Jesuiten 2023-2 (Deutschland-Ausgabe)

Der tote Punkt bei Delp Vom toten Punkt zur Hoffnung: Sr. Mechthild Brömel OCD beschreibt die Verbindung zwischen dem Altarbild des Künstlers Georg Meistermann in der Berliner Gedenkkirche Maria Regina Martyrum und den Worten des inhaftierten Paters Alfred Delp SJ – und was beide für ihr Leben und ihren Glauben bedeuten. Für den Künstler Georg Meistermann setzt Farbe Wirklichkeit. Er sagt: „Das Leben des Menschen ist eingehüllt in Farbe.“ Sein Altarbild nimmt mich mit. Es begegnet mir Auge in Auge. Die hellen und dunklen Blöcke nehmen mein zerbrechliches Leben auf: Die Krisen und Hoffnungen, die offenen Fragen. Auch die großen Brüche und Wunden der Kirche. Alfred Delp SJ schreibt im Winter 1944/45 in der Haft über das Schicksal der Kirchen: „Wir sind an einem toten Punkt.“ Das berührt mich. Das Bild von Georg Meistermann und die Erfahrung von Pater Delp tragen mich, als ich eine Krebsdiagnose bekomme. Während der Karwoche gehe ich in den Hinrichtungsschuppen nach Plötzensee. Die alten Symbole von Lamm, Auge und Sichel werden sprechend. Pläne zerbrechen. Die Endlichkeit meines Lebens rückt nahe. Das Kreuz ist im Altarbild nicht sichtbar. Doch der Prozess des Kreuzes dringt aus jeder Pore des Werkes. Im Zerbersten der dunklen Blöcke zeigt sich eine Spiralbewegung. Die Spirale hat ihren Quellpunkt zwischen Auge und Lamm. Dort sind die hellsten Farben des Werkes. Der Künstler Hundertwasser sagt: „Die Spirale liegt genau dort, wo die leblose Materie sich in Leben umwandelt.“ Kunst ist eine schöpferische Bewegung des Heiligen Geistes. Grauen, Sprachlosigkeit, Ohnmacht und Schmerz können sich in hoffnungsvolle Kräfte wandeln. Alfred Delp schreibt: „Aus allen Poren der Dinge quillt Gott uns gleichsam entgegen. Wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und in den bösen Stunden hängen und erleben sie nicht bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen.“ Der tote Punkt kann sich zu einem Brunnenpunkt wandeln. Tote Punkte können Wendepunkte werden. Das zeigt uns der Weg Jesu ans Kreuz und das Schweigen des Karsamstags. Die hellen Tropfen oder Tränen links im Altarbild wandeln behutsam die dunklen Farben. Nach der jüdischen Mystik zerbrachen die Gefäße am Anfang der Schöpfung. Seitdem irren Millionen Scherben durch die Welt, an denen Lichtspuren haften. Funken des Lebens können wie versiegelte Brunnen überall aufzuspüren sein. Gottes zerstreute Funken: Kommen sie mir in den sieben Farbtupfern rechts im Altarbild entgegen? Ist in der dunklen Fläche darüber eine geöffnete Tür angedeutet? Delp sieht Hoffnung für das Schicksal der Kirchen, wenn wir einander helfend und heilend begegnen. Dann ist unsere menschliche Gebrechlichkeit begnadet. Wir ahnen den Schatz des göttlichen Funkens im Gegenüber. Dann schauen wir im Altarbild von Meistermann ein Hoffnungsbild. Sr. Mechthild Brömel OCD lebt und arbeitet im Karmel Regina Martyrum in Berlin bei der Gedenkkirche Regina Martyrum in der Nähe von Berlin-Plötzensee. Die geistliche Begleitung und Leitung einer Meditationsgruppe ist ihr ein wichtiges Anliegen. Bild: Karmel Regina Martyrum 20 SCHWERPUNKT

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