Jesuiten 2023-4 (Deutschland-Ausgabe)

schiedene Wirkstoffe kombiniert und in definierten zeitlichen Abständen verabreicht. Die häufigste Krebserkrankung bei Kindern, die akute lymphatische Leukämie, die noch in den Fünfzigerjahren als unheilbar galt, kann so heute in fast 90 Prozent der Fälle geheilt werden. Dass bei Kindern vergleichsweise hohe Wirkstoffkonzentrationen verwendet werden können, zählt zu den Gründen für die hohe Heilungsrate. Giftige Medikamente können so gewissermaßen zum Lebenselixier bei der Behandlung von Krebserkrankungen werden. Ihre Anwendung ist jedoch mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden. Zu den sich schnell teilenden Zellarten zählen auch Schleimhautzellen, Haarwurzelzellen oder Zellen des blutbildenden und des Immunsystems, welche ebenfalls schwer beeinträchtigt werden. Die Behandlung der Nebenwirkungen, insbesondere von Infektionen, ist daher von großer Bedeutung. Hierbei werden Antibiotika genutzt, welche häufig auch giftig sind, in üblicher Dosierung allerdings nur für Bakterien und nicht für den menschlichen Organismus. Diese sind für den Erfolg einer Leukämiebehandlung genauso wichtig wie die Chemotherapie selbst und so werden gewissermaßen auch sie zum Lebenselixier. Neben den akuten Nebenwirkungen stehen auch Spätfolgen der Tumorerkrankung oder der Therapie zunehmend im Fokus. Die zugleich positiven und negativen Auswirkungen der Chemotherapie stellen die behandelnden Ärzt*innen regelmäßig vor Herausforderungen, sowohl bei der Behandlung der einzelnen Patient*innen als auch bei der Entwicklung neuer Therapien. So ist es unabdingbar, vor Beginn jedes Therapieblocks genau zu prüfen, ob die Patient*innen ausreichend belastbar und erholt von einer vorangegangenen Behandlung sind. Insbesondere bei Kindern mit komplizierten Verläufen müssen Gaben gelegentlich verschoben oder in der Dosis reduziert werden, um schwere Nebenwirkungen zu vermeiden. Diese Ambivalenz besteht auch bei der Entwicklung der Behandlungspläne. Durch ein besseres molekulares Verständnis der Erkrankungen wird es möglich, die Intensität der Behandlung genauer anzupassen. Neben der Entwicklung effektiverer Therapien besteht ein Fokus aktueller Forschung darin, Wirkstoffe zu finden, die bei gleicher Wirkung weniger Nebenwirkungen verursachen. In den letzten Jahren wurden zielgerichtete molekulare Therapien entwickelt, die das Tumorwachstum hemmen ohne dabei gesunde Zellen wesentlich zu beinträchtigen. Aufgrund der geringen Fallzahlen in der Kinderonkologie sind diese jedoch bisher noch wenig verbreitet. Fortschritte in der Forschung sind daher in Zukunft entscheidend, um onkologische Therapien weiter vom tödlichen Gift punktgenau hin zum Lebenselixier zu entwickeln. Dr. Michael Bockmayr ist Arzt und Juniorprofessor in der Kinderonkologie in Hamburg. Neben seiner klinischen Tätigkeit forscht er über Methoden der Bioinformatik und Künstlichen Intelligenz zur Verbesserung der Behandlung kindlicher Krebserkrankungen. Die akute lymphatische Leukämie kann in fast 90 Prozent der Fälle geheilt werden. Bild: © Martin Weis – Erscheinung 1 17 SCHWERPUNKT

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