Jesuiten 2021-4

SCHWERPUNKT 7 „Wie im Traum“ Schlaf in der Kunst: Pater Tobias Zimmermann berichtet, wie von seinem Mitbruder Michael Kampik SJ (1948 - 2016): ein Glas-, Mosaik- und Lebenskünstler. Betrat man das Zimmer von Michael, war man in einer anderen Welt: Wenige Charakter-Möbel. Darunter eine geheimnisvolle Truhe, auf der ich oft saß oder stand, wenn er für eines seiner Projekte wieder einmal ein Modell brauchte. Wie Darsteller wanderten die Möbel ständig durch den Raum. Und getrieben wie von Ebbe und Flut strömten Bilder und Papierschnitzel durch den Raum, türmten und verloren sich; Reste von Opern- oder Ballettprogrammen, Bildbänden, Fotos, die Michael auf dem Trödelmarkt erwarb. Stapel Zeichnungen. Am Grad der Auflösung von Zimmer und Bewohner ließ sich ablesen, wo er gerade unterwegs war: Mal traumwandelnd und übersprudelnd wie ein Kind im Angesicht neuer Entdeckungen. Mal aufgewühlt, die eigene Verzweiflung kaum verbergend, weil sich nicht zeigen wollte, was sich zeigen sollte. Herzliche Gastfreundschaft mit Wein, Brot und manchmal ein Stückchen Käse. Wir suchten uns ein Plätzchen, mal am Rande eines Abgrundes zum Chaos, mal mit Blick auf eine Bühne, auf der sich überraschend, neu, wie am ersten Tag, das Leben zeigte. Michael schwärmte stundenlang von der Anmut seiner Helden, Rudolf Nurejew, Vaslav Nijinsky, Heinz Bosl. Wir betrachteten seine neuesten „Versuche“, die sich traumwandelnd unter seinen Händen gefunden oder gebildet hatten. Er konnte sie sich selbst nicht reimen. Wir entdeckten sie gemeinsam: Wilde Collagen, überzeichnete Fotos, wundersame Fundstücke aus Holz und glitzerndem Glas, Mosaiksteinchen ... Kaum eine dieser fragil-glitzernden Gestalten wäre jemals unbeschadet zu bewegen gewesen. Die nächste Ideenflut riss sie ohnehin auseinander: Flüchtige Gestalten, geboren für einen Abend bei Wein und Brot, entsprungen einer wundersamen Traumwelt, die nur noch so eben die Wirklichkeit jenseits seines Zimmers berührte. Und dennoch waren sie oft wirklicher als das Getriebe und die Routinen der Stadt vor den Fenstern. Immer wieder jedenfalls haben sie in mir heilsam das Staunen geweckt über das Wunder und die Zerbrechlichkeit des Lebens. Mehr nehme ich selten mit aus den Begegnungen mit den großformatigen Schwät- zern an den Wänden von Galerien und Banken. Ein Bild habe ich ihm rechtzeitig abgeluchst. Ich hatte mal wieder Modell gestanden. Michael liebte die Geschichte des Gauklers, der sein Alter im Kloster verbringen durfte. Der hielt das stille Sitzen beim Chorgebet nicht aus. Heimlich schlich er in die Seitenkapelle. Der Abt, alarmiert von missgünstigen Mitbrüdern, fand ihn dort jonglierend. Im Publikum – unbemerkt selbst vom Gaukler, vertieft in sein Tun – der ganze himmlische Hof. Das hat Michael gefallen. Viel Freude bei Wein, Brot und Käse, Gott! Tobias Zimmermann SJ ist Priester, Jesuit und Künstler. Im Zentrum für Ignatianische Pädagogik ist er als Leiter bei Projekten der Schulentwicklung, im Coaching für Leitungskräfte und in der Fortbildung tätig. Seit Oktober 2019 wirkt er auch als Direktor des Heinrich Pesch Hauses. © Armin Staudt shutterstock.com

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