Jesuiten 2016-1

Kurz- oder langfristig helfen? Ein Blick auf den Leviten: „Desgleichen auch ein Levit. Der kam an den Ort, auch er sah ihn an und ging vorüber“ (Lk 10,32) Vor einiger Zeit habe ich zwei Jahre lang als Lehrer in Mexiko gearbeitet. Eines Tages war ich mit einem Mitbruder auf der Fahrt nach Guadalajara und wir kamen an eine Baustelle. Dort stand ein kleiner Junge und winkte die Autos durch die Fahrbahnverengung hindurch. Es war eine kreative Weise, zu helfen und dabei um eine kleine Spende zu bitten. Mein Mitbruder Pancho kurbelte das Fenster herunter und wollte dem kleinen Jungen Danke sagen, als dieser auch schon etwas verschämt „Una monedita“ murmelte. Daraufhin zog Pancho seine Brieftasche und legte ihm zwei Münzen in die Hand. Auf der Weiterfahrt sagte er zu mir: „Ich kann so einem Jungen nicht Nein sagen, wenn er mir einmal in die Augen geschaut hat!“ Dieser Satz blieb mir forthin im Gedächtnis. Natürlich wusste ich, dass wir dem Jungen nicht dauerhaft geholfen hatten. Für ihn wäre es besser, wenn er in eine Schule gehen könnte, anstatt hier Geld sammeln zu müssen. Indirekt hatten wir seine ungerechte Situation durch unsere Spende sogar gut geheißen. Die adäquatere und nachhaltigere Reaktion wäre es, für eine Gesellschaft einzutreten, in der Jungen wie er zur Schule gehen können. Aber zugleich war mir klar: Eine solche Gesellschaft ist noch weit weg! Wenn solche Visionen Wirklichkeit werden, werden sie dem Jungen nicht mehr viel nützen. Vielleicht konnte er sich von dem Geld zumindest eine Mittagsmahlzeit kaufen. Das Dilemma solcher Situationen ist nicht einfachhin auflösbar. Direkte Hilfe unterstützt die bestehenden ungerechten Strukturen, indirekte Hilfe wird dem konkreten Menschen, der vor mir steht, mit großer Wahrscheinlichkeit keinen Nutzen mehr bringen. Aber in dem Moment, in dem ich einer Person in die Augen blicke, blickt auch sie mir in die Augen. In dem Moment, in dem ich versuche, einen Menschen zu einem Teil meiner Welt zu machen, geschieht dasselbe auch mit mir. Als was werde ich wohl gesehen? Ein Mensch, der versucht, für einige Sekunden empathisch zu sein? Ich weiß es nicht. Deshalb sind die Orte so wichtig, an denen Begegnung geschieht, wie z.B. Suppenküchen oder Häuser der Gastfreundschaft. Hier kann Begegnung geschehen, die über einen Blickwechsel hinausgeht. Die Mitmenschlichkeit macht das Dilemma ertragbarer. Und der Horizont kann sich weiten. Matthias Kramm SJ 12 SCHWERPUNKT JESUITEN n MÄRZ 2016 n DER BARMHERZIGE SAMARITER

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