Jesuiten 2010-2

Religionsfreiheit ISSN 1613-3889 2010/2 Jesuiten

Jesuiten 1 Editorial Schwerpunkt 2 Universaler Auftrag und Religionsfreiheit – wie geht das zusammen? 5 Religionsfreiheit kontrovers 8 Religionen mehr Raum in öffentlichen Debatten geben 12 Konversion weg vom Islam? 14 Religionsfreiheit und Katholische Kirche 16 Im Spannungsbogen der Freiheit 18 Religionsfreiheit – auch für „Scientology“? 19 Wann kann das Kopftuch ein Ausdruck von Religionsfreiheit sein? 20 Wie viele Minarette sollen wir den Muslimen zugestehen? Geistlicher Impuls 22 Philip Geister Aktuell 24 Mitten im Sturm Nachrichten 25 Neues aus dem Jesuitenorden Personalien 28 Jubilare Verstorbene Medien 29 Die Jesuiten. Wissen, was stimmt Vorgestellt 30 Katholische Theologie in Schweden 33 Autoren dieser Ausgabe 34 Freunde der Gesellschaft Jesu e.V. Spenden 37 Standorte der Jesuiten in Deutschland Inhalt Ausgabe 2010/2 2010/2 Titelfoto: Interreligiöses Gespräch zwischen einer Muslima und einem Juden © KNA-Bild

Juni 2010/2 Jesuiten 1 Editorial Liebe Leserinnen und Leser, „Religionsfreiheit“ wird immer dann ein Thema,wenn um sie ganz konkret gerungen wird.Oft sind alle irgendwie dafür,aber trotzdem sind doch viele irgendwie dagegen,dass gerade in ihrem Stadtteil z.B.eine Moschee gebaut wird.Wenn dann das Recht der freien Religionsausübung und der Religionsfreiheit eingefordert wird,wird oftmals auf die eigene Tradition verwiesen.Oder man verweist auf die Lage mangelnder Religionsfreiheit in muslimisch geprägten Ländern.Dann erweist sich Religionsfreiheit plötzlich als ein hart umkämpftes politisches Thema, und es zeigt sich,dass viele Menschen zwar theoretisch für Religionsfreiheit sein können,praktisch sich jedoch – aus guten Gründen? – dagegen sträuben,wenn sie konkret wird. Aber das Thema der Religionsfreiheit scheint schon grundsätzlich im Konflikt mit Religion selbst zu stehen.Oder etwa nicht? Nicht wenige Religionen gehen ja davon aus,die einzig gültige Offenbarung zu besitzen.Und man kann dann fragen,wie ein solcher Exklusivanspruch der eigenen Religion anderen Religionen überhaupt Freiheit zugestehen sollte.Geht es in der Religion nicht immer gleich um alles, um Leben undTod, um Heilige und Häretiker? Auf den ersten Blick scheint Religionsfreiheit eher eine Forderung des säkularen Staates zu sein,die dieser den verschiedenen Religionen auferlegt.Und die Geschichte der Katholischen Kirche zeigt selbst,wie schwer sich eine Glaubensgemeinschaft tun kann,andere Glaubensrichtungen anzuerkennen und ein positives Verhältnis zum Begriff der Religionsfreiheit zu bekommen.Der Katholischen Kirche gelang dies erst in den 1960er Jahren.Auf den zweiten Blick aber kann auch Religionsfreiheit selbst von den Religionen gewollt sein, und viele der Beiträge hier machen diese zweite Alternative deutlich. Die folgenden Artikel thematisieren dabei auch die gerade erwähnten Konflikte.Und es mag sein, dass die Spannungen zumVerhältnis von Missionsauftrag und Religionsfreiheit nicht (immer) auflösbar sind.Aber die Beiträge zeigen,dass man die eigene Offenbarung nicht „verraten“ muss,wenn man das Offenbarungsverhältnis einer anderen Religion zu Gott als wertvoll anerkennt.Der Koranexperte Felix Körner SJ geht in seinem Artikel auf diese Frage ein.Denn als christlicher Islamwissenschaftler musste er sich den Anfragen seiner muslimischen Zuhörer aussetzen,ob er nicht doch letztlich sie indirekt zum Christentum bekehren wolle.Albert Keller SJ thematisiert in seinem Interview den Wert der eigenen Freiheit des Gläubigen gegenüber seinem Glauben.Religionsfreiheit betrifft nicht nur die Religionen untereinander,sondern das Selbstverhältnis des Gläubigen zu seinem eigenen Glauben,den er nur in Freiheit annehmen kann. Neben den Erfahrungen von Schwester Felicitas an einer Berliner Schule und Michael Reders Analyse derWertebildung durch Religionen,versammeln die letzten drei Beiträge Themen,die in der öffentlichen Diskussion oft polemisch behandelt werden.Sie betreffen das Kopftuch von Musliminnen,die Scientology-Kirche (oder Nichtkirche) und die Minarett-Debatte. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre. Dominik Finkelde SJ Martin Stark SJ

