Jesuiten 2023-4 (Deutschland-Ausgabe)

Jesuiten Lebenselixiere 2023-4

Jesuiten 2023-4 Dieses Druckerzeugnis wurde klimaneutral hergestellt, d. h. die mit der Produktion quantifizierten CO2-Emissionen werden durch Klimaschutzzertifikate kompensiert. Schicht um Schicht geht die Farbe auf das Papier über. Untere Schichten werden nicht überdeckt, sondern bilden spannende Allianzen – und schon entstehen neue Formen und Wirkungen: Wer einmal bei der Entstehung von Druckgrafiken dabei war, der konnte magische Momente erleben. Diese Faszination zieht den Künstler Martin Weis immer wieder in den Bann. In seinen Arbeiten greift er Lebensthemen auf und schafft Farbkonstellationen voller Anmut – und Rätselhaftigkeit: Was macht das Leben aus? Und wie finde ich selbst zu meinem eigenen Weg? Stefan Weigand PS: Weitere Werke zu sehen unter www.martinweis.de klima-druck.de · ID-Nr. 23154605 1 Editorial Schwerpunkt 2 Kostenlos aufladen 4 Hätten sie mal besser geplant 6 Begegnung durch Zuhören – im Krieg und unter dem Kreuz Jesu 8 Was beim Altwerden in Ordensgemeinschaften Leben spendet 10 Lebenselixiere beim Älterwerden: Ein Jesuit erzählt 12 Bilder mit Worten malen 14 Alkohol als Lebenselixier?! 16 Auch Gift kann ein Lebenselixier sein 18 Die Natur als Lebenselixier 19 Klarer sehen 20 Das Leben in Fülle spüren Geistlicher Impuls 22 Zutaten meines Lebenselixiers Was macht eigentlich …? 24 Stefan Dartmann SJ Nachrichten 26 Neues aus dem Jesuitenorden Personalien 30 Jubilare und Verstorbene Medien/Buch 31 Papst Franziskus, der Rufer in der Wüste Vorgestellt 32 Das IADC in Rom 34 Die besondere Bitte Standorte der Jesuiten in Zentraleuropa Impressum Foto: © Sina Wolbert

wenn Sie, wie wir, Fans von Asterix und Obelix sind, wird Ihnen der Druide Miraculix ein Begriff sein. Er braut in allen möglichen und unmöglichen Situationen einen Zaubertrank, der den Galliern hilft, sich kreativ gegen die Übermacht der römischen Besatzungsmacht zu wehren und ihr kleines Dorf zu verteidigen. Auch wenn wir Ihnen in diesem Heft kein Rezept für diesen Zaubertrank liefern können, so haben wir doch einige Autorinnen und Autoren gefunden, die über etwas schreiben, das diesem Zaubertrank nicht unähnlich ist: ihr ganz persönliches Lebenselixier. Also das, was dem Leben selbst in vertrackten Situationen und hoffnungslosen Momenten Ausrichtung und neue Kraft verleiht; oder das, was in guten Momenten das Leben einfach schöner macht. Das kann verschiedene Gestalten annehmen. So begegnen wir der Bibel als Lebenselixier, erfahren, was einem Jesuiten, der seit einiger Zeit in Charkiw in der Ukraine lebt, hilft, nicht aufzugeben und lesen, wie Windsurfen zu einer inspirierenden spirituellen Erfahrung werden kann. Bei der Hochzeit zu Kana hören wir, wie Jesus fast unbemerkt neue Lebensfreude in ein Fest bringt, das zu scheitern droht. Auch Gottesgaben wie die Natur oder die Malerei können uns als Elixiere auf unserem Weg stärken. Schließlich wollen wir der Frage Aufmerksamkeit widmen, welche Lebensquellen sich im Alter ganz besonders erschließen. Allerdings können Lebenselixiere auch ambivalent oder erst auf den zweiten Blick als solche erkennbar sein. So kann aus dem Genuss eines guten Glases Wein schnell eine Sucht werden. Umgekehrt können vermeintliche Gifte in der medizinischen Behandlung von Tumoren unser Leben verlängern und Heilung bringen. Für viele Menschen stellt das Fest der Geburt Jesu ein Lebenselixier ganz eigener Art dar. Die Bräuche, Gesänge und Feierlichkeiten an sich können bereits zu Trost und neuer Lebenslust führen. Viel mehr noch ist es der Glaube, mit dem Kind in der Krippe dem unbegreiflichen Gott so wunderbar nahe zu sein, der gerade dann, wenn die Nacht für uns am kältesten und dunkelsten ist, lebenspendendes Licht und liebevolle Wärme schenkt. Wie gesagt, ein Rezept für einen Zaubertrank, der Superkräfte verleiht, können wir Ihnen damit nicht an die Hand geben. Wenn die beschriebenen Lebenselixiere in Ihnen etwas auslösen, gehen Sie jedenfalls nicht leer aus! Und wer weiß: Vielleicht verbirgt sich im diesjährigen Weihnachtsfest auch für Sie ein Lebenselixier – die Hoffnung, im lebendigen Gott geborgen zu sein. Dass Ihnen das Fest der Geburt Jesu Christi zum Fest der Heilung, der Stärkung und der Freude werde, wünschen Ihnen und Ihren Familien Liebe Leserin, lieber Leser unseres Jesuiten-Magazins, P. Sebastian Maly SJ, Daniel Weber SJ und P. Sebastian Ortner SJ EDITORIAL 1

Kostenlos aufladen Wie ihn das Lesen und Arbeiten mit der Bibel nährt, stärkt und „auflädt”, verrät uns Georg Fischer SJ. Bei Laufwettbewerben gibt es für Läufer*innen „Ladestationen“, für Autos gibt es Tankstellen, für elektrische Fahrzeuge inzwischen Ladestationen. Sie alle geben in hoch konzentrierter Form Energie und ermöglichen es, weite Strecken zurückzulegen. Die Bibel ist auch eine Art Labestation, die aber noch viel mehr Kraft gibt und dazu kostenlos ist (Jes 55,1–3). Mir wurde geschenkt, schon in der frühen Jugend Freude an Gottes Wort zu haben und häufig darin zu lesen. Jesu Botschaft und seine Hingabe, gerade auch für Arme und Schwache, 2

