Jesuiten 2015-3

Lasset uns beten: Still werden vor dem Gebet In den Tagen nach dem Attentat auf die Zwillingstürme in New York am 11. September 2001 ordnete der Berliner Schulsenator für alle Schulen zu einem gemeinsamen Zeitpunkt am Mittag eine Schweigeminute an. Je näher die Schweigeminute rückte, umso nervöser wurden die Lehrerinnen und Lehrer: Sind die Jugendlichen vielleicht überfordert? Wie gehen wir mit den Störern um? Sollen wir „Ruhe!“ brüllen? Zerstören wir nicht gerade damit wieder die Stille? Oh je! Stille in einer Gruppe ist etwas sehr Verletzliches. Das habe ich gerade auch in vielen Schul- und Jugendgottesdiensten gelernt. Bloß äußere Stille, die mit einem Peitschenknall, mit drohendem Augenbrauenrunzeln und lauten Ermahnung erzeugt wird, klingt anders als eine Stille, in der alle wirklich still sind. Stille, in der eine Gruppe von Menschen gemeinsam schweigt, klingt auch ganz anders als Stille, die ein Mensch allein für sich in einem Raum hält. Doch gerade die geistgefüllte Stille in einer Gruppe ist der Anfang jeden gemeinsamen Gebetes. Stille ist selbst schon ein Gebet. Viele Menschen haben Schwierigkeiten mit der Stille, weil sie nicht wissen, wie das geht – still sein. An unseren Jesuitenschulen haben wir begonnen, das Einüben von Stille zu einem eigenen „Fach“ zu machen, zu einer geistlichen Übung der ganzen Schule. Dazu gehört: Eine angemessene Körperhaltung für Stille finden. Körper und Atem wahrnehmen lernen. Den Zusammenhang von Stille und Hören erleben. Aufmerksam werden für die Bewegungen des eigenen Herzens. Worte, Bilder und Geschichten aufsteigen lassen. Kinder und Jugendliche sind dankbar, wenn sie lernen, Stille als Fülle zu erleben. Störer trauen sich kaum oder gar nicht, solche Stille zu stören, je stiller, je „wärmer“ die Stille ist, die eine ganze Gruppe, ja eine ganze Schulgemeinschaft umarmen und bergen kann. Manchmal stand ich in den letzten Jahren vor Schulversammlungen, sprach das rituell eingeübte Signal aus („Nehmt bitte eine Gebetshaltung ein“), hörte, wie es im Raum mit 800 Jugendlichen von selbst still wurde, ganz still, eine Minute lang – und war glücklich. Es geht nämlich, und es bereichert alle. Ehemalige Schülerinnen und Schüler kommen zu mir und berichten, dass sie bis heute spontan bewusste Körperhaltung einnehmen, nach innen horchen und still werden, wenn im Gottesdienst der Ruf erklingt: „Lasset uns beten!“ Wenn das so ist – denke ich mir –, dann hat sich die Schulzeit an einem Jesuitenkolleg gelohnt. Klaus Mertes SJ Schwerpunkt 7 Jesuiten n September 2015 n Messe feiern

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