2 Jesuiten Schwerpunkt: Religionsfreiheit Schwerpunkt Universaler Auftrag und Religionsfreiheit – wie geht das zusammen? In Ankara unterbrach einmal ein junger Koranexeget meine Unterrichtsstunde „Islamwissenschaftliches Deutsch“ und blickte mir tief in die Augen:„Felix,du tust das ja alles nur, weil du willst,dass wir Christen werden.“ Ich wusste keine Antwort.Kann ich denn als Zeuge Jesu etwas anderes wünschen,als dass die Menschen, denen ich begegne, die Wahrheit Christi entdecken? Kann ich denn einem Mitmenschen das vorenthalten,was ich selbst als wahrhaft heilend erkannt habe? Ich antwortete damals unverbindlich.Ich wollte meine Arbeit ja nicht wie einen Werbetrick für das Evangelium aussehen lassen. Der junge Türke strahlte aber und sagte:„Natürlich wünschst du dir,dass ich Christ werde.Das ist doch normal! Ich wünsche mir ja auch,dass du Muslim wirst.“ Wir wandten uns damals schmunzelnd wieder unserer Lektüre zu.Seine Frage verdient jedoch genaueres Nachdenken.Handeln wir,damit sich andere zum Christentum bekehren? Eine gute Antwort kann sich erst einmal klar machen:Durch die Kirche will Gott die ganze Welt verwandeln.Die Kirche hat vier verschieden engagierte Verhältnisse zu diesem Geschehen.Wir können sie so bezeichnen: Unterstützung,Vollzüge,Wirkung und Hoffnung.Unterstützungsarbeit ist berechnend;sie darf es in der Kirche nur geben,um ihre eigentliche Aufgabe zu ermöglichen,beispielsweise,um sie effizient zu verwalten und um Geld dafür zu finden.Was wir dagegen die kirchlichen Vollzüge nennen wollen, tut die Kirche,weil es ihre Mission,ihr Auftrag ist:das liturgische, künstlerische, wissenschaftliche und soziale Leben der Kirche. Diese vier Tätigkeiten haben ihre je eigenen Regeln und daher auch ihre eigenen Erfolgsmaßstäbe.Die Kirche feiert Gottesdienst zur Vorfeier der erfüllten Herrlichkeit Gottes.Sie lebt mit der Kunst,weil sie neue Ausdrucksformen sucht. Sie betreibt Wissenschaft, weil sie nach Wahrheit forscht,und sie ist sozial tätig,weil sie Menschen ein glückendes Leben ermöglichen will. Ziel dieser Vollzüge ist weder, dass die Kirche gesellschaftlich besser dasteht,noch dass sie eine Einnahmequelle hat;und auch nicht die Bekehrung von Nichtchristen.Gehört die aber nicht ebenfalls zur Sendung der Kirche? Was ist denn Bekehrung? Bekehrung ist liebende Selbstübereignung an den,den man als seinen ewigen Herrn zu erkennen beginnt. Ein Mensch kann einen andern gar nicht bekehren.Bekehrung kann nur im heiligen Raum der Freiheit entstehen,in dem Gottes Geist mit dem Menschen wirkt;sonst geschieht gar nicht Bekehrung,sondern Manipulation. Aber wenn die Kirche ihrenWesensvollzügen treu ist,handelt Christus in ihnen.Im betenden,im kreativen,im forschenden und lehrenden sowie im karitativen Leben der Kirche wird der Herr selbst gegenwärtig.Wer die Jesusgeschichte kennenlernt,kann einsehen und spüren,was wahres Leben ist.Dass Menschen in diese Geschichte eintreten, die Taufe empfangen,sich vom Geist Gottes ins neue Leben hinein verwandeln lassen,kann die Kirche nicht bewirken.Der Zweck kirchli-

Juni 2010/2 Jesuiten 3 chen Lebens kann nicht die Bekehrung von Menschen sein, wie eine Werbekampagne Verkaufszahlen steigern soll.Denn die Bekehrung,das freie Geschenk,würde durch Stimmungsmache nur verzerrt. Sinn und Wirkung der Kirche ist vielmehr die Gegenwart Christi.Er macht sich als Befreier bekannt in der Freiheit und Echtheit der betenden Liturgie und der schaffenden Kunst,der forschenden Wissenschaft und der dienenden Nächstenliebe.Sie sind nicht mehr frei und echt,wo sie zur Reklameaktion werden. In der berechnenden Unterstützung,in den Wesensvollzügen und der Grundwirkung lebt nun aber unsere Hoffnung.Wer erkannt hat, was das Leben Jesu wirklich bedeutet,wird stets hoffen,dass die anderen Menschen die Gegenwart Christi ebenfalls anerkennen und die entsprechenden Entscheidungen treffen; dazu gehört auch,dass sie sich taufen lassen. Aber das ist eine Hoffnung,auf die wir nicht berechnend hinarbeiten können.Bei einer Bekehrung wirken ja Gott und der andere in ihrer intimen Freiheit.Unsere Begabung kann dafür einen Beitrag leisten,aber auch unsere Beschränkung;was wir tun können,ist nur,in den Vollzügen der Kirche Zeugnis der befreienden Gegenwart Christi abzulegen. Zurück nach Ankara:Interreligiöser Dialog, ob zwischen Wissenschaftlern oder vor der Haustür,erwächst aus der anerkannten Freiheit.Denn Dialog entsteht,wenn man etwas erkannt hat und sich für die interessiert,die es anders sehen.Wir betreiben keinen wissenschaftlichen Austausch,damit sich Muslime bekehren; das wäre schlechte Wissenschaft. Forschung und Unterricht haben ihre eigenen Regeln und Qualitätsstandards,genauso wie Gebetsleben,Kunstschaffen und diakonisches Engagement.Wir haben kein Bekehrungsinstrument,denn das kann es gar nicht geben.Die Hoffnung allerdings,dass alle Menschen zum Heil Jesu Christi kommen, die haben wir. ■ Felix Körner SJ Gespräch zwischen einer katholischen Schwester und einer Muslima in einem Altenheim © KNA-Bild

4 Jesuiten Schwerpunkt: Religionsfreiheit © REUTERS Im Sakrament der Taufe vollzieht sich der sichtbare Eintritt in eine christliche Glaubensgemeinschaft.

Schwerpunkt Religionsfreiheit kontrovers Im Gespräch mit Pater Albert Keller SJ Wie religionsfreiheitlich können wir überhaupt sein, wenn wir den Missionsauftrag ernst nehmen? Viele Christen meinen heutzutage,missionieren heiße,einem Menschen gegen seinenWillen eine Überzeugung aufzudrängen.Und wäre das so,dann wäre Missionieren wirklich ein Übel.Denn kein Glaube taugt etwas,und sei er von noch so edlem Inhalt,wenn er unter Gewalt oder psychischem Zwang anderen aufgenötigt wird.Dagegen steht aber eine richtig verstandene Missionsarbeit.Und diese drückt sich in der Sendung durch Christus selbst aus.Sie besteht darin,mehr durch beispielhaftes Leben als durch Worte einen Menschen dafür zu gewinnen,wohin er selbst - wenn auch vielleicht unbewusst - strebt,nämlich dem Idealbild des Menschen nahezukommen.Christentum ist für mich eine solche Anweisung zum rechten Menschsein für jeden Menschen.Und aus diesem Grund darf man diese Anweisung niemandem vorenthalten.Ein richtig verstandenes Missionieren versucht also nicht,einem Menschen eine ihm fremde Auffassung einzureden,sondern dem ihm eigenen innersten Streben zum Durchbruch zu verhelfen.Deshalb kann auch der Missionsauftrag des Christentums nicht in Konflikt mit Religionsfreiheit geraten.Er setzt diese Freiheit vielmehr voraus. Aber schafft denn Religion,die für Religionsfreiheit plädiert,nicht sich selbst ab? „Religion”ist ein vieldeutiger Begriff.Er kann die Beziehung des Menschen zum Absoluten bzw.Unbedingten bezeichnen,sofern er dieses Unbedingten anerkennt und verehrt.Weil das aber weder zwangsläufig Gott sein noch als Gott erkannt werden muss,gibt es demnach auch pantheistische oder sogar atheistische Religionen.Man bestimmt Religion auch als Verhältnis des Menschen zum Heiligen.In diesem Fall benennt es die unangreifbar höchsten Werte,die allem Profanen bzw.Weltlichem gegenüber stehen. Das Wort „profan“ beinhaltet das Wort „fanum“, den geheiligten Bezirk. Und das „Profane“ ist dann dasjenige,das vor diesem heiligen Bezirk liegt.Diese Unterteilung kann dazu führen, die Welt radikal in Heiliges und Profanes, also Weltliches aufzuteilen. Das Heilige wird dann dem Weltlichen vorgeordnet und selbst die Vernunft ist dann nur noch profan und vom Bereich des Heiligen abzusondern.Das macht dann aber eine Religion fragwürdig.Verantwortlich kann nämlich nur der handeln, der sein Tun vernünftig überprüft.Etwas ungeprüft zu übernehmen,ist verantwortungslos.Noch unannehmbarer ist ein anderer und noch radikalerer Auswuchs von Religion,wenn nur noch das Heilige oder der heilige Bereich Geltung beansprucht.Denn dann werden die Vorkämpfer einer solchen Religion fast zwangsläufig zu „Fanatikern“. Ihnen ist nichts anderes mehr heilig als ihre eigenen religiösen Werte. Gegen eine solche Radikalisierung von Religion ist Religionsfreiheit ein wichtiges Heilmittel,weil sie auf die Freiheit der Beurteilung durch die Vernunft Wert legt.Falls es gelänge,mit der Religionsfreiheit eine fragwürdig fanatisierte Religion abzuschaffen,wäre das nur zu begrüßen.Der evangelische Theologe Karl Barth verweist Juni 2010/2 Jesuiten 5