haben mich fasziniert und dazu geführt, 1972 um Aufnahme in den Jesuitenorden zu bitten. Seitdem ist die Heilige Schrift meine treue Begleiterin, selbst im Urlaub. Eine besondere Gnade war, dass der Provinzial mich 1980 dazu bestimmte, Altes Testament zu studieren. So ist die Bibel mein Lebensinhalt geworden. „Gott! Mein Gott bist Du! Nach dir morgenröte ich …“ (Ps 63,2) Mit diesem Gebet beginne ich seit Jahrzehnten jeden Sonntagmorgen, auswendig, auf Hebräisch, die Woche. Für jeden Tag, früh und abends, sind es meist zwei oder ein längerer Psalm, die mich mit Gott verbinden und von ihm her tiefe Ruhe schenken. Morgens stärkt es für die Arbeit, und abends ist das Beten dieser herrlichen Gedichte erfüllt von großer Dankbarkeit. Über die Jahre ist die Sehnsucht – das Verb „morgenröten“ (so im Original) steht dafür – immer mehr gewachsen und eine innige Nähe zu Gott entstanden, die Vertrauen und Zuversicht gibt. Die auswendige Kenntnis dieser Psalmen hat ein „Heimatgefühl“ entstehen lassen. Es hat auch den Vorteil, sie jederzeit, im Dunkeln, beim Warten, auf Reisen oder bei anderen Gelegenheiten beten zu können und zu spüren, bei Gott geborgen zu sein. „Nicht vom Brot allein … sondern von allem, was aus dem Mund Jhwhs kommt, lebt der Mensch“ (Dtn 8,3), lehrt Mose das Volk vor dem Einzug. Er deutet damit die Erfahrung des Wanderns in der Wüste. Tatsächlich brauchen wir Menschen auf unserem Weg durch das Leben, der oft auch einsam ist und durch „dürre Gegenden“ führt, mehr als nur Nahrung für den Körper. Gottes Wort ist stärkend, unaufhörlich, für alle Pfade und Steige; es gibt sogar auch Licht dafür (Ps 119,105). Viele Menschen begleitet Psalm 23 „Jhwh ist mein Hirte“ auf ihrem Weg durch die letzten Lebensjahre und in den Tod hinein. Er schenkt ihnen Vertrauen und Trost. „Süßer als Honig“ (Ps 19,11) Was geistig nährt, verbraucht sich nicht wie das, was wir essen; es macht zudem nicht dick. Die Heiligen Schriften übersättigen auch nicht. Nach über 50 Jahren intensiver Beschäftigung mit ihnen verspüre ich noch immer den Wunsch, sie besser kennenzulernen. Sie sind für mich köstlicher als exquisite Schokolade. Ein Satz wie „Ich will singen für meinen Liebsten, das Lied meines Freundes“ (Jes 5,1), der mir Gott als geliebten Freund nahebringt, liefert Freude ohne Ende. Gerne vergleiche ich die Bibel auch mit Sirup: Sie ist eine extrem verdichtete Kostbarkeit mit unzähligen geistlichen und menschlichen Erfahrungen. Wie man gewöhnlich Sirup nicht pur trinkt, muss sie ebenso „verdünnt“, in kleinen Dosen genossen werden, gemischt mit Beten, Nachdenken, Bezügen zu unserem Leben. „Kostbarer als viel Gold“ Diese Einschätzung gibt Psalm 19,11 der Weisung Gottes. In vielen Bibelrunden durfte ich erfahren, wie die biblischen Texte Teilnehmende beschenken, ihnen Orientierung, Motivation, Einsicht geben und uns untereinander verbinden getreu Psalm 133,1: „… wenn Geschwister in Eintracht zusammensitzen“. Ich konnte erleben, wie Schriftstellen Blindheiten heilten, Versöhnung auslösten und Menschen im Guten wachsen ließen. Gelobt sei Gott für sein Wort! P. Georg Fischer SJ absolvierte eine Spezialausbildung am Päpstlichen Bibelinstitut. Er hat die Erfahrung gemacht, zweimal ganze drei Jahre zu zwei biblischen Kapiteln (Ex 3–4; Jer 30–31) zu forschen und dabei von Gottes Geist geführt zu werden. Bergsteigen ist neben der Bibel für ihn ein weiteres Lebenselixier. Bild: © Martin Weis – Halt gelb 3 SCHWERPUNKT

Hätten sie mal besser geplant Auf der Hochzeit zu Kana geht der Wein aus. Dass es nicht der gelagerte Wein ist, der hier zum Lebenselixier wird, sondern etwas ganz anderes, darüber schreibt Schwester Elisabeth Muche sa. „Am dritten Tag fand in Kana in Galiläa eine Hochzeit statt und die Mutter Jesu war dabei. Auch Jesus und seine Jünger waren zur Hochzeit eingeladen. Als der Wein ausging …“ (Joh 2,1–3a). Hätten sie mal besser geplant: präziser gerechnet, mehr Vorräte angelegt oder eben weniger Gäste eingeladen. Die große Party feiern zu wollen und in der Mitte des Festes auf dem Trockenen zu sitzen! Einfach peinlich! Und doch ist das – irgendwie vertraut. Ich ziehe los, denke einmal groß, mache einen Schritt, setze etwas in Bewegung. Und dann geht mir die Puste aus. Leere stellt sich ein, Verzagtheit vielleicht, Trostlosigkeit. Habe ich mich verzockt? Nicht genügend Vorräte angelegt – an Lebenselixier? Die Hochzeit zu Kana bricht mit der Logik eines Lebens als möglichst gut geplantes Projekt. Jesus übernimmt das Ressourcenmanagement auf verstörende Weise und „offenbarte [so] seine Herrlichkeit und seine Jünger glaubten an ihn.“ Gott erfüllt die Menschen scheinbar gerade da, wo ihre Vorratsplanung scheitert. Was heißt das für unsere Beschaffungsmaßnahmen hinsichtlich unseres Lebenselixieres? Dass es nicht im Supermarktregal steht, ist klar. Doch wenn es nichts ist, was ich vorrätig, was ich überhaupt haben kann, kein Wasser, kein Wein, keine Einsicht oder Klarheit, keine Freude, kein Erfolg? Dann steckt das Lebenselixier, meine ich, in der Bewegung, im Sein, im Vertrauen und Werden in Gottes Gegenwart. Diese Erfahrung darf ich in manchen privilegierten Momenten in der geistlichen Begleitung wie auch in der psychotherapeutischen Arbeit mit (jungen) Menschen machen. Sie suchen nach dem, was sie am Leben hält. Und sie finden eine Bewegung voller Risiko, die sie lebendig macht. „Als der Wein ausging …“: Da ist ein Schmerz. Eine Träne. Wut. Angst. Leere. Noch ist es möglich, es zu leugnen. Aber bald werden die ersten davon Notiz nehmen, die Stirn runzeln, die Stimmung wird kippen. Nicht so im Johannesevangelium. Maria bemerkt es – und durch sie Jesus. Diskret schaffen sie einen Raum, in dem Platz ist für das, was ist. In dem wahr sein darf, was eben gerade wahr ist. In dem nichts dramatisiert oder bagatellisiert wird. In dem die Hoffnung im Aussprechen schon mitschwingt. Dieses Wahr-Sein-Lassen-Dürfen, was gerade für mich wahr ist, macht lebendig. „Füllt die Krüge mit Wasser.“ Wozu? Wäre es nicht klüger, das Verteidigungssystem zu aktivieren oder, noch besser, sich aus dem Staub zu machen? „Füllt die Krüge mit Wasser“, damit das Fest weitergeht! Damit das Leben in Bewegung bleibt – und nicht in der Spannung zwischen Flucht und Kampf erstarrt. Sich darauf einzulassen, einen Schritt blind zu gehen, ohne zu wissen, was kommt, das erfordert Vertrauen. Wenn dieses Vertrauen entsteht, ist es kein Selbstzweck und erst recht keine Bedingung – nicht für menschliche Beziehung und ich glaube auch nicht für Gott. Ich erlebe dieses Vertrauen als unverfügbar, eine leise, flüchtige Bewegung, die einen Hunger stillt. Eine Sehnsucht, nicht allein zu sein mit sich in dieser Welt. „Schöpft jetzt.“ Schöpft aus den Krügen, die ihr gefüllt habt! Schöpft aus dem, was da ist! Es wird reichen, nein, mehr als das. Es ist der bestmögliche Wein. Das ist der Moment, 4 SCHWERPUNKT

in dem ein 18-jähriger Patient sagt, es reiche ihm jetzt mit Klinik, er nehme sein Leben in die Hand und außerdem müsse er los ins Klimacamp – und lachend davonzieht. Der Moment, in dem eine Theologiestudentin sagt, es reiche ihr jetzt, sie wisse genau, dass Gott kein Problem mit ihren Regenbogenschnürsenkeln habe – und ihre Augen Funken sprühen. Momente, in denen ein Mensch aufsteht, sich hinstellt, Person wird. Ich glaube, Gott fördert diese Bewegung und wirkt in ihr, füllt Wachstumselixier hinein. „Die Diener aber […] wussten es.“: Sie wussten, woher der Wein kam. Es gibt dieses stille Wissen um Gottes Wirken in unseren menschlichen Bewegungen, in unserem Sein, Vertrauen und Werden. Mal findet es stotternd Worte, mal bleibt es sprachlos. Auf Vorrat anlegen lässt es sich nicht. Sr. Elisabeth Muche sa gehört zur Kongregation der Helferinnen. Nach Psychologiestudium und Ordensausbildung beendet sie zurzeit ihre therapeutische Ausbildung in München. Auch wenn sie ihr Lebenselixier nicht kaufen kann – ein 49 €-Ticket, um in die Berge zu fahren, schon. Bild: © Martin Weis – Flüchtig 5

