Jesuiten 2022-4 (Deutschland-Ausgabe)

Jesuiten Spiel 2022-4

Jesuiten 2022-4 Dieses Druckerzeugnis wurde klimaneutral hergestellt, d. h. die mit der Produktion quantifizierten CO2-Emissionen werden durch Klimaschutzzertifikate kompensiert. Eine Vespa, die tänzerisch eine Straßenlaterne umspielt – oder ein rotes Auto, das so verbogen ist, dass man meinen könnte, es macht vor Freude einen Luftsprung: Es sind zunächst ganz alltägliche Objekte, die für den süddeutschen Künstler Stefan Rohrer die Grundlage bilden. Er bringt den Alltagsgegenständen neue Formen bei, lässt Bleche überborden und gibt ihnen neue Konstellationen. Auf einmal sind sie nicht mehr nur Blech, sondern Dinge mit Emotionen und Eigenleben. Vielleicht ist es das, was wir suchen, wenn wir uns dem Spielen hingeben. Stefan Weigand Stefan Rohrer wird vertreten von der Galerie Scheffel – www.galerie-scheffel.de Foto: privat 1 Editorial Schwerpunkt 2 Spielt Gott? 4 Das Spiel der Welt 6 Und plötzlich war bei dem Engel ein großes spielendes Heer 8 Gottes Spielgefährten werden 11 Im Clown das Beste im Menschen entdecken 12 Wie verspielt war Ignatius? 14 Das Kugelspiel von Nikolaus von Kues 16 Spielen wie Kinder 18 Freude am Lernen, Freude am Leben 19 Nimmerlandkomplex 20 Gesellschaft spielend verändern Geistlicher Impuls 22 Jelly Beans Was macht eigentlich …? 24 Felix Schaich Nachrichten 26 Neues aus dem Jesuitenorden Personalien 30 Jubilare und Verstorbene Medien/Buch 31 Hugo M. Enomiya-Lassalle: Wohin geht der Mensch? Karl Rahner: Vom Unterwegssein, Pilgern und Ankommen für immer Vorgestellt 32 Ukama-Zentrum 34 Die besondere Bitte Standorte der Jesuiten in Zentraleuropa Impressum Diese Druckerzeugnis wurde klimaneutral hergestellt, d.h. die mit der Produktion quantifizierten CO2-Emissionen werden durch Klimaschutzzertifikate kompensiert. ID-Nr. 22123085 2 Apokalyptisch hoffen 4 Mit Leichtigkeit und Mut in der Not helfen 6 GmbH: „Gesellschaft mit begründeter Hoffnung“ 8 Hoffnung in der ökologischen Krise 10 Vernünftig hoffen 12 Hoffen inmitten der Krise? 13 Bleiben, wenn’s am schlimmsten ist 14 Engagierte Hoffnung 17 Was macht mir Hoffnung? 18 Hoffnung bis zuletzt 20 Es hofft der Mensch, solange er lebt Geistlicher Impuls 22 Füreinander beten Was macht eigentlich ...? 24 P. Algimantas Gudaitis SJ Nachrichten 26 Neues aus dem Jesuitenorden Personalien 30 Jubilare 30 Verstorbene Medien/Buch 31 Thomas Steinherr: Was glaubt ein Christ? – Zentrale Fragen des Christentums einfach beantwortet Licht in allen Dingen (Adventskalender) Vorgestellt 32 Das digitale Klassenzimmer 34 Besondere Bitte Standorte der Jesuiten in Zentraleuropa/ Impressum n machen das Bilder Jesuiten-Ausgabe tionen stammen aus atholischen Pfarrers n Korbinian Aigner. In n bezog er Stellung onalsozialismus, bis er wurde, zunächst in das dann in das Konzenachau kam. Dort, wo d Verbrechen an der waren, ließ er sich die nehmen: Zwischen Šanzte er Apfelbäume, ogar die Züchtung Z-1, KZ-2, KZ-3 und m Krieg begann er, Apsorten auf Postkarten als 950 Illustrationen rchiv der TU München 1966 an einer Lung starb, wurde er im Z-Häftlingskleidung er noch Jahre getragen KZ-3 ist bis heute gt nun den Namen el“. d chiv Titelbild: Stefan Rohrer: Ring, 2010, Modellauto, Stahl, Lack © Galerie Scheffel

das Wort „Spiel“ gehört zu jenen faszinierenden Wörtern der deutschen Sprache, die enorm viele Bedeutungen haben. Der Duden gibt zwölf Hauptbedeutungen mit jeweils verschiedenen Untergruppen an. Die erste Hauptbedeutung ganz oben in der Liste lautet: „Tätigkeit, die ohne bewussten Zweck zum Vergnügen, zur Entspannung, aus Freude an ihr selbst und an ihrem Resultat ausgeübt wird“. Es gibt aber auch Wettkampfspiele, das „falsche Spiel“ eines Betrügers oder Spiel als Bewegungsfreiheit von Teilen in der Mechanik. In der Jägersprache ist es die Bezeichnung für den Schwanz von Birkhahn, Fasan und Auerhahn. Es gibt außerdem eine Fülle von Redewendungen wie das „Spiel mit dem Feuer“. Sobald man näher hinschaut, sieht man das Wort überall. Es durchzieht unsere Sprache, so als hätte es sich überall heimlich – und spielerisch – eingeschlichen. Sind es dabei v. a. wir Menschen, die das Spiel in die Welt bringen, als unsere stärkste Antriebskraft zur Schaffung von Kultur, politischen Institutionen, Wirtschaft und Religion? Das war schon die These von Johan Huizinga in seinem Buch Homo ludens (Der spielende Mensch) aus dem Jahr 1938. Oder ist unsere Sprache eher ein Hinweis auf die Welt selbst, die dem freien Spiel viel mehr Raum gibt, als uns gemeinhin bewusst ist? Vielleicht sogar ein Hinweis auf Gott, der selbst spielt und uns augenzwinkernd zum spielerischen Dasein einlädt? Zumindest können wir Heftredakteure uns den kindgewordenen Gott kaum anders vorstellen als dem Spiel hingegeben, egal ob allein, versunken, in eine Ecke gekauert – oder freudvoll lachend mit anderen, Eltern oder Spielgefährten. Liebe Leserinnen und Leser, für dieses Heft haben wir einer Bandbreite von Autorinnen und Autoren das Wort überlassen, um einige dieser überraschenden Unterwanderungen unserer Lebenswelt näher zu erkunden. Sie nehmen uns mit in die Zeit der Bibel, des Humanismus oder der Zukunft und an so unterschiedliche Orte wie eine Schulkapelle, eine Theaterbühne oder die Welt des Internets. Überall und zu allen Zeiten wird von Menschen allerlei gespielt, leidenschaftlich, kreativ, entdeckungsfreudig. Und Sie, würden Sie sich selbst als spielenden Menschen bezeichnen? Mit diesen Worten entlassen wir Sie nun in das „freie Spiel der Kräfte“ Ihrer Lektüre (denn wir können in keiner Weise kontrollieren, was sie in Ihnen auslösen wird!). Wir wünschen Ihnen im Namen des gesamten Redaktionsteams Wachsamkeit im Advent, eine gesegnete Weihnacht und Inspiration für Ihr eigenes Lebensspiel. Sebastian Maly SJ Fabian Moos SJ Matthias Rugel SJ Liebe Leserinnen und Leser, 1 EDITORIAL