6 Jesuiten Schwerpunkt: Religionsfreiheit darauf,dass das Christentum keinen herausgehobenen Bezirk,kein „fanum“ kennt,weil ihm die ganze Welt heilig ist. Dem Christentum verbietet sich Fanatismus,weil nichts Innerweltliches absolut ist,sondern allein der alle Welt übersteigende Gott.Der aber findet seinen Anknüpfungspunkt im Menschen,denn er ist selbst Mensch geworden und erklärt sich durch Jesus mit allen Menschen,mit den „geringsten seiner Brüder“ solidarisch.Daher kann er auch nichts Religiöses dem Menschen verordnen.Die Religionskritik Jesu lautet: „Der Sabbat ist für den Menschen da,nicht der Mensch für den Sabbat.“ (Mk 2,27) Ist Religionsfreiheit nur dann lebbar,wenn ich die an meine Religion gebundenen Wahrheitsansprüche in Frage stellen lasse? Religionsfreiheit wird von Papst Pius IX.im so genannten Syllabus von 1864 (eine Zusammenfassung theologischer Ächtungen) als „Indifferentismus“ verworfen.Ja selbst noch Pius XII.lehnt 1953 in seiner so genannten „Toleranzansprache“ die Religionsfreiheit ab mit dem Argument, die Wahrheit gehe der Freiheit voraus. Dagegen gilt aber im Verhältnis von Wahrheit und Freiheit, dass es das eine nicht ohne das andere geben kann.Wahrheit und Freiheit sind also gleichrangig.Ohne frei zu sein,kann niemand urteilen.Der Mensch ist also auf Wahrheit und Freiheit ausgerichtet. Das muss sein Tun bestimmen. Stößt er in seiner oder einer anderen Religion auf etwas,das er für unwahr hält,hat er es abzulehnen.Das widerstreitet der Religionsfreiheit keineswegs,da sich auch in ihr die unlösbare Einheit von Wahrheit und Freiheit ausdrückt. Zum Schlagwort „interreligiöser Dialog“:Wieso sind wir des Begriffes so müde geworden? Eine geistige Auseinandersetzung ist mühsamer als der faule Friede,der jeden bei seiner Meinung lässt und sich dabei recht tolerant vorkommt.Aber eher ist es ihm bloß egal,was ein anderer denkt. „Soll jeder nach seiner Façon glücklich werden und den Gott anbeten,den er will.“ Sollten die Gläubigen nicht eine solche Position annehmen? Paulus schreibt:„Lebt nicht mehr wie die Heiden in ihrem Wahn. Ihr Sinn ist verfinstert. Sie sind dem Leben Gottes entfremdet durch die Unwissenheit,in der sie befangen sind,und durch dieVerhärtung ihres Herzens.Haltlos wie sie sind,geben sie sich der Ausschweifung hin, um voll Gier jede Art von Gemeinheit zu begehen.“ (Eph 4,17-20) Der erste Petrusbrief spricht von der sinnlosen, von den Vätern ererbten Lebensweise,aus der die Christen losgekauft worden seien (1,18).Jesus selbst schließlich lehrt:„Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen.Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet;wer aber nicht glaubt,wird verdammt werden.“ (Mk 16,15f) Dieser urchristliche absolute Anspruch klingt nicht sehr zeitgemäß,er passt nicht in unsere aufgeklärte demokratische Gesellschaft.„Ja,unsere Gesellschaft“,wird einer einwerfen,„bei der darf man ohnehin alles.Die ist genauso haltlos und ohne Moral,wie es Paulus den Heiden vorwirft.“ Aber vielleicht sollte man fragen:Warum ist diese Gesellschaft eigentlich gegen Intoleranz und Fanatismus? Hat sie nicht recht damit? Haben nicht Fanatiker aller Schattierungen mehr Leute auf dem Gewissen als alle raubgierigen oder triebbeherrschten Verbrecher? Ist daher nicht doch eine Haltung,die jeden nach seiner Façon selig werden lässt,jedem geistigen Totalitätsanspruch oder alleinseligmachender Lehre vorzuziehen? Nur müsste man wissen