Begegnung durch Zuhören – im Krieg und unter dem „Kreuz Jesu“ Wie er den Krieg in seinem Heimatland, der Ukraine, erlebt und was ihn trotz allem nicht aufgeben lässt, darüber schreibt Mykhailo Stanchyshyn SJ. Bis heute herrscht Krieg gegen die Ukraine, ausgelöst von der Russischen Föderation. Die Grausamkeit dieses Krieges richtet sich grundsätzlich gegen das Existenzrecht des ukrainischen Volkes. Seit Jahrhunderten erfahren die Ukrainer*innen die Verachtung ihrer Sprache, Kultur, Geschichte und ihres Glaubens. Hinter jedem getöteten Soldaten, jeder vergewaltigten Frau und jedem getöteten oder verwaisten Kind steht die Ablehnung einer Begegnung. Jede Rakete, gerichtet auf Zivilisten*innen, bedeutet die Weigerung, einem anderen Volk zuzuhören. 6

Die Fähigkeit und der Wille zum Zuhören sind entscheidend auf dem Weg zur Begegnung. Zuhören bedeutet, Unterschiede zuzulassen und anzunehmen. Die menschliche Gemeinschaft lebt von dieser Weise der Begegnung. Ohne zuerst auf Gott zu hören, ist eine zwischenmenschliche Begegnung kaum möglich. Er kommt zu uns als Mensch, um uns aus Liebe zuzuhören. Ohne auf sich selbst zu hören, ist ein Mensch nicht in der Lage, einem anderen Menschen zu begegnen. Ohne die Wahrnehmung der Zerbrechlichkeit und des Ausmaßes der Ängste im eigenen Herzen ist es unmöglich, auf das verletzte Herz eines anderen Menschen zu hören. Ängste erzeugen Misstrauen und können Beziehungen schaden. Liebevolles Zuhören ist ein Zeichen der Demut, ohne die keine Begegnung möglich ist. Demut ist die Grundlage für eine dauerhafte Begegnung und eine reife Gemeinschaft freier Söhne und Töchter großer Staaten und Nationen. Der heilige Ignatius von Loyola hinterließ uns ein gutes Werkzeug für die Begegnung: Die Exerzitien und die Gewissenserforschung sind eine Hilfe, Gott, einander und sich selbst durch achtsames Zuhören zu begegnen. Eine tiefe Begegnung mit Gott und anderen Menschen erfuhr ich in Charkiw, als der Krieg ausbrach und ich in eine Stadt kam, die von fast einer Million Einwohner*innen verlassen wurde, weil sie an der Grenze zu Russland liegt. Was mich in die Begegnung führte, war mein ständiger Blick auf den Gekreuzigten oder eher sein liebevoller Blick auf mich. Die tägliche Reflexion über die Dritte Woche der Exerzitien (Leidensphase), die sich spontan in mir abspielte, schenkte mir immer wieder die Kraft, durchzuhalten. Die Dritte Woche half, im Glauben an das Kreuz Jesu Christi und an seine verborgene und wahre Kraft zu wachsen. Alles war wirklich und wahr: die Kraft seines Kreuzes, die die Todesangst und den Tod selbst überwindet. Im Hof unserer Kirche in Charkiw durfte ich täglich Zeuge eines Spektakels sein, als stiege der Herr vom Kreuz herab, um den Menschen in Not zu dienen, auch durch mein Herz, meine Ohren und Hände. Manchmal streckte Er seinen Arm einladend herunter oder Er lächelte uns einfach trostvoll vom Kreuz zu, uns, die wir im Schmutz, in Kälte, in Hungersnot und oft schlicht ahnungslos in Seiner Gegenwart verweilten. Dort, unter dem Kreuz, begegnete ich meiner tiefen Angst und einem lauten Wutschrei gegenüber den Feinden. Der Gekreuzigte stand uns allen bei, um die ständige Todesangst zu überwinden. Er schenkte die Kraft, nicht wegzulaufen, sondern Widerstand zu leisten, zusammen mit Ihm, an Seinem und an unserem Kreuz. Diese sechs Monate langen „Exerzitien“ und die tägliche Gewissenserforschung waren gerade zu Beginn des Krieges meine einzige Stütze und ein wirksames Mittel täglicher Begegnung: zuerst mit mir selbst in den eigenen Tiefen der menschlichen Würde, dann aber auch mit der Zerbrechlichkeit anderer Menschen und mit der bedingungslosen Liebe Gottes zu uns allen, und zwar weltweit. Diese Begegnung ruft zur täglichen Nachfolge, in die größere Tiefe der Beziehung und zum Wachstum in Hoffnung, Glauben und Liebe. Was im Krieg wirklich Halt gibt, ist Glaube als Begegnung. P. Mykhailo Stanchyshyn SJ ist in Lwiw (Lemberg) geboren. Nach seinem Promotionsstudium in Theologie trat er 2007 ins Noviziat der deutschen Jesuitenprovinz ein. 2014 wurde er in Lwiw im byzantinischen Ritus zum Priester geweiht und lebt und wirkt in der Ukraine, derzeit in Charkiw. Bild: © Martin Weis – Portal 7 SCHWERPUNKT

