Jesuiten 2014-1

„Dort wohnte ein Mann namens Zachäus; er war der oberste Zollpächter und war sehr reich.“ (Lukas 19,2) Die Zöllner zur Zeit Jesu waren die Geldeintreiber der Römer. Sie entdeckten ihre Chance, an Geld und Macht zu kommen, und nahmen häufig mehr als gefordert, um sich selbst zu bereichern. Als Handlager der Besatzungsmacht und Betrüger am eigenen Volk waren sie doppelt verhasst. Profiteure oder Gefangene des Systems? Es ist wohl naheliegend, einen Banker um einen Beitrag zum Zachäus-Evangelium zu bitten. Damit ist klar: Die Banker von heute sind die Zöllner von damals. Ist das aber wirklich so? Auf den ersten Blick spricht einiges dafür, denn das Image der Banker von heute ist ähnlich schlecht wie das der Zöllner von damals. Neben Parallelen fallen auch einige Unterschiede auf. Im Gegensatz zu den Zöllnern, die Getriebene in einem System waren, das sie selbst nicht gestalten konnten, hat sich die Finanzwelt ein eigenes globalisiertes System mit internationalen Verbindungen und Abhängigkeiten geschaffen, das zwar im legalen Raum operiert, aber von den meisten Außenstehenden nicht mehr durchschaut wird. Ein wichtiger Antrieb dieses Systems ist die Gier Einzelner, die sicherlich auch bei vielen Zöllnern vorherrschte, aber heute durch das Setzen von Fehlanreizen, wie z. B. überhöhten Bonuszahlungen, noch verstärkt wird. Damit hat sich die Finanzwirtschaft von der Realwirtschaft gelöst und bewegt ein Volumen, das ein Vielfaches der durch die Realwirtschaft abgebildeten Werte ausmacht. Diese Entwicklung muss gestoppt werden. Wenn Nahrungsmittel zum Spekulationsobjekt werden und dies zum Mangel bei den Bedürftigen führt, richtet sich die Wirtschaft gegen die Gesellschaft. Die Finanzwirtschaft muss deshalb wieder der Realwirtschaft dienen, und die Wirtschaft insgesamt der Gesellschaft! Bei aller Kritik an den Banken und ihren Managern gilt aber auch: Das Klischee vom Banker als Betrüger gilt in den meisten Fällen nicht. Insbesondere das deutsche Bankensystem mit seiner mehrstufigen und dezentral gegliederten Struktur hat sich in der Krise als solide und seine Akteure als zuverlässig erwiesen. Als Mitarbeiter der Pax-Bank sei mir der Hinweis erlaubt, dass ganz besonders in den kirchlichen Banken die Balance zwischen wirtschaftlichen Erfordernissen und dem eigenen christlichen Anspruch gelebt wird. Und doch können wir alle von Zachäus etwas lernen: Zachäus stieg auf einen Baum, nahm die Vogelperspektive ein und verschaffte sich einen Überblick. Nur so konnte er Jesu Worte vernehmen: Ich muss heute in Deinem Haus zu Gast sein. Das internationale Finanzsystem bedarf dringend einer Reform. Heute, nicht morgen. Christian Hartmann Schwerpunkt 5 Jesuiten n März 2014 n Zachäus

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==