SCHWERPUNKT Spielt Gott? Gehen wir es anders an: Wenn er Menschen Erheiterung und Entzücken bereitet (Ps 4,8), sollte er selber immer verbissen sein, alle Emotionen unterdrücken, nur ja kein Zeichen von Kindlichkeit oder Schwäche zeigen? Sollte jene spielerische Freude und intime Liebe, von der im Hohenlied die Rede ist, ihm abgehen oder gar fremd sein? „Zieh mich hinter dir! … Beherzt/verzaubert hast du mich … Wende ab deine Augen von mir, sie verwirren mich!“ (Hld 1,4; 4,9; 6,5 …) – dies würde bedeuten, dass, was Menschen als höchste Erfüllung erfahren, ihm fehlte. Gerade kleine Kinder bringen ihre Eltern dazu, mit ihnen zu spielen. So spricht Gott auch von sich: „Doch ich, ich lehrte Ephraim gehen, sie nehmend bei seinen Armen … und ich war ihnen wie einen Säugling an ihre Wangen Hebende“ (Hos 11,3–4). Solches elterliche Tändeln und starke Gefühle klingen auch in Jer 31,20 an; dort fragt sich Gott, ob Ephraim ihm ein „Schoßkind“ sei. Doch bei ihm, dem Schöpfer von allem, nimmt Spielen noch ganz andere Dimensionen an. Wer je von einem Gipfel die Schönheit der Welt betrachtet hat, mit ihrer Vielfalt und Weite und in faszinierender Reichhaltigkeit von Spitzen, Bergketten und Gestalten, dem kann aufgehen, dass hier nicht Metermaß oder Schablonen am Werk waren. In alldem zeigt sich spielerische, kreative Fülle, voller Phantasie und Freude am Bilden. Wenn wir schließlich das Universum ansehen, in dem unser Sonnensystem als ein kleiner Teil der Milchstraße durch viel größere Galaxien in unvorstellbaren Zeiträumen mit atemberaubender Geschwindigkeit wandert und durch die wechselseitige Anziehung Wellenbewegungen vollzieht, man könnte sagen ‚tanzt‘, wird das Staunen grenzenlos vor dem Gott, der dies alles geschaffen hat, als „Werk deiner Finger“ (Ps 8,4), in spielerischer Leichtigkeit. Vor ihm soll deswegen auch die Erde „tanzen“, wie Ps 114,7 auffordert. Von daher erschließt sich das völlig andere Ausmaß des göttlichen Spielens, von dem in Ps 104,26 – das einzige Mal in der hebräischen Bibel – explizit die Rede ist: „… der Leviatan, den du gebildet hast, um mit ihm zu spielen“. Dieses Chaostier, das dem Menschen Schrecken einjagt, ist Spielgefährte Gottes ohne jegliche Bedrohung. Gott ‚spielt‘ sogar mit Menschen, etwa, wenn er bei der Bindung Isaaks Abraham auf die Probe stellt (Gen 22,1) oder dem Satan erlaubt, Besitz und Gesundheit Ijobs zu schädigen (Ijob 1,12; 2,6); dieser klagt Gott dann auch scharf an, seine Macht gegen ihn auszuspielen (z. B. in Ijob 9–10). In beiden Fällen aber führt es – ähnlich wie bei pädagogischen Spielen mit Kindern – zu größerer geistlicher Reife und gereicht zu vermehrtem Segen. Ebenso zeigt Jona 4 in ironischer Weise, wie Gott durch das Wachsen des schattenspendenden Strauches und dessen Verdorren mit seinem Propheten spielt, um ihn zur Einsicht in seine Barmherzigkeit selbst Feinden gegenüber zu bewegen. Gott lässt aber auch mit sich spielen. Wie Abraham in Gen 18,22–33 ihn von 50 auf zehn Beginnen wir mit Gottes Lachen! Selbstverständlich lacht er, wie es schon der Name „Isaak“ (er = d. h. Gott, lacht; Gen 17,19) sagt, und auch über jene, die sich gegen ihn auflehnen wollen (Ps 2,4). Aber spielen? Zeit sinnlos vergeuden, ohne dass etwas dabei ‚herausschaut‘? 2

SCHWERPUNKT Gerechte ‚herunterhandelt‘ oder der Prophet Amos ihn zweimal umstimmt, das Unheil doch nicht zu bringen (Am 7,1–6), zeigt Eingehen und Nachgeben, wie es in vielen menschlichen Spielen geschieht. Gott möchte uns mit seinem Spielen befreien. Wir sollen wie Kinder alles, egal ob Sorgen oder Gelingen, Leid, Freuden oder gar Sterben, voller Vertrauen annehmen (vgl. Jesu Aufforderung in Mk 10,15). Unser Leben ist dann (tod-) ernst, wenn wir es zu wichtig nehmen. Wo wir uns als geliebte Kinder eines elterlichen Gottes sehen, wird es zu einem Vor-Spiel seliger Gemeinschaft mit ihm in der Ewigkeit. Gott spielt sich in all seinem Tun. Er spielt in der gesamten Schöpfung. Er spielt – richtig verstanden – auch mit uns Menschen. Doch in einem Punkt spielt Gott ganz gewiss nicht: wenn es um Recht und Gerechtigkeit geht (Am 5,21– 24). Da versteht er keinen Spaß. Georg Fischer SJ unterrichtet seit 1985 Altes Testament und hatte einen Lehrstuhl für dieses Fach an der Universität Innsbruck bis zu seiner Emeritierung 2022. Er spielt Cello, liebt Klettern, Walzer tanzen, auch mit Skiern, sowie Kartenspiele, vor allem Jassen und Bridge. Stefan Rohrer: Arancio, 2011 – Foto: Gunther Balzer 3

SCHWERPUNKT Stefan Rohrer: Carrera (Gulf), 4_2022 – Foto: Archiv Galerie Scheffel Das Spiel der Welt Ist das Universum ein großes Spiel, vom Zufall geprägt, oder vielmehr eine große Maschine, rational gesteuert vom Menschen? Dieser Frage spürt François Euvé nach. Die meisten traditionellen Kosmologien stellen den Ursprung der Welt als ein großes Spiel dar. Das soll ausdrücken, dass der Lauf der Welt nicht vorherbestimmt ist. Es kann auf zwei Arten verstanden werden: Entweder wird der Zufall betont und die Kreatur kann zum „Spielball“ der Götter werden, oder die gemeinschaftliche Dimension wird betont und die Menschen werden aufgefordert, ihren Teil beizutragen und gemeinsam zu spielen. Das moderne Denken verdrängt das Spiel oder beschränkt es auf den Bereich der Kindheit. Es hebt die Kontrolle des Menschen über die Natur hervor. Das Universum ist dann eine große Maschine mit einer bestimmten Funktionsweise, die der Mensch zu steuern hat. Heute versuchen wir, uns von diesem Modell zu befreien und die kreative Spontaneität wiederzufinden. Wie der belgische Theologe Adolphe Gesché schreibt: „Der Mensch braucht Absicherungen, aber ebenso sehr diese Art von `Spiel´, bei dem nicht alles im Voraus gesagt wird.“ Das Spiel ist zweckfrei. Es enthält zwar Regeln, das verhindert aber nicht den Ausdruck von Initiative und Freiheit. Die ersten christlichen Denker waren für die spielerische Dimension der Beziehung zu Gott im Sinne des Buches der Sprüche (8,22– 36) empfänglich. Die vernunftorientierte Theologie hat sie später vergessen. Das Spiel blieb nur in der Mystik bestehen, wo der Schwerpunkt auf der Hingabe an Gott liegt, wie bei Theresia vom Kinde Jesu: „Ich hatte mich dem Kinde Jesu hingegeben, um sein kleines Spielzeug zu sein.“ Wie sieht es in der ignatianischen Tradition aus? Sie ist ein interessanter Ort, um die Widersprüche der Moderne zu beobachten. Eine erste Linie des Denkens bemüht sich, den aufsteigenden Rationalismus mitzuvollziehen. Viele Jesuiten schließen sich der neuen Wissenschaft an. Das Verschwinden des Spiels geht einher mit der immer wichtigeren Rolle, die der Vernunft zugewiesen wird. Die Theologie gleicht sich an die Methode der Naturwissenschaften an. Das Beispiel des großen Philosophen und Theologen Francisco Suarez (1548–1617) ist bezeichnend: Seine rationale Metaphysik ist losgelöst vom schöpferischen Handeln Gottes. Dieses wird gewissermaßen einer herrschenden Vernunft untergeordnet. In Gott gibt es keine Phantasie mehr. Parallel dazu entsteht jedoch eine mystische Strömung, die sich dagegen wehrt, in den starren Rahmen des Rationalismus gepresst zu werden. Hierzu möchte ich auf einen Zeitgenossen von Suarez eingehen, Bruder Alonso Rodríguez (1533–1617). Seine Schrift „Spiele Gottes mit der Seele (Juegos de Dios con el almo)“ spiegelt eine Mystik wider, die eher experimentell als rational war. Er schrieb insbesondere: „Dieses Spiel ist eine sehr hohe und ganz spirituelle Sache; die Seele gibt großzügig ihren ganzen Rest auf und Gott den seinen, und das alles aus Liebe, denn es ist ein Spiel der Liebe. Schließlich gewinnt Gott den Rest, denn der Rest der Seele ist sie selbst; und die Seele gewinnt, denn indem sie verliert, verliert sie nicht; denn indem sie sich nicht mehr selbst gehört, gehört sie Gott.“ Um uns von den Auswüchsen des Rationalismus zu befreien, müssen wir diese spielerische Dimension wiederfinden, die einen Beziehungsaspekt beinhaltet: Spielen bedeutet, sich 4