Was beim Altwerden in Ordensgemeinschaften Leben spendet Wie ist das so, das Altwerden in einem Orden? Was bewegt die Menschen und woraus schöpfen sie Kraft? Mit diesen Fragen hat sich Dr. Ruth Mächler in einer Studie befasst. Ruth, du hast dich mit 21 hochbetagten Ordensleuten lange unterhalten und damit weißt du einiges über das Altwerden im Orden. Was ist das Lebenselixier, das Menschen Kraft gibt, dass sie im Orden gut alt werden können? Zunächst ist es natürlich die Spiritualität. Ich habe mit vielen Ordensleuten gesprochen, die ganz große Kraft aus ihrem Glauben schöpfen, und es ist wunderschön zu sehen, wie sie es genießen, dass sie nun auf einmal so viel Zeit für ihre Spiritualität haben. In den beiden Orden, die ich untersucht habe, also euch Jesuiten und die Sacré-Cœur-Schwestern, wird sehr viel gearbeitet. Umso schöner scheint es dann zu sein, wenn man im Alter viel Zeit hat. Zum Beispiel hat eine Schwester mir erzählt, dass sie betet: „Lieber Gott, es tut mir leid, dass ich wenig Zeit gehabt habe, aber ich war doch immer bei den Armen und den Kindern und dort warst du ja auch. Aber jetzt habe ich Zeit für dich!“ Das fand ich sehr schön. Oder ein Pater hat davon gesprochen, dass diese Zeit jetzt wie ein neues Noviziat ist, weil er so viel über den Glauben dazu lernen kann. Man spürt da, dass ein persönlicher Glaube wirklich ein Lebenselixier sein kann, weil da Lebendigkeit drin ist und immer wieder Neues passiert, auch wenn man alt ist. Das gelingt natürlich nicht immer und nicht in jeder Phase. Ein Gespräch ist ja eine Momentaufnahme. Und bei manchen spürt man Nöte oder eine Leere, dort, wo man ihnen die Spiritualität wünscht. Das Alter bringt ja Einschränkungen, Gebrechen und Krisen mit sich. Gibt es auch andere Ressourcen, die du gefunden hast? Eine weitere große Ressource kann die Gemeinschaft sein, wenn die Beziehungen gut sind, was naturgemäß nicht immer der Fall ist. Aber wo gute Beziehungen sind, sind sie eine starke Ressource. Dies gilt natürlich auch da, wo Beziehungen zu Menschen außerhalb bestehen, also zu Geschwistern, Nichten und Neffen oder zu Freunden. Ebenso kann es die Natur sein. Auch aus ihr wird Kraft geschöpft, das ist dann schon wieder geradezu eine spirituelle Ressource. Inwieweit ist die Natur eine spirituelle Ressource, gerade für Ordensleute? Nun ja, auf der Basis eines Glaubens an einen Schöpfergott die Natur zu erfahren, die Schönheit der Natur, das lässt sich ja ganz stark mit dem Glauben verbinden. Es kann den Glauben stärken, diese Dinge zu sehen, die sich ja auch im eigenen Leben widerspiegeln, so wie der Winter, bei dem nach der Zeit der Erstarrung wieder der Frühling kommt. Ein persönlicher Glaube kann wirklich ein Lebenselixier sein. 8 SCHWERPUNKT

Der Tod, das nahende Ende, ist ein großes Thema im hohen Alter. Welche Lebenselixiere hast du wahrgenommen in Hinblick auf die Vorbereitung auf den Tod? Ich möchte mich nicht allzu sehr wiederholen, aber natürlich ist der Glaube an Gott da ein großes Lebenselixier. Die Vorbereitung auf den Tod kann ja ein langer Abwärtsweg sein. Und zu glauben, dass es danach gut wird, ist natürlich sehr tröstlich. Mir ist bei den Gesprächen aufgefallen, dass furchtlos vom nahenden Tod gesprochen wurde. Es gab schon Ängste in Hinblick auf den Sterbeprozess, aber kaum in Bezug auf den Tod selber, und das hat mit dem Glauben zu tun. Zudem denke ich, dass es sich um sehr reflektierte Menschen handelt, die nicht verdrängen, sondern den Dingen ins Auge sehen. Auch das kann ein Lebenselixier sein, sich dem Leben zu stellen. Fällt dir zum Abschluss spontan noch etwas zum Begriff Lebenselixier ein? Es gibt unglaublich lebendige alte Menschen und es gibt junge Menschen, bei denen man das Gefühl hat, es ist schon etwas in ihnen gestorben. Also: Lebenselixier und Lebendigkeit sind unabhängig vom Alter! Interview: P. Eckhard Frick SJ Dr. Ruth Mächler ist Soziologin und Theologin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Spiritual Care und psychosomatische Gesundheit an der TU München. Sie hat im Rahmen einer qualitativen Studie 21 hochbetagte Ordensleute zu ihrem Leben befragt. Bild: © Martin Weis – Berührung 9

Lebenselixiere beim Älterwerden: Ein Jesuit erzählt „Altwerden ist nichts für Feiglinge“ lautet ein bekannter Spruch und Buchtitel. P. Hermann Breulmann SJ teilt mit uns die Herausforderungen wie auch Kraftquellen, die für ihn mit dem Älterwerden und Altsein verbunden sind. Das Älterwerden ist ein langsamer Prozess, der durch harte Zäsuren geprägt sein kann. In meinem Fall bestand diese Zäsur in einer missglückten Operation, die zu einer langfristigen Behinderung beim Gehen führte. Dann kommt einem zu Bewusstsein, dass es Schwellen gibt, die einen neuen Abschnitt des Lebens ankündigen. Schwellen sind immer kippelig und bergen die Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren. Man erkennt, dass die Vergangenheit viel mehr Raum einnimmt als die verbleibende Zukunft. Das Leben ist befristet. Ich will diese Herausforderung und Erkenntnis nicht zu putzig und zu romantisch angehen, sondern auch als eine harte geistliche Übung und Gestaltung verstehen. Im Alter müssen die Bojen des Lebens neu positioniert werden, die Planken der Strukturen und der Pflichten werden schwächer, es geht mehr als früher um eine Reise nach innen. Der Alltag ist nicht mehr durch die Arbeit strukturiert, sondern diese Aufgabe muss nun selbst erledigt werden. Für mich ist es eine Herausforderung, dem Leben jenseits der Tätigkeiten eine Form und Struktur zu geben. Weiterhin fällt es mir nicht leicht, um Hilfe zu bitten, abhängig zu sein. Darin besteht für mich eine Übung, die schon in der Klinik begonnen hat. Dann sollte man die Dankbarkeit für die kleinen Gesten, Hilfen und Aufmunterungen nicht vergessen – sie sind nicht selbstverständlich. Die Gedanken, die einen überfallen, zu zähmen, ist eine weitere Übung; ebenso wie jene, dem Kopf und dem Herzen jenseits des Grübelns und Nachdenkens gutes Futter zu geben. Bücher sind mir ein Trost, besonders Biografien und Romane, weniger die Sachbücher, wie sie es früher für mich waren. Nicht zu vergessen die Musik, welche die Einsamkeit und das Gefühl der Verbundenheit miteinander vereinen kann. Freundschaften von neuem zu pflegen, ist für mich eine neue Perspektive. Dafür hat man jetzt mehr Zeit. Die vielen Bekannten verblassen hinter den Freund*innen, die um einen wissen, in guten und auch in schlechten Tagen. Im Zweiten Korintherbrief spricht der Apostel Paulus von einer Traurigkeit, die Gott gemäß ist. Die Trauer ist eine geistliche Stimmung in der Erfahrung des Älterwerdens. Die Trauer über Schuld, Fehler, verpasste Chancen, manche Dummheiten und auch über die Sanduhr des Lebens. Diese gottgemäße Trauer ist wohl eine, die man in eine Perspektive von mehr Glauben, Hoffnung und Liebe bringen kann; eine Haltung der Weisheit, die mich in einen größeren Zusammenhang der Welt und des Lebens Bücher und Musik sind mir ein Trost. 10 SCHWERPUNKT

einstimmt. Deren Motto lautet: Alles in allem war und ist es gut. Man kann auch sagen: Es geht darum, mit sich gut und würdig zurechtzukommen. Das ist doch keine schlechte Überschrift über diesen prekären Lebensabschnitt! Geistlich wird mir die Stille immer wichtiger, die Pausen ohne Worte. Ich habe den Rosenkranz zu meiner Überraschung entdeckt, heilsame Wiederholungen und gedankenverlorene Präsenz. Das Betrachten der Natur gehört dazu, auch das Gespräch mit den zahlreicher werdenden Toten. Ignatius von Loyola spricht oft lakonisch vom Nutzen, der man sein soll. Vielleicht liegt im Älterwerden dieser Nutzen für die Mitmenschen im Zuhören und dem absichtslosen Interesse an den Menschen. Eine Güte, die wohl unter dem Stern der Gnade blüht. Das Wichtigste im Leben fällt einem doch in den Schoß. Ein Anwalt der Gnade zu sein, ist eine Aufgabe gegen den Narzissmus und die Rechthaberei im Alter. Tua res agitur! P. Hermann Breulmann SJ hat viele Jahre in der Hochschulseelsorge und als Geistlicher Rektor des Cusanuswerks mit jungen Erwachsenen gearbeitet. Vielen ist er auch als Kirchenrektor von St. Michael bekannt, wo er bis 2010 wirkte. Seit 2022 lebt P. Breulmann im Ignatiushaus in Berlin. Bild: © Martin Weis – Erscheinung 11

