Jesuiten 2024-1 (Österreich-Ausgabe)

in Wien angespannt. Hilfe bei der Wohnungssuche war ein Gebot der Stunde. Viele waren bedrückt. Ich habe Familien besucht, die auf engstem Raum versucht haben, ihr Leben zu organisieren. Als am Ende des Jahres ein großes ehemaliges Hotel am Westbahnhof, das als Flüchtlingsunterkunft diente, geschlossen wurde, haben mich viele Anfragen um Hilfe erreicht. Weil wir Jesuiten zu dieser Zeit eine Generalsanierung der Kommunität in Wien I vorbereiteten, erhielt ich die Erlaubnis, bis zum Beginn der Arbeiten Leute in einzelnen Wohnungen unterzubringen. Niemand will alleinstehende muslimische Flüchtlinge Anfang 2018 habe ich mich gleich auf die Suche nach einer Dauerlösung gemacht. Der Auszugstermin für die bei uns untergebrachten Asylbewerber stand bereits fest. Ich wollte auf jeden Fall vermeiden, sie wieder in ein überfülltes Asylheim mit den bekannten Lebensbedingungen zurückzuschicken. Allerdings verliefen alle meine Bemühungen zunächst im Sand. Ich habe meinen Bekannten- und Freundeskreis kontaktiert. Ich habe bei kirchlichen Institutionen, die zum Teil über großen Immobilienbesitz verfügen, angefragt. Ich habe das beachtliche Netz der ehemaligen Jesuitenschüler aktiviert. Gebracht hat es nichts. Ich habe im Internet gesucht und Immobilienfirmen kontaktiert. Entweder war nichts frei oder diverse private Wohnungsanbieter wollten unter keinen Umständen eine größere Zahl junger muslimischer Asylwerber bei sich im Haus haben. Die Uhr begann zu ticken. Anfang März war mir klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Wallfahrt nach Maria am Gestade Ich beschloss zu tun, was ich immer mache, wenn die Not groß ist: Ich machte eine Wallfahrt und übergab die ganze Angelegenheit der Mutter Gottes. Ich bin nach „Maria am Gestade“ gegangen, eine der ältesten Marienkirchen Wiens mit einer wunderschönen Mutter-Gottes-Statue, und habe die Mutter Gottes darum AUS DER REGION gebeten, jetzt oder spätestens bis Ende April eine Wohnung zu organisieren: „This is your job“, habe ich ihr mitgeteilt. „Ich habe weder Zeit noch Lust, weiter meine Energie für erfolglose Suchaktionen zu verwenden.“ Damit war die Sache für mich erledigt. Ende März saß ich dann an einem Sonntag mit einem syrischen Asylbewerber in einem Café in der Nähe unserer Kommunität, um seinen Ausbildungsweg zu besprechen. Plötzlich kam ein ehemaliger Schüler vom Kollegium Kalksburg mit seiner Frau vorbei. „So ein Zufall, dass wir dich hier treffen“, sagten sie nach der herzlichen Begrüßung. „Wir sind am Weg in den Stephansdom, haben aber keinen Parkplatz in der Nähe gefunden und sind jetzt deshalb hier in dieser Gasse“. Im nachfolgenden kurzen Gespräch schüttete ich ihnen mein Herz aus: „Ich suche dringend eine Wohnung.“ Marie, die Frau des Altschülers, gab mir einen Namen und eine Telefonnummer. Um die Geschichte abzukürzen: Ende April übersiedelten wir in ein neues Haus. Aus zunächst einer angemieteten Wohnung sind schließlich drei Wohnungen geworden. Aus einem Projekt, das primär Wohnmöglichkeiten geboten hat, ist schwerpunktmäßig ein Lern- und Studienhaus geworden. Zusätzlich zum Deutschunterricht hat im Herbst ein Fortbildungsprogramm in „Demokratiekunde“ begonnen. Das Haus, das wir gefunden haben, ist schlechthin ideal. Man könnte sich nichts Besseres wünschen. Dieses eine Beispiel steht für viele Erlebnisse in den Bereichen Rechtshilfe, Abschiebungen, Finanzen, Flucht, Familiennachzug, Krankheiten und zahlreichen anderen Nöten. Mein Vertrauen in die Fürsprache der Mutter Gottes ist unbegrenzt. Martin Rauch SJ 36

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