SCHWERPUNKT in eine Austauschbeziehung mit anderen zu begeben („Die Liebe besteht in einer gegenseitigen Mitteilung“, schreibt der Heilige Ignatius in den Geistlichen Übungen). Weit entfernt von jeglichem Willen zur Beherrschung beinhaltet das Spiel immer eine Portion Hingabe: das Wiederfinden eines kindlichen Vertrauens. François Euvé SJ ist Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie in Paris. Er ist Chefredakteur der Zeitschrift „Etudes“ und spielt am liebsten Strategiespiele. 5

SCHWERPUNKT Stefan Rohrer: Roller Coaster, 2009 – Foto: Archiv Galerie Scheffel Und plötzlich war bei dem Engel ein großes spielendes Heer Krippenspiele gehören an Heiligabend einfach dazu. Oft sind es aufwendige Aufführungen. Zwei ehrenamtliche Krippenspiel-Leiterinnen geben uns Einblicke in die Vorbereitungen und ihre Motivation. Interview: Matthias Rugel Wie kam es dazu, dass ihr jedes Jahr das Krippenspiel an Heiligabend vorbereitet? Claudia Bien-Rudnick: In unserer Kindheit haben wir jedes Jahr bei einer Heiligabendfeier für „Alte und Einsame“ musiziert und waren nie in der Krippenfeier. Mit der Anfrage des Kaplans fing alles an: Ob ich mir vorstellen könnte, einen Kinderchor zu gründen. Ich war damals in der Ausbildung und hatte Bedenken. Doch ich habe mit drei Kindern 1990 angefangen, in der Krippenfeier zu singen. Dazu gab es auch einen kleinen Dialog mit Maria und Josef. Im Laufe des Jahres wuchs der Chor und das erste Krippenspiel mit Messdiener*innen konnte stattfinden. Meine ganze Familie war mit ihren Instrumenten eingebunden. Dorothee Otterstätter: Vom Spiel 1992 erzählen wir gerne. „Heute leuchten alle Sterne“ war in Reimform geschrieben, viele kleine „Sterne“ waren im Einsatz. Seitdem ist das Krippenspiel etabliert. Wir haben meist 20 bis 30 Sänger*innen, zehn Schauspieler*innen, 15 Flöten und fünf Bandmitglieder. Wie bereitet ihr ein Krippenspiel vor? Dorothee Otterstätter: In den Herbstferien suchen wir nach einem Spiel. Wir passen den Text an und ergänzen mit Liedern. Claudia Bien-Rudnick: Die Chorproben für Vier- bis Zehnjährige beginnen bald, mit den älteren Schauspieler*innen (meist Erstkommunionkinder) erarbeitet Dorothee ab Dezember die Geschichte. Dabei suchen die Kinder ihre Rollen möglichst selbst aus. Manchmal wollen fünf Mädchen die Maria spielen, manchmal findet sich keine: So spielten wir auch schon mit vertauschten Geschlechtern oder Erwachsenen. Uns geht es nicht darum, dass die Kinder perfekt singen oder spielen, sondern dass sie Spaß an Musik und dem Zusammenspiel haben. Warum seid ihr so viele Jahre dabeigeblieben? Dorothee Otterstätter: Wir wollten es schon mal sein lassen …, aber da gibt es strahlende Kinderaugen, die Nachfrage und Vorfreude der Kinder schon im Herbst, die Freude an der eigenen Kreativität, engagierte Helfer*innen … Claudia Bien-Rudnick: … und viele Gottesdienstbesucher*innen, die seit Jahren immer wieder kommen. Wir wollen die Weihnachtsgeschichte vermitteln und den Kindern einen Platz in der Kirche geben. 6

SCHWERPUNKT Was macht das Krippenspiel mit euch? Claudia Bien-Rudnick: Dass es eine frohe Botschaft ist, begeistert die Kinder, und die begeistern wieder ihre Eltern. Ein Mädchen berichtete z. B. zuhause, wie Jesus Friede und Gerechtigkeit in die Welt gebracht hat. Uns erzählte es danach verwundert: „Das hat die Mama gar nicht gewusst.“ Solche Anekdoten freuen uns und motivieren weiterzumachen. Dorothee Otterstätter ist Kinderkrankenschwester. Claudia Bien-Rudnick ist Erzieherin. Die Schwestern aus Ludwigshafen spielen gerne Gesellschaftsspiele. 7

SCHWERPUNKT Gottes Spielgefährten werden Gottesdienst und Spiel – wie kann das zusammenpassen? Für Clemens Kascholke ist die Liturgie ein heiliges Spiel, in dem die Menschen zu Gottes Spielgefährten werden. Mit Gott aktiv in Beziehung zu treten, kann auf ganz unterschiedliche Weise geschehen. Die vielfältigen kirchlichen Liturgien spielen dabei eine wichtige Rolle, denn sie sind „Höhepunkt“ des kirchlichen Tuns und „Quelle“ von dessen Kraft, wie es das Zweite Vatikanische Konzil festhält. Die liturgischen Feiern sind in ihrer Form über Jahrhunderte gewachsen, haben sich immer wieder verändert und sehen in verschiedenen kulturellen Kontexten unterschiedlich aus und bilden doch eine Einheit. Nach allen Vorbereitungen des Feierortes, den Absprachen zum Ablauf mit allen, die eine stellvertretende Aufgabe übernehmen, und der Abstimmung mit den Musiker*innen, kommt 8