Juni 2010/2 Jesuiten 7 warum.Weil es menschenwürdiger ist? Aber was entspricht der Würde des Menschen? Das ist nicht an dem abzulesen,was Menschen tatsächlich tun.Daran ist doch vieles schief, erbärmlich und unsinnig,also gerade menschenunwürdig oder gar unmenschlich.Das heißt:der Blick allein auf den Menschen zeigt also nicht,was menschenwürdig ist,sondern dazu muss man den Menschen sehen,wie er sein sollte.Das aber stellt nur erneut die Frage: Wie soll der Mensch sein?Was der Mensch soll, kann jedoch niemand festlegen außer dem,der den Menschen erschafft:Gott.Und der hat uns dieses Ziel vom Idealbild des Menschen nicht nur eingepflanzt,sondern uns auch darüber informiert,wie es zu verwirklichen ist:Du sollst Gott lieben aus deinem ganzen Herzen und den Nächsten wie dich selbst! Zum Abschluss noch tagespolitische Fragen: In der Schweiz gab es ein Votum gegen den Bau von Minaretten.Sollen wir auch hier zulande Minarette gegen Kirchen in islamisch geprägten Ländern aufrechnen? Ein gegenseitiges Aufrechnen ist nie hilfreich. Aber man sollte doch darauf hinweisen,wie in vielen – nicht nur islamischen Ländern – Christen schikaniert und verfolgt werden, ohne daraus eine Retourkutsche zu machen. Frankreich verbietet die „Burka“.Ist sie nicht Ausdruck von Religionsfreiheit? Da meines Wissens der Koran Burkas nicht vorschreibt,ist das kein religiöses,sondern eher ein kulturelles Problem,ähnlich wie wenn jemand in Saudi-Arabien eine kurze Lederhose trüge. ■ Die Fragen stellte Dominik Finkelde SJ Führende Vertreter der Weltreligionen beim Friedenstreffen der Weltreligionen im September 2009 in Krakau © KNA-Bild

8 Jesuiten Schwerpunkt: Religionsfreiheit Schwerpunkt Religionen mehr Raum in öffentlichen Debatten geben Über die Rolle von Religion in demokratischen Gesellschaften Religionen sind wieder zurück auf der öffentlichen Bühne.In Politik und Kultur spielen sie heute wie selbstverständlich eine wichtige Rolle.So nehmen sie in Deutschland Stellung zu bioethischen Fragen oder äußern sich zur Finanzkrise.Auch prägen sie kulturelles Leben – angefangen von Filmen bis hin zu Symbolen in der Werbung. Religionen sind also wieder gesellschaftlich wichtig. Dies war nicht immer so.Denn in den 1970er Jahren meinten nicht wenige Menschen,dass Religionen immer mehr an Bedeutung verlieren werden.Dem ist nicht so.Manche sprechen deshalb auch von einer Wiederkehr der Religion.Man kann darüber streiten,ob Religionen im 20.Jahrhundert überhaupt an Bedeutung verloren haben.Einigkeit herrscht jedoch darüber,dass es heute eine erneute Aufmerksamkeit gegenüber den Religionen gibt. Es verwundert deshalb z.B.nicht,wenn die Wochenzeitung „Die Zeit“ neuerdings eine eigene Rubrik „Glauben und Zweifeln“ einführt. Diskussion zwischen dem damaligen Kardinal Joseph Ratzinger und dem Philosophen Jürgen Habermas im Januar 2004 in der Katholischen Akademie Bayern in München © KNA-Bild

Juni 2010/2 Jesuiten 9 Religionen als moralische Ressource? Welche Rolle kommt ihnen aber nun in Demokratien zu? Wie weit darf ihr politisches Engagement gehen? Solche Fragen beschäftigen nicht nur Bürger, sondern auch Wissenschaftler.An der Hochschule für Philosophie in München wurde im vergangenen Jahr über solche Fragen diskutiert (die Ergebnisse sind im Kohlhammer-Verlag unter demTitel „Religion und die umstrittene Moderne“ erschienen).Dabei kamen auch Positionen zur Sprache,die Religionen skeptisch sehen,weil sie den Gläubigen zu viele Vorgaben mit auf den Weg geben.Religiöse Überzeugungen seien außerdem nicht allgemein verständlich.Deshalb könnten sie nur im Privaten eine Rolle spielen,aber nicht in der Politik. In den vergangenen Jahren haben „religiös unmusikalische“ Wissenschaftler diese religionsskeptische Haltung zumindest teilweise aufgegeben.Das wohl bekannteste Beispiel ist Jürgen Habermas.In seinen Gesprächen mit Joseph Kardinal Ratzinger (2004) und Vertretern der Hochschule für Philosophie in München (2007) zeigte sich diese neue Offenheit gegenüber der Religion.Habermas spricht dabei von einer postsäkularen Gesellschaft. Damit meint er,dass sich demokratische Gesellschaften auf das Fortbestehen von Religionen einstellen sollten.Ja noch mehr:Gesellschaften können von diesen etwas lernen. Denn angesichts drängender sozialer Probleme können sie Solidarität stärken und Menschen motivieren,sich für die Lösung solcher Herausforderungen einzusetzen. Religion als Perspektivenwechsel Eine solche Offenheit gegenüber den Religionen ist sehr begrüßenswert.Allerdings ist sie auch mit Gefahren verbunden.Denn es scheint manchmal,als würden Religionen dann ausschließlich zu Lieferanten von Werten.Wenn sich ein schwieriges ethisches oder politisches Problem zeigt (von der Stammzellendebatte bis zur Klimakrise),wird schnell auf die Religion verwiesen.Religionen werden damit zu moralischen Ressourcen für säkulare Gesellschaften. Religionen sind aber mehr.Dies gilt nicht nur für das Christentum,sondern für alle Religionen.Religionen betreffen nicht nur die Moral, sondern auch viele andere Aspekte des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens.Im Kern geht es Religionen um etwas,das menschliches Leben zutiefst trägt,aber nicht eindeutig fassbar ist.Dies kann ein tieferer Sinn,ein letzter Ursprung oder Gott sein. Deshalb ist es z.B.verkürzt,Religion ausschließlich fürWertebildung zu instrumentalisieren.Sicherlich können sie hierfür einen wichtigen Beitrag leisten,aber sie wollen mehr.Sie provozieren Menschen,weil sie diese mit etwas Unaussprechlichem konfrontieren, das radikal neue Sichtweisen auf die Welt eröffnet.Der prophetische Charakter,den viele Religionen betonen, meint mehr alsWertebildung in Kindergärten oder Schulen.Der Perspektivwechsel betrifft vielmehr den Menschen als Ganzen und hat vielfache Auswirkungen auf Gesellschaft und Kultur. Religion im Plural Gerade in dieser Umkehrung von Perspektiven liegt das Besondere von Religionen,das sie in gesellschaftliche Debatten einbringen können.Dabei sind Religionen keine einheitlichen Gebilde. In der öffentlichen Wahrnehmung wird dies manchmal vergessen.Es wird dann schnell von dem Katholizismus oder dem Islam gesprochen.

