Jesuiten 2022-3

SCHWERPUNKT 14 Hoffen inmitten der Krise? Der Prophet Hesekiel wirkte 20 Jahre im babylonischen Exil. Was hat er uns zum Thema Hoffnung zu sagen? Prüfungen sind oft gleichbedeutend mit dem Tod, da sie das Versprechen auf Leben zutiefst in Frage stellen. Für das Volk der Bibel ist diese Prüfung das Exil in Babylon: Das Land und der Tempel werden von den Feinden verwüstet, der König und ein Teil des Volkes müssen ins Exil. Die Überwindung der Prüfung ist überlebenswichtig. Wie soll man hoffen und leben, wenn man sich tot glaubt? Eine Antwort darauf finden die Propheten in einer grundlegenden Feststellung: Das Überleben des Volkes hängt vom Bund mit YHWH ab, aber auch davon, ob es sich für das Leben oder den Tod entscheidet. Damit steht auch die Frage im Raum, wie das Volk mit dem Bösen und seiner Mitverantwortung dafür umgeht. Der Exil-Prophet Hesekiel kommt aus seinem tiefen Glauben heraus auf die folgende Erklärung: Die Prüfung des Exils ist das Schlussurteil im Prozess von YHWH gegen sein Volk, das sich seit seiner Befreiung aus Ägypten immer wieder von seinem Gott abwendete und ihn verriet. Eine Möglichkeit, den Dialog wiederaufzunehmen und die zerbrochene Beziehung zu heilen, ist der Weg der Justiz und der Gerechtigkeit. Dazu müsste man dem Anderen und seinen Gründen zuhören, was das Volk jedoch ablehnt. So wird das Exil zuerst zur Strafe, eine schmerzhafte, aber unerlässliche Phase, die letztendlich heilsam sein wird. Die Anwesenheit Hesekiels unter den Exilierten ist schon ein Zeichen der Hoffnung: In ihm ist YHWH gleichsam anwesend, Er, der will, dass das Leben weiterbesteht. Aber zunächst muss der Prophet die kollektive und individuelle Sünde der Ungerechtigkeit und des Götzendienstes entlarven und anklagen. Sich der Anklage zu stellen, ist ein erster Schritt, um aus der unglücklichen Situation herauszukommen. Aus dem Verstehen der eigenen Verantwortung und der Akzeptanz des Urteils entsteht neues Leben. Denn wer sich im Unglück einschließt, sieht keinen Ausweg. Nur das Hören auf YHWH ermöglicht ein positives Handeln inmitten der Krise. Sich im Unglück einzuschließen, ist das stärkste Hindernis der Hoffnung. Hesekiel warnt davor und nennt als Ausweg das Hören auf die Stimme, die auffordert, sich zu erheben und aufrecht zu stehen. Denn dies ermöglicht, die Realität wahrzunehmen, wie sie ist, und sich ihr zu stellen. Allein diese erwachsene, anpassungs- und widerstandsfähige Haltung verhindert, dass man vom Bösen und vom Tod überwältigt wird. Dies ist sicher nicht einfach, aber ein unabdingbares Merkmal des Menschen als echtem Partner von YHWH. Indem er seine Einzigartigkeit und seine Verantwortung annimmt, kann er frei an der Verwirklichung des göttlichen Plans für ein erfülltes Leben für alle, ein wahres Leben im Bund, teilnehmen. „Wie soll man hoffen und leben, wenn man sich tot glaubt?“ Elena Di Pede Sie ist Professorin für Bibelwissenschaft an der Theologischen Fakultät der Universität Lothringen (Frankreich). Zuletzt veröffentlichte sie „Hesekiel (Mon ABC de la Bible)“, Paris, Cerf, 2021.

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