Jesuiten 2010-2

10 Jesuiten Schwerpunkt: Religionsfreiheit Religionen sind aber komplexe Gebilde.In kulturellen Kontexten (zwischen Oberbayern und Nordseeküste,zwischen Brasilien und den Philippinen) nehmen sie unterschiedliche Gestalten an.Hinzu kommt,dass Gläubige oft Elemente aus verschiedenen Religionen in ihrem Alltag kombinieren.Katholiken beispielsweise machen nebenbei Zen-Kurse oder treibenYoga in einer spirituellen Form.Menschen haben mit solchen Kombinationen meist wenig Probleme.Will man über die Funktion von Religion in demokratischen Gesellschaften nachdenken,ist diese kulturelleVielfalt zu beachten.Religionen existieren nämlich nur in kulturellen Kontexten,und das heißt:im Plural.Religionen sind deshalb keine einheitlichen Blöcke. Deshalb hat es auch wenig Sinn,Religion in Demokratien auf Zivilreligion zu verkürzen. Zivilreligion meint die Bündelung säkularer Werte einer Gesellschaft,die in religiöse Rhetorik gegossen werden,ohne dass sie einer bestimmten Glaubensrichtung zugeordnet werden.Der US-Präsidentschaftswahlkampf von Obama ist ein gutes Beispiel hierfür.Und mit Blick auf die USA wünschen sich manche auch für Deutschland die Stärkung einer solchen Zivilreligion.Genau damit wird aber die Eigenheit der Religion zu wenig beachtet. Denn erstens kann es keine einheitliche (Zivil-)Religion geben,weil Religionen durch eine große Vielfalt gekennzeichnet sind. Und zweitens wird damit Religion wieder nur auf Werte reduziert.Eine Zivilreligion,die einer Gesellschaft gewissermaßen „von oben“ verordnet wird,entspricht deshalb nicht dem,was Religionen selber sind und sein wollen. Religionen in gesellschaftlichen Debatten Wie soll sich nun ein demokratischer Staat gegenüber der Religion verhalten? Unstrittig ist, dass die Trennung von Kirche und Staat eine unhintergehbareVoraussetzung für Demokratien und ein friedliches Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen Weltanschauungen ist.Positive wie negative Religionsfreiheit sind hierfür wichtige Bedingungen.Diese beiden Seiten der Religionsfreiheit bedeuten,dass der Staat weltanschaulich neutral sein und gleichzeitig die freie Religionsausübung seiner Bürger gewährleisten soll. Diese Bedingungen müssen jedoch mit Leben gefüllt werden,in jeder Gesellschaft müssen sie neu ausbuchstabiert werden.Die Unterschiede zwischen der französischen und deutschen Tradition im Umgang mit der Katholischen Kirche sind hierfür ein gutes Beispiel.Solche Unterschiede sollten beispielsweise auch zwischen Gesellschaften akzeptiert werden,die stärker in einem christlichen oder islamischen Hintergrund verankert sind. Innerhalb dieses Rahmens der Religionsfreiheit könnte man dann den Religionen mehr Spielraum geben als dies heute manchmal der Fall ist. Dies gilt auch für die Staaten Westeuropas und für Deutschland.Wenn Religionen sowohl ihre eigene (interne) Vielfalt wie die Vielfalt der Religionen akzeptieren und sich gleichzeitig nach demokratischen Spielregeln richten,dann kann ihnen auch einiges zugetraut werden.In Deutschland scheint es allerdings manchmal so,als wollten viele die Religionen lieber „in Schach halten“.Demokratische Gesellschaften leben davon,dass es eine Vielfalt von Meinungen gibt.Demokratie ist letztlich nichts anderes als kontroverse Auseinandersetzung.Politische Einigung ist kein harmonischer Konsens,sondern ein gleichberechtigter Streit von Positionen.Diese haben auch einen weltanschaulichen Bezug – sei dieser religiös oder säkular.Religionen können in diesen Debatten ein wichtiger Partner (oder vielleicht sogar:ein Motor) sein.Deshalb könnten sie in demokratischen Gesellschaften noch ernster genommen werden als dies bisher manchmal der Fall ist. ■ Michael Reder

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