Jesuiten 2021-4

SCHWERPUNKT 16 Mein Nickerchen Zwischen 12 und 15 Uhr ist Mittagsruhe. Menschen gehen in der Pause zum Essen, und vielerorts herrscht qua Hausordnung Mittagsruhe. Für Clemens Kascholke SJ gibt es in dieser Zeit einen obligatorischen Termin: das Nickerchen. In meinem Smartphone gibt es zwei Zeittimer: einmal mit 30 Minuten mit dem Titel „Beten“ und einmal „Nickerchen“ mit 20 Minuten. Vielleicht schmunzeln Sie jetzt über diese Zusammenstellung, doch für mich verbinden sich beide Elemente sehr eng. Denn durch diese beiden reservierten Zeiten in meinem Alltag habe ich mir selbst einen Rhythmus gegeben, der positive Auswirkungen auf mich, meine Tätigkeiten und den Umgang mit anderen Menschen schafft. Bewusst spreche ich nicht vom Mittagsschlaf, da ich manchmal mein Nickerchen auch erst am Abend kurz vor der Tagesschau mache. Was beim Gebet naheliegend scheint, erschließt sich hinsichtlich des Nickerchens vielleicht nicht sofort. Deshalb möchte ich Sie an dieser Stelle an meinen Erfahrungen teilhaben lassen. An erster Stelle steht – im besten Wortsinn – natürlich die körperliche Erholung von einer lähmenden Müdigkeit, die sich bei mir zuverlässig nach dem Mittagessen einstellt. Dann genieße ich einen Kaffee, lege mich im Idealfall ins Bett oder setze ich mich zur Not mit dem Kopf an die Wand gelehnt auf einen Stuhl. Mit den Jahren konnte ich bei mir auch eine innere, ja geistliche Veränderung durch mein Nickern feststellen. Ich steige aus dem Tagestrott aus. Ich signalisiere meinem Körper nicht nur, dass er zur Ruhe kommen darf, sondern auch dass es nichts Wichtiges zu tun gibt. Die Welt dreht sich für 20 Minuten weiter – aber ich nicht. Oft sehe ich danach auf die Begegnungen und Tätigkeiten, die davor geschehen sind, mit anderen Gedanken und Gefühlen zurück. Ich bin freier geworden, gerade wenn es unangenehme Gespräche oder herausfordernde Unterrichtsstunden gewesen sind. Auch wenn es jetzt etwas pathetisch klingt, so fühle ich mich doch zukunftsoffener auf das hin, was an diesem Tag noch kommen mag. Dies hängt mit der mir sehr charmanten Interpretation des Schlafes als kleinem Bruder des Todes zusammen. Denn tatsächlich lasse ich mich in den Schlaf – zur Nacht oder zum Nickerchen – immer auch mit dem Gedanken gleiten, dass ich nicht weiß, ob ich daraus wieder in diesem Leben erwachen werde. Zum Schluss noch ein praktisches Wort gegen Ihre möglichen Einwände, dass die Sorge groß ist, in den Tiefschlaf zu fallen und danach gänzlich gerädert zu sein. Ähnlich wie das Gebet braucht auch das Nickerchen eine Übung. Über die Jahre musste ich meine Zeit – von 30 über 25 zu 20 Minuten – herausfinden und von mir selbst die Konsequenz einfordern, dass ich nach dem Klingeln des Weckers sofort wieder aufstehe. Probieren Sie es einfach aus! Clemens Kascholke SJ Geboren 1988 in Meiningen, ist nach seinem Theologiestudium in Erfurt 2011 in die Gesellschaft Jesu eingetreten. Seine Zeit als Jesuit ist vor allem mit der Jugendarbeit verbunden. Nach seinem Lehramtsstudium mit den Fächern Deutsch und Religion hat er nun sein Zweites Staatsexamen am Aloisiuskolleg in Bonn absolviert.

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