Jesuiten 2022-4 (Deutschland-Ausgabe)

SCHWERPUNKT dem oder der liturgischen Vorsteher*in die zentrale Rolle zu, dieses „Orchester“ durch die bevorstehende „Symphonie“ zu geleiten, damit die Gottesdienstgemeinde und alle Beteiligten aktiv in Beziehung mit Gott treten können („participatio actuosa“). Für nicht mehr, aber auch für nicht weniger gilt es, bewusst die Verantwortung zu übernehmen, ohne dabei selbst aus dem Beziehungsgeschehen mit Gott herauszufallen. Insbesondere wenn ich der Feier eines Sakramentes vorstehe, ist es mir wichtig geworden, mich als Werkzeug des wirkenden Gottes zu verstehen. Denn ohne sein heiliges und heiligendes Geistwirken wäre alles nur totes Ritual, das keine Wirkung für die versammelten und betenden, suchenden und vertrauenden Menschen hätte. Damit dieses heilige Spiel der Liturgie seine Wirkung entfalten kann, (ver-)suche ich zum einen immer wieder für mich unterbrechende Momente, in denen ich innehalte, mich auf Gott ausrichte und bete. Das mag zunächst lächerlich klingen, aber ich weiß leider auch, dass ich „eine Messe lesen“ und nicht feiern kann. Zum anderen bemühe ich mich darum, möglichst „transparent“ für Gottes Gegenwart und Handeln zu werden, damit alle zu Spielgefährten Gottes werden können. Für beide Haltungen greife ich auf erlernte und spielerisch abgewandelte Übungen aus dem theaterpädagogischen Repertoire zurück. Dies beginnt damit, dass ich einen festen Stand suche, mich im Boden verwurzle und mich innerlich auf- und ausrichte, indem ich mir Gottes lichtreichen Blick auf mich imaginiere. Mich von Gott angeschaut zu wissen, lässt mich befreiter vor die Gemeinde treten, weil ich sicher bin, dass dieser Blick auf jedem und jeder Einzelnen ruht. In Schul- und meist auch in Gemeindegottesdiensten leite ich diese Übung für alle an, um so gesammelt und gemeinschaftlich den Gottesdienst zu beginnen. Auch wenn es eine persönliche Typenfrage ist, lebt Liturgie wie das Theater natürlicherweise von großen, gut sichtbaren und einbeziehenden (und an die Größe des Gottesdienstraums angepassten) Gesten, Körperhaltungen und Blicken. Hier hilft es mir, möglichst bewusst den Augenkontakt der Menschen zu suchen, die Arme spannungsvoll und einladend auszubreiten und meine Worte bewusst an jene in den letzten Reihen zu richten. So kann die Energie von mir zu ihnen fließen, und sie erleben zugleich, dass die Liturgie nicht nur vorne am Altar stattfindet, sondern alle miteinschließt. Dabei greife ich auf die Idee des imaginären Zentrums nach Michael Tschechow zurück und stelle mir eine helle, glühende Kugel auf der Höhe meines Herzens vor, von der Kraft und Licht strahlend ausgehen. Für mich persönlich erlebe ich so die Gestaltung von Liturgie immer auch als ein kleines Glaubensbekenntnis meinerseits, da ich von ganzem Herzen darauf vertraue, dass Gott ganz gegenwärtig wirkt und wandelt – nicht nur Brot und Wein, sondern alle, die sich auf das gemeinsame liturgische Spiel mit ihm einlassen. Stefan Rohrer: Déesse, 2019 – Foto: Archiv Galerie Scheffel Clemens Kascholke SJ unterrichtet seit 2020 am Bonner Aloisiuskolleg Deutsch, Katholische Religion und Theater. Bei Wizzard übt er seinen Blick in die Zukunft. Mich von Gott angeschaut zu wissen, lässt mich befreiter vor die Gemeinde treten, weil ich sicher bin, dass dieser Blick auf jedem und jeder Einzelnen ruht. 9

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