10 Jesuiten Schwerpunkt: Religionsfreiheit Religionen sind aber komplexe Gebilde.In kulturellen Kontexten (zwischen Oberbayern und Nordseeküste,zwischen Brasilien und den Philippinen) nehmen sie unterschiedliche Gestalten an.Hinzu kommt,dass Gläubige oft Elemente aus verschiedenen Religionen in ihrem Alltag kombinieren.Katholiken beispielsweise machen nebenbei Zen-Kurse oder treibenYoga in einer spirituellen Form.Menschen haben mit solchen Kombinationen meist wenig Probleme.Will man über die Funktion von Religion in demokratischen Gesellschaften nachdenken,ist diese kulturelleVielfalt zu beachten.Religionen existieren nämlich nur in kulturellen Kontexten,und das heißt:im Plural.Religionen sind deshalb keine einheitlichen Blöcke. Deshalb hat es auch wenig Sinn,Religion in Demokratien auf Zivilreligion zu verkürzen. Zivilreligion meint die Bündelung säkularer Werte einer Gesellschaft,die in religiöse Rhetorik gegossen werden,ohne dass sie einer bestimmten Glaubensrichtung zugeordnet werden.Der US-Präsidentschaftswahlkampf von Obama ist ein gutes Beispiel hierfür.Und mit Blick auf die USA wünschen sich manche auch für Deutschland die Stärkung einer solchen Zivilreligion.Genau damit wird aber die Eigenheit der Religion zu wenig beachtet. Denn erstens kann es keine einheitliche (Zivil-)Religion geben,weil Religionen durch eine große Vielfalt gekennzeichnet sind. Und zweitens wird damit Religion wieder nur auf Werte reduziert.Eine Zivilreligion,die einer Gesellschaft gewissermaßen „von oben“ verordnet wird,entspricht deshalb nicht dem,was Religionen selber sind und sein wollen. Religionen in gesellschaftlichen Debatten Wie soll sich nun ein demokratischer Staat gegenüber der Religion verhalten? Unstrittig ist, dass die Trennung von Kirche und Staat eine unhintergehbareVoraussetzung für Demokratien und ein friedliches Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen Weltanschauungen ist.Positive wie negative Religionsfreiheit sind hierfür wichtige Bedingungen.Diese beiden Seiten der Religionsfreiheit bedeuten,dass der Staat weltanschaulich neutral sein und gleichzeitig die freie Religionsausübung seiner Bürger gewährleisten soll. Diese Bedingungen müssen jedoch mit Leben gefüllt werden,in jeder Gesellschaft müssen sie neu ausbuchstabiert werden.Die Unterschiede zwischen der französischen und deutschen Tradition im Umgang mit der Katholischen Kirche sind hierfür ein gutes Beispiel.Solche Unterschiede sollten beispielsweise auch zwischen Gesellschaften akzeptiert werden,die stärker in einem christlichen oder islamischen Hintergrund verankert sind. Innerhalb dieses Rahmens der Religionsfreiheit könnte man dann den Religionen mehr Spielraum geben als dies heute manchmal der Fall ist. Dies gilt auch für die Staaten Westeuropas und für Deutschland.Wenn Religionen sowohl ihre eigene (interne) Vielfalt wie die Vielfalt der Religionen akzeptieren und sich gleichzeitig nach demokratischen Spielregeln richten,dann kann ihnen auch einiges zugetraut werden.In Deutschland scheint es allerdings manchmal so,als wollten viele die Religionen lieber „in Schach halten“.Demokratische Gesellschaften leben davon,dass es eine Vielfalt von Meinungen gibt.Demokratie ist letztlich nichts anderes als kontroverse Auseinandersetzung.Politische Einigung ist kein harmonischer Konsens,sondern ein gleichberechtigter Streit von Positionen.Diese haben auch einen weltanschaulichen Bezug – sei dieser religiös oder säkular.Religionen können in diesen Debatten ein wichtiger Partner (oder vielleicht sogar:ein Motor) sein.Deshalb könnten sie in demokratischen Gesellschaften noch ernster genommen werden als dies bisher manchmal der Fall ist. ■ Michael Reder

Juni 2010/2 Jesuiten 11 © KNA-Bild Spiegelungen und Brüche: Die Türme des Kölner Domes in einer gläsernen Hochhausfassade

12 Jesuiten Schwerpunkt: Religionsfreiheit Schwerpunkt Konversion weg vom Islam? Ein Problem des muslimischen Verständnisses von Religionsfreiheit „In der Religion gibt es keinen Zwang“,so lautet ein bekannter Satz aus Sure 2,Vers 256 des Koran.Die meisten heutigen muslimischen Theologen betrachten dieses Wort als Beweis dafür,dass im Koran die Religionsfreiheit verbindlich vorgeschrieben worden sei, und zwar,wie etliche von ihnen mit Stolz betont haben,schon vor mehr als 1400 Jahren, also lange bevor von ihr in europäischen Verfassungen und in der UN-Deklaration der Menschenrechte die Rede war.Nach üblichem westlichem Verständnis umfasst die Religionsfreiheit allerdings auch das Recht jedes einzelnen Menschen,aus seiner bisherigen Religionsgemeinschaft auszutreten und in eine andere seiner Wahl einzutreten. Dieses Recht erkennt die Mehrzahl der muslimischen Religionsgelehrten nach wie vor so allgemein nicht an:Sie betrachtet zwar den Übertritt von Anhängern anderer Religionen,z.B.Juden oder Christen,zum Islam als selbstverständlich erlaubt, den Wechsel eines bisherigen Muslims zu einer anderen Religion,beispielsweise zu einer der großen christlichen Konfessionen,dagegen als streng verboten,weil er in ihren Augen ein schwerwiegender Verstoß gegen die gottgewollte Ordnung ist. Nach dieser muss, so dieVorstellung,der Islam,die einzige uneingeschränkt wahre und letztgültige Religion,zugleich auch die vernünftigste von allen,stets an Anhängern gewinnen;wer ihm einmal angehört,hat das auf immer zu tun. Aus muslimischer Sicht erscheint die Konversion eines Menschen,der bisher Muslim war, zu einer anderen Religion überdies geradezu widernatürlich:Nach einem Hadith,einem überlieferten Ausspruch des islamischen Propheten Muhammad,wird jeder Mensch als Muslim geboren.Wenn Menschen dennoch Juden oder Christen sind,dann nur deshalb, weil ihre Eltern sie nachträglich zu solchen umerzogen haben.Der Islam gilt Muslimen demnach als Religion der menschlichen Natur;umso weniger ist es für sie in der Regel vorstellbar,dass ein vernünftiger Mensch,der in dieser Religion aufgewachsen ist,sich aus freien Stücken einer anderen anschließen will. Die Scharia,das traditionelle religiöse Recht des Islam,bewertet eine solche Konversion als Abfall von der wahren Religion und sieht für letzteren die Todesstrafe vor. Diese Strafvorschrift beruht nicht auf einem Korantext,sondern wird mit einem Hadith begründet.Im Verlauf der älteren islamischen Geschichte ist dieseVorschrift nur selten angewandt worden, und wie die übrigen Strafvorschriften der Scharia ist sie heute in den weitaus meisten islamischen Ländern nicht mehr geltendes Recht. Seit einigen Jahrzehnten haben Muslime verschiedentlich die Frage diskutiert,ob sich die Todesstrafe für Apostasie eigentlich mit dem Prinzip der Religionsfreiheit verträgt,das man in dem Koranwort „In der Religion gibt es keinen Zwang“ verankert sieht.Diese Debatte kam zum einen unter dem Einfluss zunehmender Verbreitung moderner menschenrechtlicher Denkweisen auch in islamischen Ländern in Gang.Zum anderen war sie dadurch veranlasst,dass im Zeichen des Auf-

