Jesuiten 2023-3 (Deutschland-Ausgabe)

Augenschmaus Mit dem Essen spielt man nicht, dient es doch in erster Linie dazu, den Hunger zu stillen. Und doch wird es vielfach „zweckentfremdet“. Was passiert, wenn wir Essen zum Anschauungsobjekt machen – sei es als #foodporn, Stillleben oder eucharistische Aussetzung? Wenn Markus Söder auf seinem Instagram-­ Account Einblick in seine kulinarischen Vorlieben gibt (#söderisst), dann zielt das nicht zuletzt auf Selbstinszenierung ab. „Ich bin einer von euch“, sagen die Posts, die beispielsweise einen Imbiss von McDonald´s oder eine ganze Platte Nürnberger Rostbratwürste zeigen. Der bayrische Ministerpräsident ist als „Foodfluencer“ keineswegs ein unpolitischer Gourmet. Das gilt wohl mehr oder weniger für jede*n, der Essensbilder im Netz veröffentlicht oder solche Bilder sucht und anschaut. Bei „#foodporn“ geht es um die Freude am Augenschmaus, aber eben nicht ausschließlich. Lebensmittel im Bild festzuhalten, ist keine Erfindung unserer Tage. Das Genre der Stilllebenmalerei ist voller Bilder von Früchten und Fleisch, Gebäck und Getränken. Die Entstehung der Gattung des Käsestilllebens in den Niederlanden im 16. Jahrhundert beispielsweise, hängt mit dem Siegeszug des bildkritischen Calvinismus zusammen. Nachdem dadurch christliche Motive suspekt geworden waren, verlegten sich die Maler und ihr Publikum auf andere Darstellungen, die dazu geeignet waren, Wohlstand und wirtschaftlichen Erfolg anzuzeigen. Die reich gedeckten Tafeln versinnbildlichen zugleich Prosperität, Genuss und Vergänglichkeit. In der katholischen Kirche pflegt man die Praxis der eucharistischen Anbetung, bei der das eucharistische Brot zur Betrachtung ausgestellt wird. Auch bei dieser Inszenierung geht der Sinngehalt über das hinaus, was man vordergründig sehen kann, indem die tatsächliche und bleibende Präsenz Christi augenfällig zelebriert wird. Christ*innen anderer Konfessionen ist diese Andachtsform unbekannt. Brot anzuschauen, das zum Essen gedacht ist, erschiene zum Beispiel den Kirchen des Ostens unsinnig. Essen auszustellen, zu fotografieren oder zu malen, um damit ein Statement zu machen, ist so üblich wie widersinnig. Wenn man es „nur“ anschaut, entgeht einem gerade das Wesentliche, nämlich die Sättigung. Vielleicht liegt darin aber gerade auch ein Genuss. Die französische Philosophin Simone Weil (1909–1943) formulierte in ihrem Buch Schwerkraft und Gnade, dass „der Abstand die Seele des Schönen“ sei. Ohne die medial definierte, unüberwindliche Distanz wäre die angeschaute Nahrung Gegenstand unserer Verfügungsgewalt. Das Bild ist mehr als das, was wir durch es hindurch zeigen wollen. Dieser Überschuss ist die Quelle der Erfahrung von Schönheit, und darin mag der Genuss liegen, der daraus erwachsen kann, Essen anzuschauen. Manfred Grimm SJ ist gelernter Drucker. Er studierte Philosophie und Kunstgeschichte in München und absolviert derzeit ein Theologiestudium in Paris. Lieblingsessen je nach Aufenthaltsort: Pfannkuchen oder Crêpes 19

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