SCHWERPUNKT dem oder der liturgischen Vorsteher*in die zentrale Rolle zu, dieses „Orchester“ durch die bevorstehende „Symphonie“ zu geleiten, damit die Gottesdienstgemeinde und alle Beteiligten aktiv in Beziehung mit Gott treten können („participatio actuosa“). Für nicht mehr, aber auch für nicht weniger gilt es, bewusst die Verantwortung zu übernehmen, ohne dabei selbst aus dem Beziehungsgeschehen mit Gott herauszufallen. Insbesondere wenn ich der Feier eines Sakramentes vorstehe, ist es mir wichtig geworden, mich als Werkzeug des wirkenden Gottes zu verstehen. Denn ohne sein heiliges und heiligendes Geistwirken wäre alles nur totes Ritual, das keine Wirkung für die versammelten und betenden, suchenden und vertrauenden Menschen hätte. Damit dieses heilige Spiel der Liturgie seine Wirkung entfalten kann, (ver-)suche ich zum einen immer wieder für mich unterbrechende Momente, in denen ich innehalte, mich auf Gott ausrichte und bete. Das mag zunächst lächerlich klingen, aber ich weiß leider auch, dass ich „eine Messe lesen“ und nicht feiern kann. Zum anderen bemühe ich mich darum, möglichst „transparent“ für Gottes Gegenwart und Handeln zu werden, damit alle zu Spielgefährten Gottes werden können. Für beide Haltungen greife ich auf erlernte und spielerisch abgewandelte Übungen aus dem theaterpädagogischen Repertoire zurück. Dies beginnt damit, dass ich einen festen Stand suche, mich im Boden verwurzle und mich innerlich auf- und ausrichte, indem ich mir Gottes lichtreichen Blick auf mich imaginiere. Mich von Gott angeschaut zu wissen, lässt mich befreiter vor die Gemeinde treten, weil ich sicher bin, dass dieser Blick auf jedem und jeder Einzelnen ruht. In Schul- und meist auch in Gemeindegottesdiensten leite ich diese Übung für alle an, um so gesammelt und gemeinschaftlich den Gottesdienst zu beginnen. Auch wenn es eine persönliche Typenfrage ist, lebt Liturgie wie das Theater natürlicherweise von großen, gut sichtbaren und einbeziehenden (und an die Größe des Gottesdienstraums angepassten) Gesten, Körperhaltungen und Blicken. Hier hilft es mir, möglichst bewusst den Augenkontakt der Menschen zu suchen, die Arme spannungsvoll und einladend auszubreiten und meine Worte bewusst an jene in den letzten Reihen zu richten. So kann die Energie von mir zu ihnen fließen, und sie erleben zugleich, dass die Liturgie nicht nur vorne am Altar stattfindet, sondern alle miteinschließt. Dabei greife ich auf die Idee des imaginären Zentrums nach Michael Tschechow zurück und stelle mir eine helle, glühende Kugel auf der Höhe meines Herzens vor, von der Kraft und Licht strahlend ausgehen. Für mich persönlich erlebe ich so die Gestaltung von Liturgie immer auch als ein kleines Glaubensbekenntnis meinerseits, da ich von ganzem Herzen darauf vertraue, dass Gott ganz gegenwärtig wirkt und wandelt – nicht nur Brot und Wein, sondern alle, die sich auf das gemeinsame liturgische Spiel mit ihm einlassen. Stefan Rohrer: Déesse, 2019 – Foto: Archiv Galerie Scheffel Clemens Kascholke SJ unterrichtet seit 2020 am Bonner Aloisiuskolleg Deutsch, Katholische Religion und Theater. Bei Wizzard übt er seinen Blick in die Zukunft. Mich von Gott angeschaut zu wissen, lässt mich befreiter vor die Gemeinde treten, weil ich sicher bin, dass dieser Blick auf jedem und jeder Einzelnen ruht. 9

SCHWERPUNKT 10

SCHWERPUNKT Stefan Rohrer: Entzwei 2, 2022 – Foto: Archiv Galerie Scheffel Im Clown das Beste im Menschen entdecken Das Clown-Spiel ist ein Rollenspiel. Doch anders, als wir es sonst kennen. Es gibt die Rolle des Clowns und die Rolle der Zuschauer*innen. Diese können dabei eine ganze Menge lernen. Wer einmal bewusst in die Rolle des Clowns steigt und sich in die Haltung des Clowns hineinbegibt, wird merken, dass damit vor allem ein Ablegen aller möglichen Rollen verbunden ist. Im Clown kommt eine tiefe Wahrheit zutage. Jede und jeder hat seinen bzw. ihren eigenen Clown, einen Charakter, den es zu entdecken und zu leben gilt. Das Spiel des Clowns ist gerade der Verzicht darauf, irgendetwas zu überspielen. Deshalb sind z. B. irgendwelche Gags eher störend, denn sie führen vom eigentlichen Clown-Geschehen weg. Es gibt Menschen, die der Figur des Clowns nichts abgewinnen können. Doch in meiner Beobachtung sind das wenige. Und oft ist ihre Ablehnung mit einer Erfahrung verbunden, bei der die Unschuld des Clowns pervertiert und missbraucht wurde. Die Figur des wahren Clowns ist aber unschuldig. Der Clown führt nichts im Schilde, was anderen schaden könnte. Sein „Projekt“ muss zwar nicht im üblichen Sinne nützlich sein. Doch die Entschlossenheit und Ausdauer, mit der er etwas trotz aller Schwierigkeiten verfolgt, hat etwas positiv Berührendes. Der Clown macht nichts für sich selbst. Das Clown-Spiel ist tatsächlich ein Ereignis zwischen dem-, der- bzw. denjenigen in der Rolle des Clowns und denjenigen, die zuschauen. Der Clown muss dem Publikum folgen – nicht umgekehrt. Im gelingenden Fall sind die Zuschauer*innen im Prozess der sich entwickelnden Imagination der Wirklichkeit dem Clown immer einen Schritt voraus. Strenggenommen existiert der Clown nur so lange, wie es Zuschauer*innen gibt, die ihre Aufmerksamkeit auf ihn richten. In einem gelingenden Clown-Event geschieht etwas zutiefst Heilsames. Das Publikum rettet den Clown – und umgekehrt: Wer sich auf die Kommunikation mit einem Clown einlässt, erfährt die Einladung, die Wirklichkeit etwas anders wahrzunehmen. Der Clown schenkt durch seine unvermittelten Reaktionen einen transparenten Zugang zu seinem Empfinden und Erleben – durch den spontanen Ausdruck seiner Emotionen gegenüber seinen Wünschen, Problemen, Projekten, Erfolgen und nicht zuletzt durch sein Scheitern. Der Clown kann scheitern, ohne unterzugehen, weil er vom Wohlwollen des Publikums getragen wird. Und die Zuschauenden lernen vom Clown die ernsthaft spielerische Haltung, sich voll und ganz, manchmal auch auf scheinbar verlorenem Posten, frei von jeglicher Verbitterung für ein Mehr an Leben und Liebe einzusetzen. Christoph Albrecht SJ ist verantwortlich für die katholische Seelsorge der Fahrenden in der Schweiz und leitet den Jesuiten-Flüchtlingsdienst Schweiz. Wenn, dann spielt er ernsthaft Clown. 11

SCHWERPUNKT Wie verspielt war Ignatius? Auf den ersten Blick wirkt Ignatius ernst, ein bisschen spröde, streng mit sich und anderen, sehr geordnet und fleißig, immer kontrolliert – also das Gegenteil von verspielt. Doch versuchen wir einen zweiten Blick. 12