Juni 2010/2 Jesuiten 13 stiegs des politischen Islamismus mehrfach prominente Muslime,die diesem kritisch gegenüberstanden,für abtrünnig erklärt und daraufhin unter Berufung auf die Scharia mit dem Tode bedroht, ja in Einzelfällen sogar tatsächlich zu Tode gebracht wurden. In der Diskussion versuchten etliche Gelehrte zu beweisen, dass die Todesstrafe für Apostasie der Religionsfreiheit keineswegs widerspreche.Andere vertraten den Standpunkt,dass eine solche Strafe im Widerspruch zu dem genannten Koranwort steht und darum heutzutage nicht mehr angewandt werden darf. Zur Rechtfertigung der Todesstrafe für Apostasie wurde hauptsächlich das Argument ins Feld geführt,mit dieser werde ja gar nicht die religiöse Überzeugung des Abtrünnigen bestraft,sondern nur dessen Hochverrat am muslimischen Gemeinwesen. Dieses Argument geht – abgesehen davon,dass es die Todesstrafe als solche fraglos billigt – von einer zumindest unter modernen Bedingungen nirgends vorhandenen Deckungsgleichheit von Staat und Glaubensgemeinschaft aus,aber auch von einem äußerst reduktionistischen Begriff von Religionsfreiheit,der die Bekenntnisfreiheit und das Recht auf Religionsausübung in Gemeinschaft mit anderen nicht einschließt.Diejenigen muslimischen Intellektuellen,die es für mit der Religionsfreiheit unvereinbar halten,Abfall vom Islam mit demTode zu bestrafen, melden Zweifel an der Authentizität des überlieferten Prophetenausspruchs an,der der Strafvorschrift der Scharia zugrunde liegt.Oder sie erklären,dieses Prophetenwort habe nur für die allerersten Anfänge des Islam gegolten,in denen dieser durch das nichtmuslimische Umfeld noch in seiner Existenz bedroht gewesen sei,und mithin gelte auch die Strafvorschrift schon längst nicht mehr. ■ Rotraud Wielandt © KNA-Bild Deutschlands größte Moschee in Duisburg.Der Kuppelbau im osmanischen Stil bietet Platz für 1.400 Gläubige

14 Jesuiten Schwerpunkt: Religionsfreiheit Schwerpunkt Religionsfreiheit und Katholische Kirche Überlegungen zu einem schwierigen Verhältnis Bis in die 1960er Jahre hinein tat sich die Katholische Kirche nicht leicht mit der Religionsfreiheit – einerseits wegen ihres Glaubens an die Einzigartigkeit der Offenbarung in Jesus Christus als Weg,Wahrheit und Leben (Joh 14,6) und wegen seines Missionsbefehls (Mt 28,16-20),andererseits durch ihre Geschichte als politische und gesellschaftliche Macht. Aus der kleinen,verfolgten jüdischen Sekte war bis zum Mailänder Toleranzedikt Kaiser Konstantins 313 eine Größe geworden,mit der der römische Staat – Religionen gegenüber tolerant,solange Kaiser- und Staatskult anerkannt und praktiziert wurden – immer mehr rechnen musste. Ihre Verteidiger wie Tertullian forderten im Namen der Religion Religionsfreiheit,denn mit der freien Annahme des Glaubens war Zwang unvereinbar,und verwiesen gleichzeitig auf die Treue und Zuverlässigkeit der christlichen Untertanen. Erst der endgültige Durchbruch des Christentums am Ende des 4.Jahrhunderts brachte eine Wende. Denn nun war es selbstverständlich geworden,dass Kirche und christlicher Staat eng zusammenarbeiteten,während andere Religionen und Kulte nur noch mit Duldung rechnen durften.Auch half der Staat, innerkirchlich Häretiker zu disziplinieren und Schismatiker gewaltsam in die Kirche zurückzuführen – eine Entwicklung,die sich eher negativ auf die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihreVerkündigung auswirkte. Obwohl im Mittelalter prinzipiell an der altkirchlichen Lehre von der freien Glaubensannahme festgehalten wurde und Thomas von Aquin diese Lehre sogar noch vertiefte, indem er die Würde des irrenden Gewissens betonte,das es zu tolerieren gelte,sah die Praxis mit Inquisition und Kreuzzügen oft anders aus. Die Reformation brachte eine weitere Zuspitzung.Denn nun kämpften mehrere Kirchen – eine jede mit dem Anspruch,die einzig wahre Kirche zu sein – um die Seelen der Menschen.Hatten die Reformatoren gegenüber der Papstkirche zunächst die Freiheit der Gewissen betont,so verschärfte sich auch hier zusehends der Zwang nach innen. Das Zeitalter der Konfessionalisierung kannte keine Freiheit in Sachen der Religion,allenfalls minimale Toleranz wie im Augsburger Religions- (1555) oder imWestfälischen Frieden (1648) war möglich.Denn auch der neuzeitliche Staat hatte ein Interesse daran,die Religion seiner Untertanen zu kontrollieren. Erst Aufklärung und Französische Revolution führten zu einer Neupositionierung im Verhältnis von Kirche und Religionsfreiheit – wenn auch zunächst in einer verstärkten Frontstellung.Aufklärer und Revolutionäre sahen in der Kirche den verlängerten Arm des Ancien Régime,eine Institution,die zu sehr mit der monarchischen Staats- und Gesellschaftsform verbunden war,und die es nun unter den neuen Vorzeichen von Demokratie und Menschenrechten umzubauen galt.Dass hierbei Konflikte ausgefochten wurden,war absehbar.Spätestens durch die Entführung Pius VI. 1797 schien der Bruch zwischen den Idealen der Revolution und der Katholischen Kirche unüberwindbar.

