Jesuiten 2016-3

Ich selber bin mein größter Feind … … singen „Die Toten Hosen“, und sie erkennen es am Spiegelbild, „das alles nachmacht und nicht verschwindet“. Das erinnert an kleine Kinder, die hinter dem Spiegel nach der im Spiegel gesehenen Person suchen, die über das Imitationsverhalten des vermeintlich anderen Kindes irritiert sind und darauf ängstlich oder beschämt reagieren. Spätestens mit zwei Jahren ist diese Phase jedoch vorbei, die Kinder ‚identifizieren‘ sich mit dem Spiegelbild. Warum singen nun Erwachsene über diese kindliche Fremdheitserfahrung, die sie doch schon längst überwunden haben? Wahrscheinlich weil wir dieses Befremden angesichts unseres Spiegelbildes nie ganz loswerden. Wichtiger als spiegelnde Gegenstände aus Glas oder Metall, dessen glänzende, glatte Fläche unser Spiegelbild auf uns zurückwirft, sind andere Menschen als „Spiegel“. Der Kinderarzt und Psychoanalytiker Donald W. Winnicott bezeichnet den Blick der Mutter als „Vorläufer des Spiegels“: Das Kind erblickt im Gesicht der Mutter sich selbst. Ein Lächeln wird mit einem Lächeln beantwortet, ein Schmerz mit Schmerz oder Mitleiden der Mutter. Schon bevor mit den glänzenden Metall-, später Glasspiegeln auch das Wort ins Deutsche eindrang (speculum/-a, daher unser Wort „Spiegel“), nannten die Germanen diese merkwürdigen Instrumente Schattenschalen, Schattenbehälter (althochdeutsch scū-kar). Neben dem kosmetischen Aspekt hatte der Spiegel von Anfang an einen moralisch-symbolischen. Jemandem den Spiegel vorhalten heißt noch heute, ihn mit seinen Schattenseiten zu konfrontieren. C.G. Jung hat dem Schatten einen zentralen Platz in seiner Analytischen Psychologie gegeben, was insofern erstaunlich ist, als wir ihn ja bewusst eher peripher, im Rücken wahrnehmen. Den persönlichen Schatten, die Summe meiner ungelebten Möglichkeiten, der guten und der schlechten, der hellen und der dunklen, kann ich nicht abschütteln. Er ist gewissermaßen ein lästiger, mich verfolgender Doppelgänger auch dann, wenn ich ihn selbst gar nicht wahrnehme, schmerzlich aber, wenn mir jemand den Spiegel vorhält und mich mit meinen Schattenseiten konfrontiert, schmerzlich vor allem, wenn es die unangenehmen und peinlichen sind. Wir können durchaus sagen, dass mein persönlicher Schatten mein größter Feind ist. Wie also mit dem persönlichen Schatten umgehen? „Integrieren“, sagen manche, aber das ist zu leicht und wird der Hartnäckigkeit dieses Feindes nicht gerecht. Eher schon: ihn kennenlernen, um ihn so weit anzunehmen, wie mir das möglich ist. Wie geht das im Alltag? Es kommt vor, dass mir jemand den Spiegel vorhält, 12 SCHWERPUNKT JESUITEN n SEPTEMBER 2016 n MEIN FEIND

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