Botschaft an Jesuiten im Kriseneinsatz

Radikales Zeugnis über Kontinente hinweg

Die Hauptaufgabe der 215 Jesuiten, die sich vom 2. Oktober bis zum 12 November vergangenen Jahres zur 36. Generalkongregation in Rom versammelt hatten, bestand darin, einen neuen General zu wählen. Nach der Wahl des Venezolaners Pater Arturo Sosa SJ standen ordensinterne Sachgeschäfte an, zum Beispiel Fragen der Leitungsstrukturen. Ausserordentlich war die Begegnung mit Papst Franziskus, der dem Orden wider Erwarten keine speziellen Aufgabenfelder ans Herz legte, sondern die Jesuiten vielmehr dazu anhielt, ihrem Ordenscharisma treu zu sein. Ihren Einsatz für Kirche und Gesellschaft sollten sie in der Nachfolge des kreuztragenden Christus und aufgrund der Unterscheidung der Geister angehen. In diesem Sinne verabschiedete die Generalkongregation denn auch zwei Dekrete, die in den kommenden Jahren allen Jesuiten Orientierung geben.

Ganz unerwartet und einmalig in der bald 500-jährigen Ordensgeschichte ist im Verlauf der Generalkongregation die Idee aufgekommen, einen Brief an jene Jesuiten zu verfassen, die in Konfliktzonen und in Kriegsgebieten arbeiten. Jesuiten sind in Syrien, im Süd-Sudan und anderen Gebieten Afrikas, in Afghanistan, im Irak, in der Ukraine und auch sonst vielerorts tätig. Nicht nur der Jesuiten-Flüchtlingsdienst JRS ist im Orden weltweit breit abgestützt. Auch Soforthilfe, Vermittlungstätigkeit und Versöhnungsarbeit wird von verschiedenen Institutionen des Ordens in Kriegsgebieten geleistet, sowie das Geschehen vor Ort dokumentiert. Unter den in Rom anwesenden Jesuiten waren zudem Provinziale, die in Krisengebieten den Orden leiten. Aber auch Mitbrüder, die am eigenen Leib und in der eigenen Familie kriegerische Gewalt erlebt haben, gehörten zur Versammlung. So wurde in einer Plenarsitzung der Generalkongregation rasch entschieden, dass ein Komitee einen entsprechenden Briefentwurf vorlegen solle.

Der Entwurf war ein Wurf! Er wurde sogleich mit grosser emotionaler Zustimmung von allen Anwesenden aufgenommen. Nach kurzer Diskussion und ein paar wenigen Verbesserungen konnte der Brief im Plenum verabschiedet werden. Er trägt den Titel "Ihr Zeugen der Freundschaft und Versöhnung. Eine Botschaft an und ein Gebet für Jesuiten, die in Kriegs- und Konfliktgebieten leben". Der Brief beginnt mit Versen aus dem Eröffnungskapitel des zweiten Korintherbriefs, wo Paulus den Trost weiterschenkt, den er selbst von Christus erhalten hat. Dann werden zuerst freundschaftliche Grüsse und Unterstützung den Mitbrüdern zugesprochen, die oft fern der medialen Öffentlichkeit tagtäglich in Kriegsgebieten arbeiten und Gewalt ausgesetzt sind.

Auch ihren Mitarbeitenden und deren Familienangehörigen, die im Alltag die Ungewissheit mittragen und mitleiden, gelten Worte des Zuspruchs. Gefühlen der Entmutigung und Resignation, die angesichts von unlösbaren Konflikten entstehen, wird Ausdruck verliehen, denn wie leicht können sich auch Jesuiten in scheinbar auswegloser Situation allein und verlassen vorkommen. Den Mitbrüdern wird da vollstes Verständnis zugesichert. Vor allem aber wird ihre Arbeit zurückgebunden an die tiefste Berufung aller Jesuiten: Für die Versöhnung, die Christus gebracht hat, zu leben und in der Glaubensgewissheit zu stehen, dass Gott Frieden bewirken kann, wo es nach menschlichem Ermessen und rein humaner Anstrengung unmöglich erscheint. "Wer sollte uns von der Liebe Christi trennen", wird der Römerbrief zitiert.

Der Brief der Generalkongregation spricht weiter von der mitbrüderlichen Verbundenheit und davon, dass die Mitbrüder an der Front vom Leib der ganzen Gesellschaft Jesu getragen sind. Arbeit in Kriegsgebieten und Konfliktzonen sei für den Orden nicht nur ein Extremfall jesuitischen Lebens. Vielmehr werde in diesem Einsatz das Wesen der Sendung aller Jesuiten sichtbar. Dann werden einige Jesuiten beispielhaft genannt, die ihr Leben in den letzten Jahren durch Gewalt verloren haben, angefangen bei den sechs Märtyrern und ihren Mitarbeitenden in El Salvador 1989 bis hin zu Frans van der Lugt, der 2014 im syrischen Homs erschossen wurde. An Paolo Dall'Oglio wird erinnert, der seit Sommer 2013 in Syrien verschollen ist, und für die Befreiung von Prem Kumar aus den Händen der afghanischen Taliban wird gedankt.

Das Ringen um eine heilere Welt

Schliesslich folgen in dem vierseitigen Brief Passagen, die eine Selbstverpflichtung des Ordens darstellen: Weltweit sind alle Jesuiten gehalten, für die Umkehr der Menschen aus innerer Überzeugung und von ganzem Herzen zu beten. Der Orden verpflichtet sich, gerade dort das Evangelium zu verkünden, wo es am meisten gebraucht wird. Friedensarbeit und Engagement für soziale Gerechtigkeit mit allen möglichen Mitteln sollen in allen Provinzen verstärkt werden. Bereits Papst Paul VI. hatte die Jesuiten daran erinnert: "Wenn ihr Frieden wollt, arbeitet für Gerechtigkeit."

Der Schreibstil des Briefes berührt, weil darin Erfahrung im Einsatz für Menschenwürde dort, wo sie mit Füssen getreten wird, durchscheint. Er ist ein authentisches Zeugnis vom leidenschaftlichen Ringen um eine heilere Welt. Zugleich ist der Brieftext zutiefst spirituell. Alle Jesuiten, die sich in Kriegsgebiete und Konfliktregionen senden lassen, nehmen die Kraft für ihren Einsatz aus dem Glauben. Nur eine lebendige Christusnachfolge kann durchtragen und motivieren, ohne dass man verzweifelt oder zynisch wird. So schliesst der Brief denn auch mit einem Gebet, das die Mitbrüder an den Frontlinien der Gewalt unter den Schutz Gottes stellt. Für die politisch Verantwortlichen wird um den Mut zum Frieden gebetet und um Heilung an Leib und Seele für alle Menschen, die Opfer von Krieg und Gewalt geworden sind. So lauten die letzten Worte dieses einmaligen und bewegenden Dokuments schlicht: "Um all das bitten wir unseren Herrn Jesus Christus. Amen. Maria, Königin des Friedens und Mutter der Gesellschaft Jesu, bitte für uns."

Pater Christian M. Rutishauser SJ (* 1965) ist Provinzial der Schweizer Jesuiten. 1992 trat er in den Jesuitenorden ein und wurde 1998 zum Priester geweiht. Von 2001 bis 2012 war er Bildungsleiter im Lassalle-Haus Bad Schönbrunn. Der promovierte Judaist ist Delegationsmitglied der Deutschen und der Schweizer Bischofskonferenz sowie des Vatikans zur Beziehung mit dem Judentum und hat Lehraufträge für jüdische Studien u. a. an der Hochschule für Philosophie in München.

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