Juni 2010/2 Jesuiten 15 Die liberalen Verfassungen des 19.Jahrhunderts führten in Europa zu massiven Eingriffen des Staates in innerkirchliche Angelegenheiten. Im Namen von Religionsfreiheit und Toleranz wurde nun das Recht der Kirche auf ein Eigenleben, auf Verkündigung,Seelsorge und Erziehung vielfältig beschnitten. Und spätestens unter Pius IX.und seiner Sammlung von zeitgenössischen Irrtümern (1864),u.a. Religionsfreiheit,war der Bruch zwischen Kirche und Staat,Kirche und moderner Gesellschaft, besiegelt. Nur sehr langsam war es möglich,die erstarrten Fronten aufzuweichen:So führte die Lehrentwicklung von Papst Leo XIII.bis Johannes XXIII. fortschreitend zu einer Anerkennung der Menschenrechte.Aber erst dem II.Vatikanischen Konzil gelang 1965 – nach heftigem Ringen – mit der Erklärung zur Religionsfreiheit (Dignitatis Humanae) eine kopernikanische Wende. Nicht mehr die Wahrheit wird als Trägerin von Rechten angesehen und der Irrtum darf höchstens toleriert werden,sondern jeder menschlichen Person kommt – auf Tertullian zurückgreifend – das Recht auf Religionsfreiheit zu.Ein Recht,das in derWürde des Menschen als Ebenbild Gottes begründet ist,und somit inneren oder äußeren Zwang ausschließt.Dass die Kirche – obwohl an ihrem Wahrheits- und universalen Sendungsanspruch festhaltend – eine solche Aussage machen kann,liegt in ihrem tiefen Vertrauen auf den göttlichen Heilswillen und seineWahrheit. Sie hat erkannt, dass es in einer pluralistischen Welt ihre Aufgabe ist, Religionsfreiheit bedingungslos einzufordern und zu verteidigen.Nicht nur für ihre eigenen Gläubigen,sondern für alle Menschen.Bis zu dieser Einsicht war es ein langer,konfliktreicher und steiniger Weg. ■ Niccolo Steiner SJ Sitzung der Kirchenväter beim II.Vatikanischen Konzil im Petersdom © KNA-Bild

16 Jesuiten Schwerpunkt: Religionsfreiheit Schwerpunkt Im Spannungsbogen der Freiheit Seit Oktober 2009 arbeite ich drei Tage pro Woche in dem christlichen Kinder- und Jugendwerk „Die Arche“ in Potsdam mit.Die Arche befindet sich in einem umgebauten Getränkemarkt neben einer Grundschule inmitten der Plattenbauten von Drewitz.In Kooperation mit dieser Schule bietet die Arche in deren Kellerräumen Mittagessen an für Familien,die an der Armutsgrenze leben. Wir von der Arche begleiten das Mittagessen. Wir setzen uns zu den Kindern,um mit ihnen über den Schulalltag zu sprechen,für einen reibungsarmen Ablauf zu sorgen,Beziehungen aufzubauen und auch das „Mahl halten in Gemeinschaft“ mit den Kindern zu leben. Eines Tages holt mich ein Mädchen aus der 4. Klasse zu einem anderen Tisch und sagt: „Ich möchte dich meinem Bruder vorstellen. Er geht in die 2.Klasse!“ Ich begrüße den Jungen und die darum herum sitzenden Kinder.„Bist du eine Nonne?“ ist die gewohnte erste Frage.Wir kommen schnell miteinander ins Gespräch.Die Klassenlehrerin kommt mit ihrem Essen und ich nicke ihr begrüßend zu. Sie sagt unvermittelt:„Ich verbiete Ihnen,mit meinen Kindern zu sprechen! Als Ordensfrau haben Sie an dieser Schule nichts zu suchen!“ Ich bin überrascht,mein Herz beginnt schneller zu schlagen und ich antworte:„Das Mittagessen ist ein Projekt der Arche,deren Mitarbeiterin ich bin.Ich denke,wir haben ein gemeinsames Ziel:diese hungrigen Bäuche satt zu bekommen!“ Dabei schaue ich ihr freundlich in die Augen.Der Abstand schmilzt. Ich habe ihr Herz erreicht.Wir kommen ins Gespräch und sie erzählt mir einiges aus ihrer DDR-Lebensgeschichte. Einige Wochen später, auf dem Weg in den Keller zur Essensausgabe,laufe ich wieder durch die Schule.Als ich durch das Foyer komme, höre ich leise Weihnachtsmusik. Ich bleibe stehen und lausche,ja ich höre das Lied „Herbei,oh ihr Gläubigen“! Bei einem Mittagessen komme ich mit der Schulleiterin ins Gespräch.Ich erzähle ihr von meinen Wahrnehmungen und Erfahrungen. Sie schmunzelt,breitet die Arme aus,schaut von einer Hand zur anderen und sagt:„Ja,so groß ist der Spannungsbogen an unserer Schule,was Religion betrifft.An dem einem Ende befinde ich mich und an dem anderen diese Lehrerin! Da hilft nichts anderes,als ins Gespräch zu kommen,aber auch manche Dinge einfach nur zu tun.“ Dieses Erlebnis hat mich berührt und beschäftigt:Es kamen Fragen in mir auf:Lebe ich nicht täglich in diesem Spannungsbogen? Ist er nicht auch in mir? Der Spannungsbogen zwischen Macht,Angst,Verwirrungen und Liebe? Ganz oft kämpfe ich um diese Freiheit von außen.Wie sieht es jedoch mit der Freiheit in mir aus? Die Freiheit in mir ist genauso wenig selbstverständlich wie die Freiheit von außen.Es bleibt immer ein Ringen,ein täglich neues Sich-Entscheiden bis hin zum bedingungslosen Ja.Für meine Freiheit innen muss ich im Gespräch,in der Beziehung mit Gott bleiben, mich von Seiner Liebe berühren lassen. Die Freiheit von außen verlangt ein authentisches Zeugnis,das Gespräch mit den Menschen,Toleranz und Achtung vor dem gelebten Glauben des anderen (gleich welcher Religion). Was in mir lebt,möchte außen Zeugnis geben,verlangt nach Zeichen und Konsequenzen.

