Jesuiten 2022-4 (Deutschland-Ausgabe)

SCHWERPUNKT Stefan Rohrer: Entzwei 2, 2022 – Foto: Archiv Galerie Scheffel Im Clown das Beste im Menschen entdecken Das Clown-Spiel ist ein Rollenspiel. Doch anders, als wir es sonst kennen. Es gibt die Rolle des Clowns und die Rolle der Zuschauer*innen. Diese können dabei eine ganze Menge lernen. Wer einmal bewusst in die Rolle des Clowns steigt und sich in die Haltung des Clowns hineinbegibt, wird merken, dass damit vor allem ein Ablegen aller möglichen Rollen verbunden ist. Im Clown kommt eine tiefe Wahrheit zutage. Jede und jeder hat seinen bzw. ihren eigenen Clown, einen Charakter, den es zu entdecken und zu leben gilt. Das Spiel des Clowns ist gerade der Verzicht darauf, irgendetwas zu überspielen. Deshalb sind z. B. irgendwelche Gags eher störend, denn sie führen vom eigentlichen Clown-Geschehen weg. Es gibt Menschen, die der Figur des Clowns nichts abgewinnen können. Doch in meiner Beobachtung sind das wenige. Und oft ist ihre Ablehnung mit einer Erfahrung verbunden, bei der die Unschuld des Clowns pervertiert und missbraucht wurde. Die Figur des wahren Clowns ist aber unschuldig. Der Clown führt nichts im Schilde, was anderen schaden könnte. Sein „Projekt“ muss zwar nicht im üblichen Sinne nützlich sein. Doch die Entschlossenheit und Ausdauer, mit der er etwas trotz aller Schwierigkeiten verfolgt, hat etwas positiv Berührendes. Der Clown macht nichts für sich selbst. Das Clown-Spiel ist tatsächlich ein Ereignis zwischen dem-, der- bzw. denjenigen in der Rolle des Clowns und denjenigen, die zuschauen. Der Clown muss dem Publikum folgen – nicht umgekehrt. Im gelingenden Fall sind die Zuschauer*innen im Prozess der sich entwickelnden Imagination der Wirklichkeit dem Clown immer einen Schritt voraus. Strenggenommen existiert der Clown nur so lange, wie es Zuschauer*innen gibt, die ihre Aufmerksamkeit auf ihn richten. In einem gelingenden Clown-Event geschieht etwas zutiefst Heilsames. Das Publikum rettet den Clown – und umgekehrt: Wer sich auf die Kommunikation mit einem Clown einlässt, erfährt die Einladung, die Wirklichkeit etwas anders wahrzunehmen. Der Clown schenkt durch seine unvermittelten Reaktionen einen transparenten Zugang zu seinem Empfinden und Erleben – durch den spontanen Ausdruck seiner Emotionen gegenüber seinen Wünschen, Problemen, Projekten, Erfolgen und nicht zuletzt durch sein Scheitern. Der Clown kann scheitern, ohne unterzugehen, weil er vom Wohlwollen des Publikums getragen wird. Und die Zuschauenden lernen vom Clown die ernsthaft spielerische Haltung, sich voll und ganz, manchmal auch auf scheinbar verlorenem Posten, frei von jeglicher Verbitterung für ein Mehr an Leben und Liebe einzusetzen. Christoph Albrecht SJ ist verantwortlich für die katholische Seelsorge der Fahrenden in der Schweiz und leitet den Jesuiten-Flüchtlingsdienst Schweiz. Wenn, dann spielt er ernsthaft Clown. 11

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