Jesuiten 2021-4

SCHWERPUNKT 19 Schlafen wie in der Steinzeit. Kein Zweifel, „Paleo“ ist heute ein Markenzeichen. Menschen in der Steinzeit, so die Vermutung, wussten genau, was es braucht, um gut schlafen zu können. Es heißt: Schlafen auf dem Boden ist gesund, es ist einfach, beruhigt und entspricht der menschlichen Natur viel mehr, als das Schlafen auf einer künstlichen Matratze. Wissenschaftliche Belege gibt es dazu nicht. Warum diese Sicht heute dennoch immer mehr Sympatisant*innen findet, hat einen einfachen Grund. Menschen brauchen einen guten und gesunden Schlaf. „Die Deutschen schlafen schlecht“, titelte vor einiger Zeit eine große Tageszeitung. Demnach leiden 80 Prozent der deutschen Berufstätigen zwischen 35 bis 65 Jahren heute unter Schlafstörungen. 80 Prozent! Psychologen und Ärzte schlagen Alarm. Unsere Gesellschaft ist zu laut und zu hektisch. Immer online sein raubt uns den Schlaf, überfordert, macht innerlich hart und krank. Wer längere Zeit keinen gesunden Schlaf findet, ist deutlich krankheitsanfälliger, neigt häufiger zu Depression, Suchtverhalten, Sprunghaftigkeit und Konzentrationslosigkeit als jemand, der einen gesunden Schlaf hat. Mit all dem scheint Jakob, der jüngere Zwillingsbruder Esaus keine Probleme gehabt zu haben. Nachdem er Bruder und Vater hintergangen hat, flieht er zu seinem Onkel nach Haran. Müde und erschöpft sucht er sich vor Einbruch der Dunkelheit einen Schlafplatz. Er legt sich auf den Boden und schläft ein. Wie, frage ich mich, soll man da entspannen und Ruhe finden? Bei Jakob scheint das alles zu funktionieren. „Dann mal gute Nacht…“! Gott, heißt es in einem Kommentar, ließ nun die Sonne untergehen, weil er mit Jakob im Verborgenen sprechen wollte. Tatsächlich hat Jakob im Schlaf einen wunderbaren Traum. Gott begegnet ihm, verheißt ihm eine rosige Zukunft und ermutigt ihn für seinen Weg. Im Schlaf findet Jakob Abstand zum Alltag. Er bekommt den Kopf frei und kann die Dinge in einem größeren Zusammenhang sehen. Während des Schlafens erschließen sich ihm Perspektiven, von denen zu träumen er zuvor nicht einmal gewagt hätte. Dies alles geschieht, als er nichts tut und nichts denkt – eben gut schläft. Gelerntes und Erlebtes wird dabei besonders gut verarbeitet, beste Voraussetzungen, um gute Entscheidungen zu treffen. Jakob kann das bestätigen. Ein Rat des heiligen Bruno, dem Gründer des Kartäuserordens, der sich in leicht veränderter Form auch in den „Geistlichen Übungen“ des Ignatius von Loyola findet, hilft mir zu einem gesunden Schlaf: vor dem Einschlafen lasse ich den vergangenen Tag wie ein Film an mir vorüberziehen. Ich vergegenwärtige mir zwei, drei Begebenheiten, für die ich besonders dankbar bin. Die damit verbundenen Empfindungen lasse ich noch einmal in mir aufsteigen. Ich „verkoste“ und „verweile“ und beende auf diese Weise den Tag. Das Sprichwort sagt: „Wie man/frau sich bettet, so schläft man/frau“. Wie wahr! Am nächsten Morgen erinnere ich mich an das, wofür ich am Vortag dankbar war und schaue, was mir im Schlaf geschenkt wurde. Manchmal spüre ich, dass sich etwas verändert hat. Weite, Gelassenheit, Zuversicht, neue Perspektiven, Klarheit, Ermutigung oder Freude stellen sich ein. Könnte dies nicht etwas mit der Begegnung, mit dem zu tun haben, von dem der Psalmist sagt: Gott ist „dein Hüter … siehe, er schlummert nicht ein und schläft nicht“ (Ps 121,3-4)? Im Schlaf können Dinge aufsteigen, können sich vertiefen und verändern. Hierfür braucht es einen Rahmen, der auf Dauer einen guten und gesunden Schlaf ermöglicht, sei es der steinharte Boden, sei es eine moderne, bequeme Matratze. Wilfried Dettling SJ 1989 in den Jesuitenorden eingetreten. Nach Studien der Philosophie und Theologie war er vor allem Referent in Bildungshäusern. Von 2012 bis 2019 war er im Exerzitienhaus HohenEichen tätig, zunächst als Exerzitienbegleiter und seit 2012 als Leiter. Seit 2020 ist er Bildungsleiter und stellvertretender Direktor des Lassalle-Hauses. © Honshovskyi Vadym shutterstock.com

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