Jesuiten 2023-3 (Österreich-Ausgabe)

P. Stephan Ch. Kessler SJ leitet die Kunst-Station Sankt Peter Köln, ein Zentrum für zeitgenössische Kunst und Neue Musik in Verbindung mit einer innovativen Pastoral. Lieblingsgericht: hausgemachte bzw. handgeschabte Spätzle (pro „Maul“ ein Ei) mit Soße oder als Kässpätzle Meine Art zu essen, ist meine Art zu leben: nahrhaft werden Esse ich schnell oder langsam, zu viel oder zu wenig? Bin ich wählerisch oder putze ich jeden Teller leer? Kann ich genießen oder schlinge ich nur runter? Meine Art und Weise zu essen, offenbart viel über meine Persönlichkeit. Stephan Ch. Kessler SJ über (christliche) Tischkultur. Wie ich mich ernähre, ist ein Ausdruck des Lebens-Gefühls und zeigt, wie ich zum Leben stehe. Essen ist ein Gradmesser meiner Weltbejahung. Weil es daran vielleicht hapert, gibt es in einer Gesellschaft, in der niemand hungern müsste, so komplexe Essstörungen und gleichzeitig unzählige Kochsendungen, während eine verbindliche Esskultur zwischen Fastfood und Buffets zerfällt. Bei aller Individualität ist unsere Art zu essen stark von der Gemeinschaft und der Kultur geprägt. Kaum ein anderer Grundvollzug des Menschseins ist stärker kultiviert als Mahlzeiten, vom Butterbrot bis zum Staatsbankett. Grundlegend für das, was schmeckt, ist oft die Herkunft – wie „bei Muttern“ ist geschmacksbildend. Dass Essen aber auch etwas Heiliges ist, darum wissen die Religionen. Sich ernähren bedeutet, dass ich mir Leben einverleibe. Ich nehme anderes Leben als Energieträger in mich auf. Weil etwas vergehen muss, damit ich lebe, darum gibt es beim Essen einen Moment des Innehaltens. In dieser Ergriffenheit liegt der Grund für Gaben- oder Tischgebete; denn es ist nicht selbstverständlich, dass Essen Leib und Seele zusammenhält. Dass Genuss des Gegessenen mehr bedeutet als die zugeführten Kalorien, hat Marcel Proust mit dem ovalen Sandtörtchen einer „Madeleine“ zur Weltliteratur erhoben: „Ein unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein bestand und dessen Grund mir unbekannt blieb, hatte mich durch- strömt.“ Die Bibel und die jüdisch-christliche Tradition sind voll von transzendenten Mahlgeschichten. Jesus Sirach gibt nicht nur Hinweise zum Benehmen beim Essen, sondern entfaltet eine ausdrückliche Tischkultur inklusive sozialer Verantwortung: „Reiß an der Tafel den Rachen nicht auf … sorge für deinen Nächsten“ (Sir 31). Das Zusammenführen von unterschiedlichen Menschen um einen Tisch wird zum Erkennungszeichen der messianischen Sendung Jesu (Lk 22,15). Mahl- und Tischgemeinschaft sind eine entscheidende Kernkompetenz christlicher Lebenskultur, keineswegs nur am Altar. Brotbrechen und Tischgemeinschaft bilden unbestritten das Zentrum des Christlichen – im Alltag wie in der Liturgie. Damit Glaubende für andere nahrhaft werden, bedürfen sie einer unterscheidenden Tischkultur. Die kann man nach Ignatius lernen, indem man sich beim Essen Christus leibhaft vorstellt, wie und mit wem er gegessen hat, und ihn nachahmen (Geistliche Übungen 314). Denn wer wie Er isst, kann jenseits von Kalorien andere nähren. 5 SCHWERPUNKT

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