Jesuiten 2021-4

22 Geistlich – herzlich – praktisch Christian Marte SJ über die Kurzformel der Jesuiten für das wirkliche Leben Gute Werbeslogans prägen sich ein: „Quadratisch, praktisch, gut“; gleich wissen wir: es geht um Schokolade. Von Jerónimo Nadal, einem engen Mitarbeiter des Hl. Ignatius, kennen wir die lateinische Kurzformel: Spiritu, corde, practice. Geistlich, herzlich, praktisch: so sollen Jesuiten sein. Diese Kurzformel kann für alle Getauften eine Inspiration sein. Bei Aufzählungen schaue ich immer zuerst auf die Reihenfolge. Was kommt als erstes? Wir kennen das: Wenn wir das Hemd oder die Bluse zuknöpfen, dann kommt es auf den ersten Knopf an. Wenn der richtig zugemacht ist, dann passt es auch bei allen anderen. Wenn nicht, dann schaut alles schräg aus. Pater Nadal beginnt nicht mit „praktisch“, sondern mit „geistlich“. In dieser Reihenfolge steckt die Erfahrung, dass sich die geistliche Zugangsweise nicht von selbst ergibt. Von selbst ergibt sich das praktisch Notwendige. Das Geistliche müssen wir bewusst als Sichtweise auf die Wirklichkeit wählen. Darum haben wir in der christlichen Tradition sehr viele Zeichen, die uns daran erinnern, dass wir auch geistliche Menschen sind: den Sonntag mit dem Gottesdienst, die Kirchenglocken, das Kreuz an der Halskette, der Rosenkranz in der Hosentasche. Diese Erinnerungszeichen helfen uns, bewusst eine geistliche Zugangsweise zu wählen: im Betrieb, im Büro, in der Familie, im Verein. Letztlich geht es darum zu schauen und zu spüren, was Jesus jetzt tun würde. Herzlich: ein zweiter Zugang zur Wirklichkeit. Herzlich ist mehr als nur nett sein. Herzlich hat stark mit Empathie zu tun. Ein herzlicher Mensch spürt, wie es dem anderen geht. Wie können wir herzliche, empathische Menschen werden? Wenn ich Beichte höre, dann frage ich manchmal: „Mögen Sie Cremeschnitten?“ Das überrascht mein Gegenüber. Aber mir ist es ernst mit dieser Frage. Zuerst muss ich mir selbst etwas Gutes tun. Mich selbst mögen. Dann geht es viel leichter, andere Menschen zu mögen. Wenn ich um meine eigenen Schwächen weiß, dann kann ich die Schwächen der anderen besser ertragen. Der erste Lernort dafür ist unsere Familie. Dann kommen Freunde dazu, Menschen in der Schule, am Arbeitsplatz und in den Vereinen, in denen wir uns engagieren. Überall dort gibt es Erwartungen, auch Spannungen und Enttäuschungen. Das sollte uns nicht überraschen. Entscheidend für unsere Seele ist, wie wir damit umgehen. Geistlich, herzlich, praktisch. Mit diesem Dreischritt auf den Tag schauen. Vielleicht wollen Sie es einmal versuchen. © Gorlov-KV shutterstock.com Geistlicher Impuls

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