Wozu sind eigentlich Schulen da? Um Bildung zu vermitteln, sagen die einen. Um Persönlichkeiten reifen zu lassen, die anderen. "Für beides!", sagen ignatianisch geprägte Schuleinrichtungen. Wie das gelingt und was Persönlichkeitsbildung ausmacht, vermittelt das Projekt...
Die Zeitreise muss gar nicht weit sein: Wer hätte vor dreißig Jahren gedacht, dass wir praktisch überall Nachrichten empfangen können, Computer uns bei Stau alternative Fahrtrouten vorschlagen, automatisch unsere Termine verwalten oder vorschlagen, welches Kleidungsstück zu uns passen könnte. Die Digitalisierung verändert die Welt - und bei aller Unberechenbarkeit dieser Entwicklung ist klar: Der Eingriff in unser Leben und unsere Gesellschaft wird immer tiefgreifender und schneller vonstattengehen.
Das hält Forschungszentren auf Trab, aber auch Schulen. Denn die stehen in der Pflicht, junge Menschen auf diese veränderte Welt vorzubereiten. Nun könnte man vorschnell reagieren und Schülerinnen und Schüler einfach mit Geräten und Software vertraut machen.
"Mal schnell einen Internet-Kurs einrichten und darauf hoffen, dass das ausreicht: Das wäre ein Holzweg. Wer junge Menschen zu Anwendern macht, ist zum Scheitern verurteilt, sobald der nächste Innovationssprung kommt. Allein nur Technikwissen zu vermitteln, das wäre zu wenig. Es kommt darauf an, dass Menschen sich zu Gestaltern der neuen Welt entwickeln. Und dazu braucht es Persönlichkeitsbildung." Tobias Zimmermann SJ kennt als Rektor des Berliner Canisius-Kollegs den Schulalltag und die Herausforderungen für das pädagogische Konzept. Die ignatianischen Schulen in Deutschland stehen zu dieser Fragestellung im lebendigen Austausch mit dem Zentrum für Ignatianische Pädagogik (ZIP), das im HPH angesiedelt ist.
Basierend auf den Impulsen und Fragestellungen aus der Praxis hat das ZIP nun ein neues Projekt ins Leben gerufen: "HumanismusPlus". Dabei ist auch eine Zusammenarbeit mit dem "Jubilee Centre for Character and Virtues" der Universität Birmingham entstanden. Das Institut erfährt in Großbritannien und darüber hinaus großes Ansehen, weil es Fachleute aus der ganzen Welt zum Thema Pädagogik und Charakterbildung vernetzt.
"Nicht jeder Person, die sich mit unserem Ansatz beschäftigt, ist der religiöse Zugang offen. Mit dem Jubilee Centre haben wir den perfekten Partner gefunden, der säkular beschreibt, was uns mit unserem religiös-christlichen Zugang wichtig ist. Das Modell unserer Partner können wir gut mit ignatianischen Aspekten ergänzen. Die Begegnung zweier Welten macht die Zusammenarbeit so spannend - und auch so wertvoll für beide." Ulrike Gentner, die gemeinsam mit Johann Spermann SJ das ZIP leitet, blickt begeistert auf die gegenseitigen Impulse. "Christlich geprägte Schulen erfahren manchmal das Vorurteil, altmodisch zu sein. Doch im Blick auf Persönlichkeitsbildung sind sie enorme Kompetenz- und Erfahrungsträger."
Aber was genau ist denn nun Persönlichkeitsbildung - und wofür steht das "Plus" im Namen des ZIP-Projekts?
Vernetzung auf internationalem Parkett: Ulrike Gentner und Johann Spermann SJ aus dem HPH sowie Tobias Zimmermann SJ, Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin (Mitte), in Windsor Castle. Die Delegation des Zentrums für Ignatianische Pädagogik stellte Ende Mai auf der Tagung "Connecting Theory with Practice in Character Education" unter anderem das Projekt "HumanismusPlus" vor und tauschte sich zu den Chancen einer persönlichkeitsbildenden Erziehung an Schulen aus. Die Universität Birmingham und dessen "Jubilee Centre for Character and Virtues" haben den Kongress organisiert und dazu nach Schloss Windsor eingeladen.
"Persönlichkeitsbildung bedeutet, Selbstbewusstsein zu entwickeln, sich also im Wortsinne seiner selbst bewusst zu werden, eigene Potenziale kennenzulernen, zu reflektieren und zu entfalten. Dieser Prozess der Ausformung von Charakter umfasst intellektuelle, moralische und staatsbürgerliche Tugenden, die durch Gestaltungstugenden wie Motivation, Widerstandsfähigkeit und Teamfähigkeit angetrieben werden. Im Verbund münden diese Tugenden in praktische Klugheit. Ignatianisch gesprochen in der Unterscheidung" erläutert Johann Spermann SJ die Prägung des pädagogischen Ansatzes.
Das "Plus" in diesem Konzept: Zu den humanistischen Werten und dem Ansatz der positiven Psychologie kommt das christliche Wertegerüst. Der Gottesbezug gibt Hoffnung und Trost in schweren Zeiten; der Gottesbegriff führt zu einer Haltung, die bei allem Optimismus auch die Begrenztheit des Ichs anerkennt und weiß, dass der Mensch Teil der Schöpfung ist. Ein Ziel Ignatianischer Pädagogik ist es Menschen zu lehren, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und nicht nur kurzfristige Interessen, sondern auch lang angelegte Entwicklungen zu gestalten. Mit ihr lernen Menschen Spannungen auszuhalten, andere Positionen zu kennen und zu schätzen, aber auch mit Entschiedenheit und Demut durchs Leben zu gehen.
Eins ist klar: Für die Zukunft gibt es kein Patentrezept, keinen Regelkatalog - dazu sind die Welt und das Leben zu komplex. "Aber wenn wir junge Menschen fit machen, mit wachem Geist Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern für die Gesellschaft zu übernehmen, dann können wir mit Zuversicht den Herausforderungen entgegensehen. Dafür steht unser Motto: Im Geist, mit Herz und Hand. Wenn Schule dazu beiträgt, ist es das Beste, was sie leisten kann", ist Tobias Zimmermann SJ überzeugt.
Seit Jahren ist das Zentrum für Ignatianische Pädagogik (ZIP) am Heinrich Pesch Haus Ludwigshafen einer der wichtigen Weiterbildungs-und Entwicklungspartner für christliche Schulen im deutschsprachigen Raum. Es begleitet Profilentwicklungsprozesse, qualifiziert Fachkräfte und sorgt für Qualitätsgewinn durch Vernetzung.
Kontakt:
E-Mail: zip(at)heinrich-pesch-haus.de
www.zip-ignatianisch.org