Der zweite Tag war den religiösen und sozialen Aspekten des Bruderschaftswesens gewidmet. Wie unterschiedlich die jeweiligen regionalen Ausprägungen auch in sozialgeschichtlicher Hinsicht sind, verdeutlichten die Beiträge für Erfurt, Franken, Westfalen und China.
Sebastian Holzbrecher (Erfurt) erforscht im Rahmen seines Habilitationsprojekts die Entwicklung der Erfurter Ordensniederlassung. Rhetorisch brillant gelang es ihm, auch Skeptiker von den Vorteilen zu überzeugen, die eine Anwendung der Netzwerktheorie auf sein Forschungsgebiet bietet, u.a. weil damit auch ein Regulativ gefunden ist, das Opponenten wie den Stadtmagistrat oder den altkatholischen Klerus berücksichtigt, die im Narrativ der jesuitischen Chronistik nicht aufscheinen. Die Bruderschaften in Erfurt, deren Funktion als finanzielle Transaktionsorte nicht unterschätzt werden darf, gewinnen unter jesuitischem Engagement im 17. Jh. in Erfurt primär religiöse und karitative Bedeutung. Holzbrechers Untersuchung befreit sich vor allem von der verengenden Perspektive, die Aufgaben und Funktionen der Jesuiten allein unter dem Ziel der Konfessionalisierung betrachtet; stattdessen sind es vier Aspekte, die seine Untersuchung in Erfurt berücksichtigt: Seelsorge (Leitourgia), Fürsorge (Diakonia), Verkündigung (Martyria) und Kirche als Vollzug der Gemeinschaft (Koinonia). Gerade in Erfurt sind nämlich keine bedeutenden Konversionszahlen zu greifen; wohl aber gelingt dort die Stabilisierung des katholischen Lebens als ein wichtiges Ziel. Dass der innere Zusammenhalt der Gruppe gestärkt wird, bedeutet freilich innerhalb der Stadtgemeinschaft eine durchaus spürbare soziale Isolation.
Ludwig Remling, dessen Dissertation seit den 1980er Jahren die terminologische und methodische Grundlage für sozialgeschichtliche Forschung zum Bruderschaftswesen geliefert hat, gab eine quellenfundierte Studie zu den Besonderheiten von Bruderschaften in Franken. Sie können als ein vorwiegend städtisches Phänomen bezeichnet werden, wobei die Unterscheidung von landesherrlichen Kleinstädten und Amtsstädten mit innerstädtischer Führungsschicht sinnvoll ist. Die Patrozinien sind eher eingeschränkt; es dominieren der hl. Sebastian, die hl. Anna und der hl. Urban. Die repräsentative Funktion beim Totengedenken, beim Fürbittgebet oder auch in Prozessionen steht an erster Stelle. Die exemplarische Auswertung der Bruderschaftslisten und Steuerlisten für Kitzingen und Iphofen gibt Auskunft über den sozialen Status der Mitglieder. Damit kann die Frage, ob Bruderschaften zur Überwindung von Standesschranken beitragen, klar mit Nein beantwortet werden, weil die Mitglieder von Bruderschaften auf Ober- und Mittelschicht konzentriert bleiben: Weniger als ein Drittel der Haushalte dieser Ortschaften ist im 16. Jh. in Bruderschaften organisiert.
Ursula Olschewski (Paderborn) war leider gesundheitlich an der persönlichen Teilnahme verhindert, hatte aber mit einem ausführlichen Abstract zum Bruderschaftswesen in Westfalen Vergleichsmaterial zur Verfügung gestellt. Dort erlebten die Bruderschaften im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts einen von Orden, Stiften und Diözesanbischöfen geförderten Aufschwung, wobei die Rosenkranzbruderschaften und die Marianischen Kongregationen sowie die Todesangst-Christi-Bruderschaften die größte Bedeutung unter den religiösen Vereinigungen hatten.
Claudia von Collani (Würzburg) führte in die Situation der Christen in Japan und China ein. Das Akkommodationsprinzip der jesuitischen Mission erweist sich als erfolgreich, indem in China die buddhistische bzw. konfuzianische Tradition von Bruderschaften aufgegriffen wird. Verschiedene Bruderschaften sprechen unterschiedliche Gruppen an (Kinder, Katechisten, Gelehrte); für die Christen fungieren diese Organisationsformen auch als Ehevermittlung. Vor allem bis zur Mitte des 17. Jhs. (Ming-Zeit) werden die lokalen Eliten damit angesprochen, indem etwa die „sieben Werke der Barmherzigkeit“ die traditionellen Werte bestätigen. Mit dem Ritenverbot im 18. Jh. nimmt der Einfluss der Christen ab; die Laienvereinigungen halten sich besonders auf dem Land.
Zum Abschluss der Tagung gab Philipp Knäble (Göttingen) in einen Teilbereich seines Forschungsprojekts Einblick, indem er die ökonomischen Praktiken der Jesuiten in der Ordensprovinz Paraguay vorstellte. Sein besonderes Interesse gilt dabei der Analyse, welche Vorstellungen von „Wirtschaft“ und welche Praktiken bei den Jesuiten des 17. und 18. Jhs. in Südamerika nachzuweisen sind. Dazu wertet Knäble einerseits moraltheologische Literatur auf ökonomische Semantik aus, andererseits Konsultationen und Gutachten zu wirtschaftlichen Praktiken in Lateinamerika.