Die Belastungen bei den Geflüchteten, denen ich begegne, sind oft sehr groß. Mir ist es wichtig, die Menschen, denen ich begegne, ernst zu nehmen, ihnen Wertschätzung und Respekt entgegen zu bringen. Nicht alle Geflüchteten haben den Anspruch auf einen Schutzstatus. Und dennoch haben sie oft vieles erlebt, das für sie persönlich extrem belastend ist und das sie zu dem Entschluss gebracht hat, ihr Herkunftsland zu verlassen, da sie sich ein weiteres Leben in diesem Land nicht mehr vorstellen können. Z.T. sind sie mit ihren Sorgen ganz allein. Nicht immer finden sie andere Geflüchtete, mit denen sie über ihre Situation sprechen können. Und auch ein Kontakt zu Angehörigen ist nicht immer möglich. Manchmal sehen sie sich selbst gezwungen, ihren Verwandten zu erzählen, dass es ihnen gut gehe – auch wenn sie gerade sehr verzweifelt sind – denn zu hoch sind die Erwartungen der Verwandten, die ggf. noch auf Geldtransfers warten, zu groß wäre der Gesichtsverlust, wenn sie eingestehen müssten, dass sie gerade ganz am Boden sind, dass ihre Zukunft ungewiss ist und dass sie angesichts der Tatsache, dass sie nichts tun können und zum Warten verurteilt sind, depressiv werden.
Wenn ich diesen Menschen begegne, ist es mir wichtig, zunächst einmal da zu sein, ihnen Zeit zu geben, um sich ausdrücken zu können, ihnen einen Raum anzubieten, in dem sie erzählen können, aber nicht müssen, mich mit ihnen über die kleinen und großen Lichtblicke zu freuen, die es doch auch immer wieder gibt und mit ihnen den Schmerz auszuhalten, wenn sich etwas nicht ändern lässt. Ich möchte diese Menschen mit ihrer je individuellen Geschichte ernst nehmen. Und ich erlebe, dass genau diese Erfahrung für viele Geflüchtete bedeutsam ist. Gesehen und gehört werden, respektiert und ernst genommen werden, das ist für viele eine wichtige Grunderfahrung, um sich innerlich wieder ein wenig aufrichten zu können, um langsam wieder Boden unter den Füßen zu spüren und das Leben Schritt für Schritt wieder mehr in die Hand nehmen zu können.
Als Seelsorgerin stehe ich für viele Geflüchtete stellvertretend für die Kirche. Wenn ich den Geflüchteten begegne, frage ich sie nicht nach ihrer Religion. Ich bin für die Menschen da, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit. Und gleichzeitig bin ich sehr wohl auch Ansprechperson, wenn sich jemand für den christlichen Glauben oder den interreligiösen Dialog interessiert. Die meisten der Geflüchteten in der Erstaufnahmeeinrichtung sind Muslim*innen, doch es gibt auch einen nicht unerheblichen Anteil an Christ*innen. Und nicht selten bringen diese einen sehr lebendigen Glauben mit. Die spirituellen Hintergründe und kulturellen Ausdrucksformen sind unterschiedlich. Doch in der Tiefe gibt es einen Glauben, der uns verbindet. Für einen Teil der Geflüchteten ist ihr Glaube eine wichtige Kraftquelle, eine Kraftquelle, die sie den Weg bis hierher überhaupt durchstehen hat lassen. In Gesprächen und Bibelgesprächen mit ihnen, möchte ich ihnen einen Raum eröffnen, in dem sie mit dieser tiefen Hoffnungsquelle in sich in Berührung kommen können. Und ich staune immer wieder, wie wir uns oft auch über sprachliche Hürden hinweg auf einer tieferen Ebene verstehen.
Accompany, serve, advocate – diese drei Schlüsselworte kennzeichnen den Grundauftrag des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes und sie entsprechen auch meinem Ansatz, wie ich den Geflüchteten begegnen möchte. Ich möchte zusammen mit anderen diese Menschen begleiten, ihnen konkrete Unterstützung anbieten und für ihre Rechte eintreten. Dabei müssen diese unterschiedlichen Dimensionen Hand in Hand gehen. Wenn sich eine Person als wahrgenommen, als angenommen und ernst genommen erfährt, wenn sie ein soziales Umfeld hat, das sie stützt, dann wird die Person auch leichter fähig, sich all den Schritten zu stellen und diese anzugehen, die notwendig sind, um die asylrechtliche Situation zu klären und ihr Leben im neuen Umfeld zu gestalten.
In der 32. und dann in der 34. Generalkongregation der Jesuiten wurde der Einsatz für Glaube und Gerechtigkeit stark hervorgehoben. Diese beiden Dimensionen lassen sich für Jesuiten und auch für mich als Ordensfrau einer ignatianischen Gemeinschaft, der Kongregation der Helferinnen, kaum voneinander trennen. Gelebter Glaube bedeutet für mich nicht Rückzug in eine kleine, heile Welt, sondern er lädt vielmehr ein, ja fordert heraus, mich in dieser Welt für die Würde des Menschen und für mehr Gerechtigkeit einzusetzen. Mein Einsatz für Gerechtigkeit nährt sich aus dem Glauben an einen Gott, für den jeder Mensch kostbar ist, der allen Menschen Lebensperspektiven eröffnen möchte und der keine Grenzen macht zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft. Die Verbundenheit aller Menschen über Grenzen hinweg ist unserer Ordensgemeinschaft ein wichtiges Anliegen. Wir möchten Menschen begleiten, mit ihnen hoffen und für sie eintreten – insbesondere in und durch Situationen der Krise und des Umbruchs hindurch – damit Menschen sich innerlich und äußerlich neu aufrichten können, ein erstes, zaghaftes Lächeln zu einer gefestigteren Hoffnung wachsen und Leben zur Entfaltung kommen darf.
*Name geändert
Sr. Regina Stallbaumer sa arbeitet seit 3 Jahren beim JRS als Seelsorgerin in der Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt.