Jesuiten 2021-1

SCHWERPUNKT „Projekt Lebensmitte“ „Projekt Lebensmitte“ – was kann ich persönlich am richtigsten zu diesem Phänomen sagen? Auch wenn ich damals alle Mittel aufgewendet habe, um diese Zeit zu verstehen, glaube ich rückblickend, dass es nicht so einfach ist, darüber zu sprechen. Aber ich möchte es versuchen. Die Lebensmitte ist ja zuerst einmal eine Krise. Man sucht sie sich nicht aus. Sie kommt wie von selbst. Sie wirft durcheinander. Sie bringt das Unterste nach oben. Sie macht ratlos und suchend. Was bis gestern erfüllend, tragend und motivierend schien, bewirkt nun das Gegenteil. Plötzlich hat das vertraute „Lebenshaus“ Risse. Man findet sich nicht mehr zurecht. Wie lässt sich das bewältigen? Natürlich greifen wir Menschen dann zu den Hilfsmitteln, die wir kennen und mit denen wir vorher Umbrüche irgendwie überstanden haben. Aber auf einmal hilft das auch nicht mehr. Ich habe es so erlebt. Erst nach und nach entdeckte ich die Wirklichkeit. Ich habe keine besonderen Fehler gemacht und mein Umfeld vielleicht noch weniger. Es wurde mir zugemutet. Ich wurde in diesen Umwälzungsprozess einfach hineingeworfen.DurchdasLeben.Ichkann zwar biologische, körperliche, geistige oder äußere Faktoren benennen, die da einiges in Gang gebracht haben. Aber sie greifen für mich zu kurz. Es war, ist und bleibt das Leben, dem ich mich ausliefern musste. Auch wenn es mit dem Tod zu tun hatte. Meine Mutter war gestorben. Und dann noch ein guter Freund. Nach vielen Jahren konnte ich sagen: Gott hat mir das zugemutet. Aber mitten im „Gedränge“ konnte ich weder die Welt noch Gott verstehen. Erst einmal habe ich das alles erlitten. Eine Wahrnehmungsebene, die ich vorher so nicht kannte. Bis dahin erkundet der Mensch ja die Welt wie ein Kind: Der eigene Radius wird weiter, die Kräfte wachsen, die Möglichkeiten erscheinen nahezu unendlich, mindestens jedoch grenzenlos. Alles lockt zum Erkunden, Probieren, Erobern, Gestalten und Ergreifen. Das ist doch meine Welt, sagte ich mir zufrieden. Aber auf einmal stimmte das alles nicht mehr. Ich wurde an eine Grenze gestoßen. Das Leben ist verflixt endlich, verworren, unbegreiflich. Ich glaube, es nutzt der Leserin und dem Leser wenig, wenn ich jetzt erzähle, was ich gelernt habe. Ich möchte lieber davon sprechen, was mir geholfen hat, das Ganze als einen Prozess zu verstehen. Ich musste aufmerksam werden für die geistigen und geistlichen Erkenntnisse, die mir eine neue Sicht auf die Dinge gaben. Und diese Sicht gibt es, weil auch ich erkennen konnte, dass Gott mich auf eine ganz einzigartige Weise durch diesen Prozess führte. Er zeigte mir seine Begleitung, die ich aber erst einmal entziffern musste. Er schenkte mir sein Wort, das ich plötzlich unter den vielen Angeboten und Impulsen heraushörte. Es wurde 16 JESUITEN n MÄRZ 2021 n SCHWACH STARK © cathi fischer photocase.com

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