Jesuiten 2024-1 (Deutschland-Ausgabe)

Maria Einsiedeln – katholische Kirche im Herzen der Schweiz Im größten Schweizer Marienwallfahrtsort ist katholische Weltkirche erfahrbar. Wie die Wallfahrt zum Abbild unserer Gesellschaft und zum Ausdruck zeitgenössischer Spiritualität wird, erklärt der Einsiedler Benediktiner-Pater Philipp Steiner. Wer den Marienwallfahrtsort Einsiedeln besucht, ist beeindruckt vom imposanten Klosterplatz, von der monumentalen Fassade und der barocken Festlichkeit. Die ab 1704 neuerbaute Benediktinerabtei liegt in einem voralpinen Hochtal auf 900 Metern über Meer und darf in zehn Jahren den 1100. Jahrestag ihrer Gründung feiern: schweizerische Landschaft und benediktinische Beständigkeit in Reinkultur. Wer aber während der Wallfahrtszeit zwischen Ostern und Allerheiligen an einem Samstag- oder Sonntagnachmittag die Klosterkirche besucht, fühlt sich zuweilen in eine andere Welt versetzt: Man hört weder den gregorianischen Choral der Mönche noch erlebt man eine der traditionsreichen „Standeswallfahrten“ aus den katholisch geprägten Kantonen der Schweiz, die teilweise eine 700-jährige Geschichte haben. Vielmehr tauchen Besucher*innen in eine Liturgie im syro-malabarischen Ritus ein, erleben eine vietnamesische Eucharistiefeier, sehen eine portugiesische Marienprozession vorbeiziehen oder feiern einen albanischen Gottesdienst mit. Auch außerhalb der Gottesdienste sind auffallend viele Menschen mit diversen kulturellen Hintergründen in der Einsiedler Klosterkirche anzutreffen. Zwar hatte die Wallfahrt zur Muttergottes von Einsiedeln schon im Mittelalter einen ausgesprochen „europäischen“ Charakter, doch Menschen aus Albanien, dem Kosovo, BosnienHerzegowina, Kroatien, Indien, Sri Lanka, Vietnam, den Philippinen, China, Afrika, Spanien, Portugal, Polen, Tschechien, der Slowakei, Slowenien und der Ukraine suchte man bis vor wenigen Jahren oder Jahrzehnten hier vergebens. Dies hat damit zu tun, dass in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und bis hinein in die jüngste Vergangenheit Menschen auf der Suche nach Arbeit und einem Leben in Sicherheit ihren Weg in die Schweiz gefunden haben. Diese Menschen brachten ihre Religiosität und katholische Prägung mit. Und dazu gehört auch die Marienwallfahrt als selbstverständlicher Ausdruck der persönlichen und gemeinschaftlichen Frömmigkeit. Die von den jeweiligen fremdsprachigen Missionen organisierten Wallfahrten haben die traditionellen Schweizer Gruppenwallfahrten zahlenmässig schon längst überholt. Schweizer*innen besuchen die Einsiedler Klosterkirche mit der Gnadenkapelle weiterhin zahlreich, tun dies aber zunehmend individuell und nicht mehr organisiert in Gruppen an einem konkreten (Wallfahrts-)Tag. Bild: © Kloster Einsiedeln - Jean-Marie Duvoisin Die Marienwallfahrt ist Ausdruck der persönlichen und gemeinschaftlichen Frömmigkeit. 14

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==