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Bilder mit Worten malen Was sind Lebenselixiere junger Menschen? Wie helfen sie ihnen, mit den Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft umzugehen? Wir haben eine junge Frau gefragt, die wir in der Zukunftswerkstatt SJ in Frankfurt kennengelernt haben. Manchmal wird mir alles zu viel. Manchmal könnte ich platzen vor Wut, vor Enttäuschung oder vor überfließender Freude. Und manchmal weiß ich gar nicht, was ich eigentlich gerade fühle … Das ist der normale Alltag eines jungen Erwachsenen oder genauer gesagt einer jungen Frau, deren Leben sich mit 20 gerade sehr verändert: von zu Hause ausziehen, ein Studium beginnen, eine neue Stadt kennenlernen, sich verlieben, das Herz gebrochen bekommen, unendlich viele neue Menschen kennenlernen, tiefe Freundschaften leben, Menschen verletzen, das Gefühl haben, nicht genug zu sein, und die ewige Frage: Wer bin ich eigentlich? Wenn mir all das über den Kopf wächst und nichts mehr hilft, bleibt mir immer eine letzte Möglichkeit: Schreiben. Hier beobachtet mich niemand und keiner hat das Recht, eine Meinung dazu zu haben. Das ist mein geschützter Rahmen – mein safe space. Vor allem ist es aber eine Art von Therapie und eine wichtige Form der Selbstreflexion, was vermutlich keiner zu glauben wagen würde, der Schreiben nicht genauso als Lebenselixier bezeichnet wie ich. Dann sitze ich also mit meinem Laptop auf dem Bett, lege mir eine Chillout-Playlist auf die Ohren und begebe mich auf eine kleine Reise in meinen eigenen Kopf. Zuerst betrete ich ihn wie ein Kunstmuseum und schaue mir alles an, was es zu sehen gibt. Ich schreibe alle Beobachtungen ohne Filter auf und stelle viele Fragen. Manche Gemälde sind bekannt – einige sogar zu bekannt. Wieder andere Bilder lösen eine ungeahnte Reaktion in mir aus. Ich stelle mich länger davor und versuche herauszufinden, warum das so ist. Ich wühle in den Erinnerungen an die letzten Museumsbesuche und stelle Beziehungen her. Ich vergleiche, kontrastiere, bestätige oder falsifiziere. Ich decke Muster auf, von denen manche mir gefallen und manche nicht. Zuletzt überlege ich mir, wie ich mit denen umgehen kann, die mir nicht gefallen. Immer wieder trete ich aus meinem Kopf heraus und lese laut vor. Gesprochene Worte schaffen Realität. Dieser Schritt ist unabdinglich, um frustrierende Realitäten anzuerkennen, unfassbar glückliche Momente bewusst zu konservieren, aber vor allem dem Ganzen auch äußerlich eine Struktur zu verleihen. Manche dieser Texte werden nie das Licht der Welt erblicken, andere sind nur für die Augen und Ohren einer Person bestimmt, und wieder andere schaffen es auf Bühnen. Jeder hat seinen Ort – und das ist auch ganz genau richtig so. Mareike Bruhns ist 21 Jahre alt und kommt ursprünglich aus Grünstadt in der Pfalz. Momentan wohnt sie in Heidelberg und studiert im 3. Semester Sonderpädagogik. In der Zukunftswerkstatt SJ hat sie ihre ersten Exerzitien gemacht. Bild: © Martin Weis – Drei Kreuze gelb 13 SCHWERPUNKT

Bernd Goebel ist Vater zweier erwachsener Kinder und als Kaufmännischer Angestellter berufstätig. Seit 2005 ist er trockener Alkoholiker und engagiert sich ehrenamtlich in der AlkoholPräventionsarbeit an Schulen sowie in Firmen und Vereinen. Alkohol als Lebenselixier?! Bernd Goebel erfuhr am eigenen Leib, wie ein vermeintlicher Genuss in die Abhängigkeit führen kann und zum schleichenden Selbstmord wird. Ein Lebenselixier soll uns Kraft zum Leben oder neue Energie geben. Ist das Elixier jedoch eine suchtfördernde Substanz, kann es zu einem Gift werden, das einen umbringen kann. Nach dem Genuss eines Elixiers geht es einem besser, man fühlt sich gut und hat positive Gedanken. Mir ging es nach dem Genuss von Alkohol auch besser, aber nur für einen kurzen Moment, danach fühlte ich mich schlecht und hatte negative Gedanken. Aus dem vermeintlichen Genussmittel wurde in kurzer Zeit eine Substanz, die Macht über mich ergriff, die Mittelpunkt in meinem Leben wurde und mich zu einer Marionette ohne eigenen Willen werden ließ. Sie hat mich manipuliert, so dass es am Ende nur noch die Flasche und mich gab. Ich trank mich in meine Isolation und blendete alles aus, was mir vorher wichtig gewesen war: meine Familie, meinen Beruf, meine Freunde, meine Ehrenämter. Ich habe den Alkohol missbraucht, ihn gezielt eingesetzt, zum Beispiel als Problemlöser. Er hat kein einziges Problem gelöst, sondern ganz viele neue geschaffen. Meine erste Erfahrung mit Alkohol hatte ich mit sechs Jahren, mein erstes offizielles Bier mit 16 Jahren und 23 Jahre später, mit 39, musste ich mich entscheiden, zu sterben oder aufzuhören und ein neues Leben zu beginnen. Das war ein Weg vom ersten Bier bis hin zu sechs bis sieben Flaschen Bier und zwei Flaschen Wodka am Tag. Es war ein schleichender Selbstmord. Es gibt nur diese 50:50-Chance aufzuhören, und es gibt sie nur einmal. Ich habe mich für ein neues Leben entschieden. Das war am Anfang nicht einfach und hat mich sehr viel Kraft und Tränen gekostet. Im Laufe der Zeit kristallisierten sich drei Begriffe heraus, an denen ich mein Leben festmachte und immer noch festmache: Akzeptanz, Mut, Ziele. Akzeptanz, dass ich die Tatsache nicht ändern kann, Alkoholiker zu sein; den Mut, mein Leben ändern zu wollen und in die richtigen Bahnen zu lenken; und Ziele, auf die ich in meinem Leben hinarbeiten will. Mit meinen 57 Jahren habe ich noch einiges vor. So änderte sich mein Lebenselixier von einer substanzgebundenen Droge zu drei Wörtern, die mein trockenes Leben geprägt haben und weiterhin prägen. Ich betrachte meine Trockenheit und Zufriedenheit als Geschenk. Der Alkohol hat kein einziges Problem gelöst, sondern ganz viele neue geschaffen. Bild: © Martin Weis – Batterie 14