SCHWERPUNKT Stefan Rohrer: 3. Kreuzung, 2014 – Foto: Archiv Galerie Scheffel Als Jugendlicher liebte Ignatius Ritterspiele: Reiten, Fechten, ritualisiertes Kämpfen um die Ehre, auch Formen des Minnespiels, bei dem man – mehr platonisch – von Ferne eine hohe Dame verehrte und für sie im Kampf den Siegespreis erringen wollte. Ignatius hatte eine blühende Phantasie: Als er monatelang gelangweilt auf dem Krankenlager in Loyola lag, malte er sich in der Phantasie mehrere Szenarien für sein zukünftiges Leben aus – und lernte daran erste Schritte der Unterscheidung der Geister. Was wir „Langeweile“ nennen, ist ein zweckfreier Zeitraum, in dem wir ins Spielen kommen können, mit der Phantasie oder anders … In seinem Exerzitienbuch leitet Ignatius an, mit der Phantasie zu spielen. Er beschreibt ritterliche Szenen, die die Betrachter*innen sich vorstellen und in denen sie sich wiederfinden. Ganz oft imaginieren die Betrachter*innen biblische Geschichten: Diese inszenieren sie vor ihrem inneren Auge wie ein Theaterstück auf der Bühne, und sie spielen selbst mit, indem sie sich mit dieser oder jener Person identifizieren und in dieser Züge ihres Lebens wiederfinden. Dadurch deuten sie ihren Alltag neu, oder sie erkennen eine Botschaft für die Zukunft. Die Bibel spricht durch dieses Spiel tief in ihr Leben hinein, und sie werden das, was sie im Herzen bewegt und was sie für sich erkennen, ins Gebet bringen, um so mit Gott enger in Beziehung zu kommen. Wichtig ist, dass man diese Übungen spielerisch angeht, also nicht verbissen ernst und auf Ergebnisse fixiert, sondern in freier Entfaltung: Ob sich etwas zeigt, ob man Trost und Freude erfährt, das ist letztlich Geschenk von oben; mal wird es gewährt, mal auch nicht. Der spielende und ebenso der spirituelle Mensch will nichts machen, sondern er nimmt dankbar an, was er bekommt. Als Generaloberer eines schnell wachsenden Ordens musste Ignatius ständig Entscheidungen treffen. Bei komplexen Fragen hat er mit seinen Beratern sicherlich oft verschiedene Lösungsmöglichkeiten erwogen und diese dazu in der Phantasie durchgespielt. Solche geradezu sinnlichen Übungen helfen, sich sowohl emotional wie rational einem „Projekt“ – so sagen wir heute – anzunähern und dessen Vor- und Nachteile zu sehen und zu beurteilen. Bis heute arbeitet der Orden in seinen Führungsgremien mit Imaginationsübungen und Planspielen. Ignatius legte Wert darauf, dass zur Erholung der Mitbrüder Landhäuser bereitstehen. Dort, so ordnete er an, sollte gespielt werden. Das vorgesehene Spiel hatte er an der Pariser Sorbonne kennengelernt: Man nahm kleine Täfelchen aus Holz und schubste sie an den Tischrand; wer sein Täfelchen möglichst nahe am Rand platzierte, ohne dass es zu Boden fiel, hatte gewonnen. Wenn Ignatius krank oder „im Überdruss“ war, ließ er sich gelegentlich durch einen Mitbruder schöne Melodien vorsingen oder auf dem Klavichord vorspielen. Ignatius hatte viel Humor, das zeigen seine Briefe oder mancher Bericht von Gesprächen mit ihm – ein feinsinniger, aufbauender Humor ist die vielleicht schönste Weise zu spielen. War Ignatius ein Spieler? Sicher konnte er, wo es nötig war, ernst und effizient reden und arbeiten. Und doch wusste er, dass der Mensch zweckfreie Auszeiten braucht, in denen er frei und heiter spielen darf. Auch sein Gebet hatte spielerische Seiten. Ja, Ignatius war ein Spieler. Stefan Kiechle SJ ist Chefredakteur der Kulturzeitschrift „Stimmen der Zeit“ und Beauftragter der Provinz für Ignatianische Spiritualität. Er spielt gelegentlich gerne mit seiner Phantasie und mit seinen Gedanken. Auch sein Gebet hatte spielerische Seiten. Ja, Ignatius war ein Spieler. 13

SCHWERPUNKT Das Kugelspiel des Nikolaus von Kues Neun konzentrische Kreise und eine Kugel: Was auf den ersten Blick wie ein kurzweiliges Spiel wirkt, ist tatsächlich ein Gleichnis des menschlichen Lebens. Der Kardinal und Philosoph Nikolaus von Kues (1401–1464) ist eigentlich als strenger Reformer bekannt, der Klerikern und Laien oft amüsante Lustbarkeiten wie Tanz, Jagd und auch das Spielen verbot. Daher überrascht es, dass ausgerechnet er gegen Ende seines Lebens ein durchaus kurzweiliges Spiel erfand. Das Spielfeld besteht aus neun konzentrischen Kreisen. Spielgerät ist eine Kugel. Die Spieler versuchen, diese Kugel durch geschicktes Einrollen möglichst nahe an die Mitte zu bringen. Das ist jedoch nicht so leicht, denn die Kugel hat eine Einwölbung. Sie rollt nicht gerade, sondern macht spiralartige Kurven um das Zentrum herum. Ein amüsantes Geschicklichkeitsspiel also. Das ist aber längst nicht alles. Das Spiel ist nicht einfach amüsanter Zeitvertreib, sondern eine Verschlüsselung des Unbegreiflichen, eine mystische Übung zum Nachdenken und Nachgrübeln. Denn das Spiel ist so konstruiert, dass der Spieler gleichnishaft den Kosmos des Lebens durchstreift. Welterfahrung und Welterkenntnis sind in jedem Element des Spiels verborgen. Schauen wir sie uns genauer an. Die Kugel – sie ist Symbol der Vollkommenheit, aber als materielles Objekt in jedem Fall unvollkommen. Kein Tischler der Welt könnte eine unendlich runde Kugel erschaffen. Die Spielkugel hat darüber hinaus eine große Einwölbung, die eine gerade Rollbewegung unmöglich macht. Sie ist Symbol des Menschen, der trotz aller Unvollkommenheit seinen Weg auf dem Spielplan – seinem Lebensweg – finden muss. Dafür braucht es Verstand und Geschick, vor allem aber viel Übung. Das Spiel wird zum geistigen Exerzitium. Der Spielplan umfasst den ganzen Kosmos des Lebens. Im Mittelpunkt lockt die Gegenwart Christi als Ziel des christlichen Lebensweges. Der Punkt ist unerreichbar für die unvollkommene Spielkugel. Der Punkt ist unteilbar und unmessbar. In ihm sind alle Gegensätze aufgehoben, die für uns die Welt erst erfahrbar machen. Ein unendlich kleiner Kreis im Zentrum aller Lebenskreise, die in ihm bereits enthalten sind. Die Kreise führen immer näher an die im punktförmigen Zentrum dargestellte Unendlichkeit. Ganz außen liegt das Chaos (1), dunkel und ungestaltet. Es folgt die Kraft der Elemente (2), aus denen die Welt besteht: Feuer, Wasser, Luft und Erde. Gesteine und Mineralien (3) verleihen den Elementen Gestalt. Es folgt die Kraft des Wachstums (4) und der sinnlichen Wahrnehmung (5). Ab dem sechsten Kreis beginnen die göttlichen Kräfte, die alle dem Menschen vorbehalten sind: Phantasie und Vorstellungskraft (6), Logik und Verstand (7), die Einsicht (8) und schließlich, für den Menschen mit viel Übung gerade noch erreichbar, die geistige Schau (9). Nikolaus von Kues schlägt vor, die Punkte der Kreise zu addieren. Wer als erster 34 Punkte erreicht (nach alter Zählung die Lebensjahre Christi) hat gewonnen. Aber noch wichtiger ist es, sich nach dem Spiel darüber zu unterhalten oder einfach selbst über die Lebenssimulation nachzudenken. Das sinnlich-reale 14

