mit, in die er nach 15 Jahren übertrat. Gleichzeitig nahm er auch am Leben der Katholischen Hochschulgemeinde der Universität Basel teil, wo er die Jesuiten und die Spiritualität der Exerzitien kennen- und schätzen lernte. 2015 trat er in den Jesuitenorden ein. Nach seinem Studium der Theologie und Philosophie in Paris absolvierte er ein Praktikum-Jahr in der Hochschulgemeinde aki in Zürich. Seit 2022 studiert er am Päpstlichen Orientale-Institut in Rom.

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