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Auch Gift kann ein Lebenselixier sein Wie vermeintliches Gift zum Lebenselixier werden kann, verdeutlicht uns am Beispiel der Chemotherapie Dr. Michael Bockmayr. In Deutschland erkranken jährlich über 2.000 Kinder an Krebs. Etwa 80 Prozent davon können langfristig geheilt werden. Die Therapieverbesserungen in der Kinderonkologie zählen zu den großen Erfolgen der Medizin in den letzten 60 Jahren. Neben Operationen und Strahlentherapien ist die medikamentöse Tumortherapie ein wesentlicher Behandlungsbestandteil. Chemotherapien zur Behandlung von Krebserkrankungen wurden nach dem zweiten Weltkrieg eingeführt. Die dabei genutzten Substanzen greifen die sich schnell teilenden Zellen an und töten diese ab. Durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Therapieoptimierung wurden seitdem komplexe Behandlungspläne erstellt, welche zu einer erheblichen Verbesserung der Behandlung geführt haben. Dabei werden ver16

schiedene Wirkstoffe kombiniert und in definierten zeitlichen Abständen verabreicht. Die häufigste Krebserkrankung bei Kindern, die akute lymphatische Leukämie, die noch in den Fünfzigerjahren als unheilbar galt, kann so heute in fast 90 Prozent der Fälle geheilt werden. Dass bei Kindern vergleichsweise hohe Wirkstoffkonzentrationen verwendet werden können, zählt zu den Gründen für die hohe Heilungsrate. Giftige Medikamente können so gewissermaßen zum Lebenselixier bei der Behandlung von Krebserkrankungen werden. Ihre Anwendung ist jedoch mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden. Zu den sich schnell teilenden Zellarten zählen auch Schleimhautzellen, Haarwurzelzellen oder Zellen des blutbildenden und des Immunsystems, welche ebenfalls schwer beeinträchtigt werden. Die Behandlung der Nebenwirkungen, insbesondere von Infektionen, ist daher von großer Bedeutung. Hierbei werden Antibiotika genutzt, welche häufig auch giftig sind, in üblicher Dosierung allerdings nur für Bakterien und nicht für den menschlichen Organismus. Diese sind für den Erfolg einer Leukämiebehandlung genauso wichtig wie die Chemotherapie selbst und so werden gewissermaßen auch sie zum Lebenselixier. Neben den akuten Nebenwirkungen stehen auch Spätfolgen der Tumorerkrankung oder der Therapie zunehmend im Fokus. Die zugleich positiven und negativen Auswirkungen der Chemotherapie stellen die behandelnden Ärzt*innen regelmäßig vor Herausforderungen, sowohl bei der Behandlung der einzelnen Patient*innen als auch bei der Entwicklung neuer Therapien. So ist es unabdingbar, vor Beginn jedes Therapieblocks genau zu prüfen, ob die Patient*innen ausreichend belastbar und erholt von einer vorangegangenen Behandlung sind. Insbesondere bei Kindern mit komplizierten Verläufen müssen Gaben gelegentlich verschoben oder in der Dosis reduziert werden, um schwere Nebenwirkungen zu vermeiden. Diese Ambivalenz besteht auch bei der Entwicklung der Behandlungspläne. Durch ein besseres molekulares Verständnis der Erkrankungen wird es möglich, die Intensität der Behandlung genauer anzupassen. Neben der Entwicklung effektiverer Therapien besteht ein Fokus aktueller Forschung darin, Wirkstoffe zu finden, die bei gleicher Wirkung weniger Nebenwirkungen verursachen. In den letzten Jahren wurden zielgerichtete molekulare Therapien entwickelt, die das Tumorwachstum hemmen ohne dabei gesunde Zellen wesentlich zu beinträchtigen. Aufgrund der geringen Fallzahlen in der Kinderonkologie sind diese jedoch bisher noch wenig verbreitet. Fortschritte in der Forschung sind daher in Zukunft entscheidend, um onkologische Therapien weiter vom tödlichen Gift punktgenau hin zum Lebenselixier zu entwickeln. Dr. Michael Bockmayr ist Arzt und Juniorprofessor in der Kinderonkologie in Hamburg. Neben seiner klinischen Tätigkeit forscht er über Methoden der Bioinformatik und Künstlichen Intelligenz zur Verbesserung der Behandlung kindlicher Krebserkrankungen. Die akute lymphatische Leukämie kann in fast 90 Prozent der Fälle geheilt werden. Bild: © Martin Weis – Erscheinung 1 17 SCHWERPUNKT

Die Natur als Lebenselixier Schon als Kind hat P. Albert Holzknecht SJ die Liebe zur Natur entdeckt. Das Unterwegssein in der Natur ist für ihn eine Suche nach den Spuren Gottes in der Welt. Da ich auf einem Bergbauernhof in der Nähe von Meran in Südtirol aufgewachsen bin und es in meiner Kindheit noch keine Straße zu unserem Hof hinauf gab, bin ich schon sehr früh zum Wandern und Bergsteigen gekommen. Zunächst waren es die Gipfel in der Texelgruppe, die ich nach und nach erklommen habe, und später dann die Gipfel in der Ortlergruppe und in den Westalpen. Auch im Winter war ich viel draußen unterwegs. Die Nachbarbuben und ich haben uns die Skipisten auf den Wiesen selbst getreten. Und in den Weihnachtsferien gingen wir zum Schifahren hinauf auf die Alm. Wandern und Bergsteigen hielten mich zum einen körperlich fit, zum anderen verschafften sie mir eine willkommene Abwechslung zum Arbeitsalltag und ließen mich die Schönheit und die Wunder der Schöpfung entdecken. Gleichzeitig zeigte mir das Bergsteigen auch Grenzen auf, wenn mir zum Beispiel die Kraft ausging, ich an unpassierbare Stellen kam oder das Wetter plötzlich umschlug. Nach und nach lernte ich auch Gefahren besser einzuschätzen und damit umzugehen. Oft war und bin ich allein unterwegs. Dann kann ich in meinem eigenen Tempo gehen, stehenbleiben und verweilen, wann und wo es für mich passt. Viel öfter war und bin ich mit anderen unterwegs, mit Kolleg*innen vom Alpenverein sowie mit Freund*innen. Sollte einem etwas passieren, dann ist man nicht allein, und beim Wandern und Bergsteigen ergeben sich oft tiefe Gespräche. Andererseits ist es auch eine interessante Erfahrung, gemeinsam im Schweigen zu gehen. Das wird mir immer wieder bei den Wanderexerzitien mit jungen Leuten deutlich. Schweigen ist ein wichtiges Element bei dieser Exerzitienform, um auf die Stimmen der Natur zu lauschen und auf sich selbst zu hören. Unterwegssein in der Natur bedeutet schließlich für mich, die Spuren Gottes in dieser Welt zu entdecken. „Von der Größe und Schönheit der Geschöpfe lässt sich auf ihren Schöpfer schließen“, heißt es im Buch der Weisheit. Wenn ich auf einem Berggipfel stehe und mein Blick über Berge und Täler schweifen lasse oder wenn ich die Blumen- und Tierwelt in den Bergen betrachte oder wenn ich im Winter mit meinen Tourenski durch eine unberührte Winterlandschaft ziehe, dann gerate ich ins Staunen und mein Herz weitet und erhebt sich zu Gott, zum Urheber all dieser Schönheit. Und ich kann nur stets wiederholen, was der ehemalige Innsbrucker Bischof Reinhold Stecher sagte: „Viele Wege führen zu Gott. Einer geht über die Berge.“ P. Albert Holzknecht SJ wurde 1963 in Südtirol geboren. Er leitet das Exerzitienhaus HohenEichen in Dresden, wo er der Natur, seinem Lebenselixier, nahe ist. „Von der Größe und Schönheit der Geschöpfe lässt sich auf ihren Schöpfer schließen.“ 18 SCHWERPUNKT