SCHWERPUNKT Spiel stimuliert das Gedankenspiel. Auch die krumme Kugel kann durch die richtige Technik in eine regelhafte Bewegung versetzt werden; wichtig sind aber Übung, Konzentration und Geduld. Jeder Wurf ist anders, jeder Werfer muss selbst zur optimalen Wurftechnik finden – niemand kann und sollte den Lebensweg eines anderen imitieren, nicht einmal den eines Heiligen. Nicht jeder Wurf gelingt; manchmal schauen wir der fehlgehenden Kugel hinterher, unfähig ihre Bahn noch zu ändern. Dennoch sind es nicht Zufall oder Schicksal, die die Kugel bewegen, sondern der freie Wille. Nicht immer gelangt er zur erhofften Erfüllung. Bild: MDZ, www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10197726?page=326,327 Dr. Thomas Woelki ist Historiker für mittelalterliche Geschichte und seit 2012 Editor der „Acta Cusana, Quellen zur Lebensgeschichte des Nikolaus von Kues“. Mit seiner kleinen Tochter spielt er am liebsten ‚Die Siedler von Catan‘. Abbildung des Kugelspiels im Erstdruck Paris 1514. Die Kreise sind hier irrtümlich in verkehrter Reihenfolge nummeriert. 15

SCHWERPUNKT Spielen wie Kinder Ein schwarzer Raum, leere Wände, Staub, der im Licht der Scheinwerfer gemächlich vor sich hintreibt: Eine Bühne ist die Einladung, etwas zu versuchen. Sie ist eine Leere, die bereit ist, aufzunehmen. Der erste Schritt auf eine Bühne ist immer ein besonderer. Ich habe mich vorbereitet: den Text gelernt, den Hintergrund des Stückes befragt. Ich habe eine Idee, was für eine Person die Figur, die ich spielen soll, sein könnte – doch auch nach all den Jahren des Spielens ist der erste Schritt immer ein ganz und gar erster. Er ist der Schritt ins Nichtwissen, der Schritt ins Ungeplante, in die Unsicherheit. Bei einer guten Probe spielen wir wie Kinder. Jetzt und hier und in diesem Moment. Wir wissen nicht, wie es geht. Wohin es geht. Wie es endet. Wir probieren und verwerfen. Wir begeben uns in den Kosmos des Stückes und messen ihn aus. Werfen uns die Texte wie Bälle um die Ohren, loten aus, welche Reaktionen wir mit unseren Handlungen hervorrufen, wie die Worte in uns widerhallen. So spielend erkunden wir die Wahrheit, die für uns im Text liegt. Nähern uns den Situationen, die die Erfahrung, die Phantasie anderer Menschen geschrieben haben, an. Wir bringen unser eigenes Wis16

SCHWERPUNKT sen mit ihnen in Verbindung und durchspielen sie, um zu begreifen, was sie im Leben für uns bedeuten. Jede Figur, die ich spiele, schenkt mir eine neue Erfahrung des Menschseins. Vielleicht weil die Figur etwas kann, das ich nicht kann – mir aber guttäte, ich mir wünsche. Ich kann es spielend versuchen und testen, ob es in mein eigenes Leben passt. Vielleicht bestärkt mich die Erfahrung eines Verhaltens aber auch in meiner Ablehnung mancher Handlung oder Haltung, weil ich am eigenen Körper erspüre, wie destruktiv die Folgen sind. Und manches, wogegen ich mich in meinem eigenen Leben entschieden habe, macht dennoch Spaß, es ab und an zu tun. Die Bühne bietet mir die Freiheit, es in einem für alle geschützten Rahmen zu leben, und so in Ruhe, Gelassenheit und voll ausgelebt in mein eigenes Leben zurückzukehren. Jeder Figur, die ich spiele, schenke ich die ganze Erfahrung meines Lebens. Denn letztlich ist es immer mein Gefühl, das ich kenne. Meine Freude, meine Wut, meine Liebe. Ich stelle sie zur Verfügung, in einen neuen Kontext, bringe sie zusammen mit der Erfahrung und Situation des Textes. Auf diese Weise ersteht aus dem Wort auf dem Blatt ein Mensch mit Fleisch und Blut; wird persönlich; kann berühren; weil er wiedererkennbar wird für die Zuschauer*innen; weil wir alle die gleichen Erfahrungen in anderem Gewand teilen. Jede abendliche Theatervorstellung ist ein Sprung vom 10-Meter-Brett. Ich mache mich leer, streiche alles, was ich geprobt und gelernt habe, aus meinem Kopf. Ich behalte nur den ersten Schritt auf die Bühne vor Augen. Ich weiß, mein Körper hat sie gespeichert: alle Wege, die ich tun muss, alle Handlungen, alle Wörter. Doch ich will ihnen neu begegnen, genau in ihrem Moment; will mich neu treffen lassen von der Reaktion meiner Mitspieler*innen, will spontan reagieren; mittels unserer verabredeten Klaviatur und genauso, wie es der jetzige Moment verlangt. Jede Vorstellung ist neu. Wir kommen mit den Erfahrungen des heutigen Tages ins Theater, nehmen sie in unseren Körpern mit auf die Bühne, treffen dort auf ein neues Publikum. Wir werfen einen ersten Stein, den wir als Wahrheit im Text entdeckt haben, und beobachten, welche Kreise er im Wasser zieht. Und es beginnt ein Gespräch in alle Richtungen: zwischen uns und dem Text – meinen Mitspielerinnen und mir – allen, die hinter, vor und unter der Bühne die Vorstellung ermöglichen – uns allen und dem Publikum. Äußerlich wird bei jeder Vorstellung das Gleiche getan – doch jeden Abend erspielen, erfahren, erleben die Menschen im Raum ihre eigene Wahrheit gemeinsam neu. Veronika Bachfischer ist seit 2016 Ensemblemitglied der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin. Außerdem ist sie regelmäßig für Funk und Film tätig und coacht Menschen in bühnenfernen Berufen. Sie spielt liebend gerne ... Theater! Stefan Rohrer: Yellow Arrow, 2011 – Foto: Archiv Galerie Scheffel ; Foto Bachfischer: © Meike Kenn 17

SCHWERPUNKT Freude am Lernen, Freude am Leben Lernen muss nicht immer schwer und ernst sein, sondern kann auf vielfältige Weise erfolgen. Zum Beispiel durch Spielen. Solène Dailloux hat damit gute Erfahrungen gemacht. In meinem Beruf als pädagogische Begleiterin von Fortbildungen für Studierende und Professor*innen zur sozial-ökologischen Transformation darf ich Menschen auf ihrem Lernweg begleiten und sie durch viele neue Erfahrungen führen. Ich habe auch die Aufgabe, sie in eine Form der Entdeckung des anderen, ihrer selbst und komplexer Systeme zu führen. Mich fasziniert besonders, dass ich mein Bestes geben muss, um in einer Gruppe Vertrauen aufzubauen. Dies geschieht, um einen sicheren Raum zu bieten, in dem jeder und jede die Möglichkeit hat, der Welt das Beste von sich zu geben. Meiner Meinung nach entsteht dieser Raum vor allem durch das Spiel. Was gibt es Schöneres, als mit Spaß zu lernen? Manchmal habe ich jedoch das Gefühl, dass Lernen mit Zwang, Strenge und Schwere gleichgesetzt wird. Als ob Lernen überhaupt keinen Spaß machen darf, weil es sonst seine Legitimität verliert. Seit ich andere Wege des Lernens und der Wissensverankerung entdeckt habe, könnte mein Motto lauten: „Lernen ist nicht wirksamer, nur weil es ernst ist.“ Ob es sich nun um Wissen, Kompetenzen oder Haltungen handelt, es gibt viele Wege, auf denen man wandeln kann, um eine Person zum Lernen zu bringen. Ich habe mich dafür entschieden, die Lernenden durch das Spiel zu begleiten, und das kann so viele Formen annehmen! Wer ist nicht schon einmal bei einer Vorlesung eingeschlafen? Stellen Sie sich vor, der Professor würde damit beginnen, dass Sie jedes Mal Kniebeugen machen, wenn Sie „Roxanne“ in dem Stück „Roxanne“ von The Police hören, um Sie aufzuwecken! Oder wenn Sie bei Ihrer Selbstvorstellung in der Gruppe Ihre Worte mit fast theatralischen Gesten verbinden sollten! Und wie wäre es, wenn Sie Konzepte wie planetare Grenzen, schmelzende Eisschollen oder Treibhausgas-Emissionen pantomimisch darstellen müssten? Das gibt diesen komplexen und oft angstbesetzten Themen sofort eine andere Farbe. Indem wir diese Art von Erlebnissen schaffen, lösen wir bei den Menschen positive Emotionen aus. Und das fördert die Schaffung von Erinnerungen und damit das Lernen enorm ... Also, lasst uns Freude am Leben haben! Solène Dailloux ist pädagogische Begleiterin auf dem Campus de la Transition bei Paris. Wenn sie nicht gerade die kollektive Intelligenz einer Gruppe fördert oder gewaltfreie Kommunikation vermittelt, spielt sie gerne kooperative Spiele wie „Hanabi“. Was gibt es Schöneres, als mit Spaß zu lernen? 18