Klarer sehen Obwohl Marius Jocys SJ erst Anfang 30 ist, steht in seinem Lebensregal bereits eine Reihe an Gefäßen verschiedener Elixiere, die ihm Freude und Inspiration bereiten. Eines dieser Elixiere stellt er uns hier vor: Mit Kunst in Beziehung treten. Im Laufe meines Lebens wuchsen meine Sensibilität und mein Interesse an Kunst und ihrer Beobachtung. Derzeit lebe und studiere ich im Mekka der Kunst, in Rom. Während meines Studiums habe ich damit begonnen, Literatur über Ästhetik, Kunstgeschichte und Architektur zu lesen. Ich habe an der Universität einige Kurse zu diesem Thema belegt, und natürlich habe ich viele Museen, Kunstsammlungen und Ausstellungen besucht, die Kunstwerke von der Antike bis zur Gegenwart zeigen. Diese Erfahrungen wurden durch Reisen nach Griechenland, durch ganz Italien und viele andere europäische Städte bereichert. Ich habe das Gefühl, dass die Kunst, insbesondere die bildende Kunst – also alle visuell gestaltenden Künste – mich zunehmend das Sehen lehrt. Mein Alltag ist schnelllebig. Wenn ich soziale Medien nutze oder durch die Straßen der Stadt gehe, habe ich manchmal das Gefühl, in einem „Meer“ von Bildern zu ertrinken. Ich fange an, die Umgebung nicht mehr zu sehen. Vieles entzieht sich meiner Wahrnehmung, das Bild scheint zu verschwimmen. Dann stelle ich fest, dass ich Details übersehe, die vielleicht wichtig sind. Ein Kunstwerk lässt mich innehalten, still und ruhig werden, und um es besser zu verstehen, lädt es mich ein, es zu betrachten. Deshalb gibt es im Laufe meines Lebens immer mehr Momente, in denen ich nicht nur im Museum, sondern auch auf der Straße innehalten möchte. Wie groß ist die Freude, wenn ich auch hier die schönsten und interessantesten Kunstwerke zu sehen bekomme! Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass ich mir oft viel Zeit nehme, um die Person, das Leben, die Zeit und die Technik des Künstlers oder der Künstlerin zu studieren, bevor ich mir ein bestimmtes Kunstwerk ansehe. So erlebe ich die Betrachtung des Werkes oft als eine Begegnung mit dieser Person selbst. Ich erinnere mich, wie ich in einer Galerie zum ersten Mal ein Caravaggio-Gemälde gesehen hatte. Nach all dem, was ich über ihn gelesen hatte, wirkte das Kunstwerk besonders eindrücklich auf mich. Da ich in Rom lebe, komme ich oft mit christlicher Kunst in Berührung. Diese spielte nicht nur zur Zeit ihrer Entstehung eine besondere Rolle, sie ist auch heute noch wirksam. Ich verwende manche Gemälde für die persönliche Meditation und mein persönliches Gebet. Das Beten mit einem Kunstwerk hat für mich die gleiche Wirkung wie das Lesen der Heiligen Schrift. Ich glaube, dass Künstler*innen oft vom Heiligen Geist selbst inspiriert wurden, der auf höchst kreative Weise auch heute noch mein eigenes Herz durch die Kunst berührt und bewegt. Klarer sehen, in Beziehung treten und von Gott berührt werden – sind das nicht wunderbare Wirkungen meines Lebenselixiers? Marius Jocys SJ studiert im Rahmen seiner Ordensausbildung seit Herbst 2021 Theologie an der Universität „Gregoriana“ in Rom. Kunst hat für ihn einen besonderen Stellenwert. 19

Das Leben in Fülle spüren Was hat Surfen mit Deiner Spiritualität zu tun? Diese Frage beantwortet uns die Soulsurferin Esther Göbel. Ein Elixier ist eine Art Zaubertrank aus Heilpflanzen, mit der Alchimisten versuchten, Krankheiten zu heilen oder gar das Leben zu verlängern. Bestimmten Substanzen wurden magische Eigenschaften zugeschrieben. Gefragt nach meinem Lebenselixier — dem Windsurfen — würde ich als Zutaten Salzwasser, Wind, Sonne, Adrenalin und eine Prise Neoprengeruch nennen. Nun lässt sich das Surfen nicht in einen magischen Schluck Zaubertrank mit belebender Wirkung packen. Schade eigentlich, denn das wäre eine Art Vitamin-See-Kur, um gut durch den Winter zu kommen. Es geht hier also nun im übertragenen Sinn um die Aspekte, die mich beim Surfen das Leben in Fülle spüren lassen und mir Kraft und neue Energie geben. Die Einsicht, dass es Dinge gibt, „die die Seele sättigen“, und solche, die vielleicht zunächst guttun, sie dann aber doch unbefriedigt zurücklassen, führte Ignatius zur sogenannten Unterscheidung der Geister. Windsurfen sättigt meine Seele in einzigartiger Weise: Das Geräusch von Wasser und Wellen im Ohr, Salz auf der Haut und Wind im Gesicht zu spüren, lösen einen inneren Erholungsmodus aus. Bei zunehmendem Druck im Segel und steigender Geschwindigkeit entsteht ein einzigartiges Freiheitsgefühl, das mit Fliegen assoziiert ist. Am Ende einer Session bin ich zwar oft körperlich so erschöpft, dass ich kaum noch Brett und Segel aus dem Wasser bekomme, aber zugleich meistens völlig „mindblown“, also überwältigt. Der Adrenalin-Rausch geht in geistige Zufriedenheit und körperliche Entspannung über. Ich steige dann trotz Erschöpfung glücklich und wie neu geboren aus dem Mee(h)r der Möglichkeiten. Denn: Körperliche Betätigung verändert nicht nur physisch, sie bewegt auch etwas in Kopf und Herz. Es ist wie bei einem Mobile: Wer sich körperlich bewegt, kommt auch geistig und seelisch in Bewegung. Und selbst wenn der Wind mal nicht mitspielen will, Termine mich an Land halten oder es auf dem Wasser nicht so gut läuft — allein die Gedanken ans Gleiten übers Wasser, das wahrlich erhebende Gefühl eines Wasserstarts oder die erregende Spannung des schmalen Grads zwischen Geschwindigkeitsrauch und Sturz sind wie Balsam für meine Seele. Schon die Imagination vermag, mich emotional in Balance zu bringen und mir ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Beim Surfen scheint es etwas zu geben, das öfter als bei anderen Sportarten zu selbsttranszendenten Zuständen führt. Zu dieser Selbsttranszendenz gehören eine transpersonale Identifikation, ein mystisches Erleben sowie ein Zustand der Selbstvergessenheit. Ich fühle mich eins mit Wind, Wasser und Wellen. Als kleiner Teil dieser großen Naturgewalten (transpersonale Identifikation) erlebe ich Gottes Präsenz und spüre Dankbarkeit für so viel gute Schöpfung (mystisches Erleben) und denke beim Surfen über nichts anderes nach, bin ganz bei der Sache und voll in meinem Element (Selbstvergessenheit). Selbstvergessenheit ist eine Form der höchsten Konzentration und Fokussierung, bei der alles andere in den Hintergrund tritt oder eben vergessen wird („Flow“). Ich bin eine Soulsurferin. So bezeichnen sich Menschen, für die das Surfen mehr ist als ein Sport. Für sie ist das Surfen auch innere Haltung und hat Bedeutung für die eigene Lebensgestaltung. Ich bin Theologin und Windsurflehrerin und habe mit der Zeit eine ganz eigene Surf-Spiritualität entwickelt. Surf&Soul ist meine Berufung. Hier verbinden sich für mich Leidenschaft, Profession und Sendungsauftrag. Bild: © Martin Weis – Tor 20 SCHWERPUNKT

Esther Göbel ist seit 2006 Pastoralreferentin im Erzbistum Berlin. Seit einigen Jahren liegen ihre Schwerpunkte auf der Begleitung von Surf&Soul sowie der Entwicklung kreativer Glaubens-Formate in den sozialen Medien. Seit 2017 bietet sie „Surfkurse mit Tiefgang“ als Exerzitienformat für Erwachsene an. www.surfandsoul.de 21

Zutaten meines Lebenselixiers Lebensquellen – im Laufe unseres Lebens suchen wir oft nach Quellen der Inspiration und Stärkung, die uns auf unserem Weg halten und begleiten, aus denen wir schöpfen. Mich fasziniert das Bild vom lebendigen Wasser, das Jesus am Jakobsbrunnen nutzt. Ich frage mich: Was ist wohl dieses lebendige Wasser? Aus diesem Nachdenken ist die folgende Sammlung von Sätzen entstanden, die wie Zutaten meines Lebenselixiers sind. Ich habe sie in Exerzitien und im Alltag gefunden oder sie wurden mir geschenkt. Diese Zutatenliste entwickelt und verändert sich im Laufe der Zeit. Für mich sind sie geistliche Nahrung und Quellen der Kraft: Die Sätze erinnern mich daran, wie sehr Gott in meinem Leben gegenwärtig ist und wie ich Seine Liebe und Weisheit in die Praxis umsetzen kann. Sie sind wie ein innerer Kompass, der mir hilft, meinen Weg zu evaluieren und sicherzustellen, dass ich in Übereinstimmung mit meinen spirituellen Überzeugungen handle. In jedem meiner Notizbücher findet sich diese Sammlung in leicht variierter Form, weil ich mir immer wieder Zeit nehme, sie zu verschriftlichen und mit vergangenen Fassungen zu vergleichen. Vielleicht sind Ihnen einige der Sätze Inspiration, sie in eine eigene Sammlung von Zutaten eines Lebenselixiers aufzunehmen oder eine solche zu entwickeln. 1. Gott sagt, ich bin da, hier und jetzt: Die Gegenwart Gottes ist unser ständiger Begleiter. Er ist in diesem Moment, an diesem Ort, bei uns. Diese Erkenntnis kann uns Trost und Hoffnung in allen Lebenslagen schenken. 2. Gott sagt, du bist gut: Trotz unserer Unvollkommenheit sind wir von Gottes Liebe umgeben. Wir dürfen uns selbst annehmen und erkennen, dass wir wertvoll sind und Würde haben. 3. Gott sagt, ich brauche dich: Jeder von uns hat einen einzigartigen Zweck in Gottes Plan. Die Suche nach dieser Sendung und unserem Auftrag kann uns ein erfülltes Leben schenken. 4. Gott sagt, ich brauche dich im Team: Die Zusammenarbeit mit anderen ist eine Quelle für Wachstum und Erfüllung. Gott ermutigt uns, gemeinsam an seiner Schöpfung zu arbeiten. In anderen finden wir ihn. 5. Gott sagt, werde frei (indifferent): Die wahre Freiheit liegt in der Hingabe an Gott und dem Loslassen weltlicher Begierden und Besitztümer. Die Spannung zwischen der Sendung und dem „nichts zu sehr wollen“ ist ein ganz eigener Zugang zum Alltag. 6. Gott sagt, fühle dich ein (Perspektivwechsel): Die Fähigkeit, Empathie für andere zu entwickeln, fördert Mitgefühl und Verständnis und bereichert unser Leben. Geistlicher Impuls 22 GEISTLICHER IMPULS

P. Johann Spermann SJ ist Theologe und Psychologe. In seiner Zeit als Direktor des Heinrich Pesch Hauses initiierte er das Wohnbauprojekt „Heinrich-PeschSiedlung“. Aktuell arbeitet er als Provinzökonom der Jesuiten in Zentraleuropa. 7. Gott sagt, du musst nicht perfekt sein, aber sei dir deiner Fehler bewusst und bessere dich (magis): Perfektionismus kann uns belasten. Gottes Liebe akzeptiert uns mit unseren Schwächen und Fehlern. Diese zu kennen, anzunehmen und an ihnen zu arbeiten, führt zur Freiheit. Fehler sind Gelegenheiten zum Wachsen. Wir sind aufgefordert, aus ihnen zu lernen und uns ständig zu verbessern. Man darf dann auch vom Guten zum Besseren gehen. 8. Gott sagt, lerne mit dir und anderen umzugehen und zu kommunizieren: Beziehungen sind kostbar. Die Fähigkeit zur Kommunikation und zum liebevollen Umgang mit anderen bereichert unser Leben. 9. Gott sagt, lerne auf den Rat anderer zu hören und lass dir neue Wege zu zeigen: Demütig zu sein und auf die Weisheit anderer zu achten, kann uns helfen, neue Horizonte zu entdecken und zu wachsen. 10. Nimm dich nicht zu ernst: Gott hat die Welt und dich bereits gerettet! Bild: © Martin Weis – Gleichmut 23

24 Was macht eigentlich …? Stefan Dartmann SJ „Bist du wieder zurück?“, fragen mich die Leute in der Pfarrei St. Eugenia in Stockholm, deren Pfarrer ich von 1993 bis 2004 war. „Nein“, sage ich, „ich bin zu etwas Neuem gekommen!“, und zitiere Heraklit: „Niemand kann zweimal in denselben Fluss steigen, denn alles fließt und nichts bleibt.“ Jedenfalls will ich mich bemühen, im Jetzt zu leben und nicht der Nostalgie zu verfallen. Schon im Noviziat hatte ich mich in Land und Leute verliebt. Die Perspektive einer extremen Diaspora-Kirche mit weniger als zwei Prozent Katholiken fand ich befreiend. Nach einer zweijährigen Erprobungszeit (Magisterium) in Stockholm wurde die Priesterweihe 1986 zum Start meiner „nordischen Mission“. Nach weiteren Studien an der Universität von Uppsala und vier Kaplansjahren wurde ich Pfarrer im Herzen von Stockholm. 2004 ernannte mich P. General zum ersten Provinzial der Deutschen Provinz der Jesuiten. Eine reizvolle Aufgabe, mit vielen internationalen Kontakten. Das letzte Jahr der Amtszeit stand dann ganz im Zeichen der Aufdeckung des Missbrauchsskandales. Als Leiter von Renovabis, der Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa, lebte ich, wenn nicht auf Reisen, von 2010 bis 2015 als de-facto-Einzelpöstler auf dem Freisinger Domberg. Für die Lebensweise der Diözesanpriester sensibilisiert und mit zahlreichen Verbindungen zu der Kirche „im Osten“ konnte ich mich gut auf die anschließende Aufgabe in Rom einlassen. Dort war ich als Rektor des Collegium Germanicum et Hungaricum sechs Jahre lang in der Ausbildung von Diözesanpriestern tätig, bevor ich 2021 wieder Kurs auf Schweden nahm. Zum Jesuit-Sein gehört die „Er-Fahrung“ vieler Orte (multa loca peragrare). Was nicht ausschließt, dass ich mich nur in Schweden richtig zuhause fühle. Neben der Aufgabe als Superior der hiesigen Kommunität bin ich Subsidiar in der Pfarrgemeinde. Die Aufgabe als

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