SCHWERPUNKT Nimmerlandkomplex Vom 1. bis 4. April 2022 fand auf Reddit, dem beliebtesten Internet-Forum der Welt, das Spiel „Place – Du kannst alles zeichnen, was du willst“ statt. Das Konzept ist einfach: eine gemeinsame Leinwand von 20002 Pixeln und die Möglichkeit, alle fünf Minuten ein Pixel pro Person zu ändern. Es waren nicht weniger als fünf Millionen Internetnutzer*innen, die in dem, was als „Pixel War“ in die Geschichte eingegangen ist, miteinander spielten. Die Herausforderung ist groß: erstellen und überleben. Populärkultur, Mangas, Videospiele, Memes, Nationalsymbole und Humor – jede Zeichnung wird von einer einzigartigen Gemeinschaft getragen, die eine eigene Geschichte und eine eigene Logik hat. Der Platz ist beschränkt. Man muss seine Ellenbogen einsetzen und diplomatisch sein. Außerdem gibt es einige Plagen, wie z. B. die skrupellosen „Void“, die vorgeben, zu zerstören, um Neues zu schaffen. Oder die „among us“, ein echtes Unkraut, das seine Charaktere geschickt in die Kreationen anderer einbaut. Einige große Gemeinschaften haben ein strenges Management, andere haben interne, politische Institutionen gegründet. Einige, die wie eine Familie zusammenhalten, leidenschaftlich und organisiert sind, setzen sich heldenhaft gegen Kolosse durch. Der entscheidendste Akteur bleibt jedoch der Streamer (live auf Twitch oder Youtube). Er kommt oft aus der E-Sport-Szene und kann von Zehn- oder Hunderttausenden von Menschen live verfolgt und beraten werden. Aus Verärgerung über die übergroße französische Flagge eroberten einige große Streamer (hauptsächlich aus Spanien und Nordamerika) den Platz. Zur Überraschung aller tauchte dann eine Handvoll französischer Streamer mit 600.000 Viewern auf. Es folgte ein Kampf der Titanen, der 72 Stunden dauerte und eine Million Menschen mobilisierte. Vier Tage nonstop Kreativität, Wagemut, Organisation, surreale Koalitionen und immer verrücktere Anekdoten führten zu einer aufschlussreichen Momentaufnahme der Internetwelt. Das Videospiel ist ein berauschender und beredter geografischer Raum. Mit einer Handvoll Pixel erinnert es daran, dass das Wesentliche eines Lebens in der Qualität der Beziehung liegt. Es ermöglicht das Spielen und verfremdet die Produktion der Industrie. Sicherlich ein wertvoller Raum für Erneuerung, für Selbstwerdung und Gemeinschaft, der aber auch nicht ohne Risiko ist. Es kann die Fähigkeit schwächen, ein Leben aus Fleisch und Blut anzunehmen, also zu begehren und zu lieben – überwältigt von der Bequemlichkeit des Nimmerlandes. Christian Bour SJ ist Rekrut in den Streitkräften des Generals Kameto, Frühlingsbataillon. 19

SCHWERPUNKT Die Gesellschaft spielend verändern Spiel und Gesellschaft haben mehr miteinander zu tun, als man denkt: Das Spiel denkt Gesellschaft voraus und lässt Neues entstehen. Und das Zusammenleben erfordert das Einhalten von Spielregeln. Spielregeln entstehen im Kopf eines GameDesigners. So wie Gesellschaftsregeln sind sie keine Naturgesetze. Es sind künstliche, erfundene Ordnungen. Der Konflikt mit der Wirklichkeit lässt uns kreativ werden, wenn uns die Regeln missfallen. Als 1813 in Altenburg das Kartenspiel Skat erfunden wurde, träumte man in einer aufgeklärten Gesellschaft vom Ende des Feudalismus. Der Bube, der Unter, gibt zukünftig Trumpf an, nicht der König. So wird ein Spiel zum Volkssport. Das Spiel denkt Gesellschaft voraus, startet den Suchprozess, wie das Leben anders und besser sein könnte. Aber trotzdem teilten sich die Adligen 1815 erstmal wieder Europa untereinander auf, als sie auf dem Wiener Kongress tanzten. In der zweiten Schöpfungsgeschichte der Bibel läuft der allwissende Gott durch den Garten Eden und ruft: „Adam, wo bist Du?“ Er spielt mit dem Menschen ein Versteckspiel. Nachdem der ökonomisch produktivere, der Ackermann Kain, seinen Bruder Abel, der als Nomade mit den Tieren umherzieht, erschlagen hat, mahnt Gott andere Gesellschaftsregeln unter uns Menschen an. Daraufhin gründet Kain die Stadt Henoch, in der mit diesen neuen Gesellschaftsregeln eine noch produktivere Arbeitsteilung organsiert wird. Neben dem „Eisenschmied“ kann nun auch der „Flötenspieler“ existieren. Eine nächste, komplexere Kulturform wird mit neuen Spielregeln erreicht. Mit der Sesshaftwerdung und den Stadtgründungen begannen die Religionen ihre Wirkung zu entfalten, und die ersten Brettspiele, wie das Königliche Spiel von Ur in Mesopotamien oder Senet in Ägypten, zeigten ihre vermittelnde Wirkung. Lebensziel und Spielziel war es, neben den Gottheiten im Paradies Platz nehmen zu können. Wenn die gesellschaftlichen Spielregeln nicht zu meinem Weltbild passen, wie kann ich damit umgehen, ohne mein Leben zu gefährden? Michelangelo erhielt 1508 den Auftrag, die Sixtinische Kapelle unter anderem mit dem Bild „Die Erschaffung Adams“ künstlerisch zu gestalten. Er erhielt die Freiheit, fernab vom Bibeltext ein Gemälde anzufertigen. Gott schwebt am Himmel mit Engeln auf einem Samttuch, um mit seinem Finger gleich den Finger Adams zu berühren, der entspannt und fast träumend gen Himmel guckt. Wer erschafft hier eigentlich wen? Michelangelo hatte verbotenerweise Leichen seziert, er wusste, wie ein menschliches Gehirn In der zweiten Schöpfungsgeschichte der Bibel läuft der allwissende Gott durch den Garten Eden und ruft: „Adam, wo bist Du?“ Er spielt mit dem Menschen ein Versteckspiel. 20

SCHWERPUNKT aussieht, und hat die Abmessungen des Samttuches bis ins farbliche Detail der Gehirnwindungen exakt abgebildet, um seiner Auffassung Ausdruck zu verleihen, dass Gott vom Menschen erschaffen wurde. Aber das konnten nur Eingeweihte entdecken. Der Papst als Auftraggeber sah in dem Bild die Erschaffung Adams durch Gott – und das ästhetisch ansprechender als aus einem Lehmklumpen. Mit spielerischen Mehrdeutigkeiten und den Illusionsspielen der Kunst entsteht Neues, wie mit den Gedankenspielen der Literatur, den Geschichten, die wir Menschen uns erzählen, um die Welt zu sortieren und erklärbar zu gestalten. Für die aktuellen Herausforderungen der Menschheit wie die Klimakatastrophe benötigen wir dringend neue Erzählungen, neue gesellschaftliche Spielregeln, um der Selbstvernichtung zu entkommen. So wie Noah sein eigenes Schiff baute, um dem Untergang zu entgehen, müssen wir Menschen neue Regeln der Produktion, des Konsums und des Miteinanders spielerisch gestalten, damit es für uns nicht todernst wird. Mit Gottes Hilfe können wir darauf hoffen, dass das Naschen vom Baum der Erkenntnis dazu ausreicht, um neue, die Natur schonende Gesellschaftsregeln für die Menschheit schaffen zu können. Prof. Dr. Jens Junge leitet den Lehrstuhl für Ludologie an der SRH University Berlin. Er spielt gerne Diplomacy, Wing Commander, Clash of Clans, Tabu und Skat. Stefan Rohrer: Entzwei 2, 2022 – Foto: Archiv Galerie Scheffel; Portrait: Justus Junge 21

Jelly Beans Gerade an Weihnachten geht es um Menschwerdung: Gott ist Mensch geworden, so glauben es Christen auf aller Welt und feiern dieses Ereignis an Weihnachten. Was bedeutet das denn eigentlich, Menschwerdung? Als Lehrerin kann ich es Kindern zum Beispiel so erklären: Wir Menschen sind nicht wie Kaninchen oder unsere Hamster. Wir Menschen fragen uns: Was bedeutet dieses Leben für mich? Was ist mir wichtig? Dieses Nachspüren, die tiefe Dimension dessen zu erkunden, was mir wichtig ist, dafür wird bei Ignatius der Begriff des „Verkostens“ gebraucht. Wie geht das? Wie kann ich üben, auch und gerade mit Kindern und Jugendlichen, diese Dimension zu erspüren? Wie kann ich Leben verkosten? Eine Übung, die wir immer wieder mit verschiedenen jungen Menschen und auch Pädagog*innen machen, darf ich Ihnen hier vorstellen. Dafür arbeiten wir mit ganz bestimmten Bonbons, den sogenannten Jelly Beans. Diese Bonbons zeichnen sich – neben der Tatsache, dass sie besonders süß sind – dadurch aus, dass es sie in über 50 verschiedenen Geschmacksrichtungen gibt. Hier ein paar Beispiele: Apfelkuchen, Kaugummi, Tutti-Frutti, Wassermelone, Cappuccino, Zitrone, Pfirsich, Erdbeer-Käsekuchen, Pina Colada, Zuckerwatte, Lakritze, Erdbeereis, karamellisiertes Popcorn und noch viele weitere mehr. Wir laden die Schüler*innen für die Übung ein, zu sich zu kommen und bei sich zu sein. Beide Füße auf den Boden zu stellen, das hilft dabei. Ein paar Mal bewusst ein- und ausatmen. Alle zusammen und doch jede*r für sich nimmt eine Jelly Bean und darf diese langsam und genussvoll verkosten. Ausprobieren, wie sie schmeckt, sie im Mund herumschieben und an verschiedenen Stellen nochmal neu verkosten. Und nachspüren: Wie schmeckt das? Sie werden eingeladen, diesen Geschmack zu beschreiben. Und nach einer Weile fragen wir: Woran erinnert dich dieser Geschmack? Was verbindest du damit? In einer dieser Übungen hat eine Schülerin gesagt: „Das schmeckt nach Sommerurlaub mit meinen Großeltern!“ Ein anderer Schüler: „Das schmeckt nach Geburtstagsfeier mit all meinen Freunden!“ Und ein dritter: „Das schmeckt nach Hausaufgaben am Wochenende! Bäh!“ Tolle Antworten! Mit weiteren Jelly Beans kann dieses „Verkosten“ und Nachspüren noch vertieft und geübt werden. Das Besondere ist außerdem, dass die Jelly Beans schon von Haus aus manchmal so eine Art „Mischgeschmack“ angelegt haben: z. B. Erdbeer-Käsekuchen. So können Kinder lernen, dass Geschmäcker nicht eindeutig und schon gar nicht objektiv sein können. Und von da aus erklären wir den Schüler*innen, dass es doch auch oft Erlebnisse, Geistlicher Impuls 22

Begegnungen oder ganze Tage gibt, die so einen inneren „Geschmack“ haben. Wir fragen sie dann: „Wenn du auf diesen ganzen Tag schaust, auf alles, was da heute schon war, alles, was du erlebt hast: Wonach schmeckte der Tag heute denn so?“ Und auch hier lässt sich mit den Schüler*innen sammeln. Eine meiner Lieblingsantworten war: „Dieser Tag heute, der schmeckt nach Zukunft!“ Das Verkosten des Lebens in all seinen Facetten, das Zugänglichmachen von inneren Regungen und das Einordnen von diesen – all dies gehört für mich zur Menschwerdung dazu! Und am Ende darf ich Sie, die Leser*innen, noch einladen, kurz nachzuspüren und zu verkosten: Wonach schmeckt Ihr Tag heute? Wir Menschen fragen uns: Was bedeutet dieses Leben für mich? Was ist mir wichtig? Dieses Nachspüren, die tiefe Dimension dessen zu erkunden, was mir wichtig ist, dafür wird bei Ignatius der Begriff des „Verkostens“ gebraucht. Verena Urban ist Pädagogin, ev. Theologin und Systemische Beraterin. Seit 2021 arbeitet sie am Zentrum für Ignatianische Pädagogik in Ludwigshafen in der Weiterbildung und Begleitung von Lehrkräften und Schulleitungen. © jirkaejc/iStock.com 23

Felix Schaich SJ Mit einem verschmitzten Lächeln, mit einem flotten Spruch auf den Lippen und voller Energie, so nehme ich Felix Schaich wahr, der seit einigen Wochen das Jesuitenkolleg, das Jugendzentrum der Marianischen Kongregation Innsbruck (mk) und die Zukunftswerkstatt Innsbruck bereichert. Als Nachfolger von Helmut Schumacher ist der gebürtige Oberschwabe mit seinem schnellen Schritt nun mit spirituellen Impulsen zwischen hohen Berggipfeln z. B. beim Bergwochenende, mit zahlreichen Schulklassen und seinen Mitbrüdern unterwegs. Arbeit im Flüchtlingslager im Irak – Schulseelsorger in St. Blasien – Terziat in Irland – Arbeit in einem Behindertenheim in Armenien: Nach einer coronabedingt längeren Auszeit als üblich und nach vier Stationen in 22 Monaten ist Felix Schaich in Tirol angekommen. Die Erleichterung, nun wieder eine konkrete und langfristige Aufgabe zu haben, ist ihm deutlich anzumerken. In dieser übernimmt er seit Mitte August Stück für Stück mehr Verantwortung: Als Leiter des mk-Jugendzentrums sind Was macht eigentlich …? Junge Erwachsene beim Bergwochenende der Zukunftswerkstatt Innsbruck 24

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==