Juni 2010/2 Jesuiten 17 Das,was in mir durch Seine Liebe Mensch wird,drängt nach außen.Was außen ist,verweist auf das,was innen lebt. Andererseits kann mir niemand meine innere Freiheit nehmen,egal welche Freiheit mir von außen zugestanden wird,auch nicht in Zeiten der Bedrängnis undVerfolgung. Meine Beziehung mit Jesus habe ich auch in der DDR gelebt,in der Bedrängnis von außen.Das hat mich stark gemacht.Ich war sehr stolz,Christin zu sein.Der äußere Zwang der politischen Situation hat mich der Angst begegnen lassen,aber auch in die tiefere Auseinandersetzung mit meinem Glauben geführt,hat mich im Glauben verwurzelt. Auch wenn jemand Macht über mich haben will oder sie erzwingt,ist es der Prozess von innen,frei zu sein.Sobald ich mich auf diese Macht,auf diesen Machtkampf einlasse,gebe ich ein Stück von meiner Freiheit auf.Innere Haltungen kann ich nicht beschließen oder einfordern.Ich muss sie leben und ins Gespräch bringen mit Ihm und mit den Menschen.Das hat mir auch die Situation mit der Lehrerin gezeigt. Gelebter Glaube zwischen dem Berührt-Sein der Liebe und der Härte des Menschseins im noch nicht vollendeten Sein in IHM – den Weg muss jeder Mensch allein suchen und finden! Diese Freiheit ist ein Geschenk Seiner Liebe an uns,die Befreiung aus der Sklaverei der inneren und äußeren Zwänge.Aber ich muss dieser Liebe begegnen wollen.Es ist meine Entscheidung.Sicher gibt es oft auch erst ein Erschrecken vor den Konsequenzen, die vielleicht äußere Grenzerfahrungen mit sich bringen können,mich jedoch mit der Klarheit und Reinheit der Liebe beschenken. Diese Begegnung schafft Beziehung und Gemeinschaft in der Arche, in der Schule, zwischen den Religionen,über Grenzen hinweg im Spannungsbogen der Liebe zwischen Gott und Mensch. ■ Sr. M. Felizitas Pfeiffer Foto: Arche Kinder zusammen mit Schwester Felizitas in der „Arche“

18 Jesuiten Schwerpunkt: Religionsfreiheit Schwerpunkt Religionsfreiheit – auch für „Scientology“? Die Scientology-Organisation mit ihren etwa 6.000 Mitgliedern in Deutschland nennt sich „Kirche“, ist aber nur ein eingetragener Verein. Ob sie rechtlich als Religions- bzw.Weltanschauungsgemeinschaft gelten kann,wurde von deutschen Gerichten unterschiedlich beurteilt,doch haben gerade die höchsten Gerichte,insbesondere das Bundesverfassungsgericht,diese Frage offen gelassen.Das Bundesarbeitsgericht befand hingegen 1995,Scientology sei keine ReligionsundWeltanschauungsgemeinschaft, sondern eine „Institution zur Vermarktung bestimmter Erzeugnisse“:Bücher,Nachhilfestunden und Kurse zur Persönlichkeitsentwicklung.Die Bundesregierung anerkennt sie nicht als Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaft, und das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet sie seit 1997 wegen desVerdachts, verfassungsfeindliche,totalitäre Ziele zu verfolgen.Scientology behauptet nun, ihre Anhänger würden in Deutschland diskriminiert und verfolgt – unter Missachtung des Rechts auf Religionsfreiheit. Was ist von diesem Vorwurf zu halten? Von einer Einschränkung der Religionsfreiheit kann hier deshalb keine Rede sein,weil die Organisation ungehindert arbeiten kann.Ihr Anspruch,eine Kirche zu sein,zielt jedoch auf Steuerprivilegien für die hohen Gebühren („Spenden“),die sie für ihre Dienstleistungen verlangt, und derVorwurf, ihr werde die Religionsfreiheit verweigert,soll bewirken,dass die Beobachtung durch denVerfassungsschutz aufgehoben wird. Der Grund, weshalb Scientology vom Verfassungsschutz beobachtet wird,hat aber nichts mit der umstrittenen Frage zu tun,ob sie eine Religionsgemeinschaft ist oder nicht.Vielmehr gibt es – so das Verwaltungsgericht Köln (2004) – konkrete Anhaltspunkte dafür,dass sie dazu tendiert,die Menschenwürde und Gleichbehandlung einzuschränken oder aufzuheben.Tatsächlich werden Kritiker der Organisation durchweg als Geisteskranke, „Aberrierte“ und Verbrecher betrachtet, die man mit Strafanzeigen,Verleumdung undTelefonkampagnen zermürben darf.Auch kritische Familienmitglieder werden als „unterdrückerische“ Personen abgestempelt,und die pauschale Stimmungsmache gegen die wissenschaftliche Psychiatrie hat Züge einer Hetze gegen eine ganze Berufsgruppe. Der Verdacht ist also begründet,dass Scientology eine demokratische Gesellschaft mit gleichen bürgerlichen Rechten,einschließlich Opposition, ablehnt.Das aber wäre verfassungsfeindlich, selbst wenn die Organisation bis ins Mark religiös wäre. Ist sie religiös? Ihre spärlichen Riten sind es kaum.Beispielsweise besteht die „Taufe“ einfach aus einer Namensgebung.Das Ziel der angebotenen Kurse ist die Befreiung von psychosomatischen Beschwerden und die Steigerung von Intelligenz und Leistungsfähigkeit bis hin zum Bewusstsein,als „Thetan“ Ursache des materiellen Universums zu sein – unsterblich und in vielen Reinkarnationen. Dies wird als Nähe zum Buddhismus gedeutet.Allerdings hat sich die Deutsche Buddhistische Union deutlich abgegrenzt und erklärt, dass das „Menschenbild der Scientology nichts gemein (hat) mit dem buddhistischen“ und zwischen Scientology und Buddhismus keine Gemeinsamkeiten bestehen. ■ Bernhard Grom SJ

Juni 2010/2 Jesuiten 19 Schwerpunkt Wann kann das Kopftuch ein Ausdruck von Religionsfreiheit sein? Unter den Menschenrechten nimmt die Religionsfreiheit einen besonders wichtigen Stellenwert ein.Von ihr heißt es im Grundgesetz, dass sie „unverletzlich“ ist und dass der Staat die „ungestörte Religionsausübung“ zu gewährleisten habe. MitVerweis auf eben diese Religionsfreiheit fordern Musliminnen in jüngster Zeit immer häufiger,dasTragen des Kopftuches in öffentlichen Räumen,z.B.Schulen,zu erlauben.Die damit verbundenen Klagen wurden bisher zumeist zurückgewiesen.Die öffentliche Diskussion reißt aber nicht ab.Wie jede menschliche Freiheit hat auch die Religionsfreiheit innere und äußere Grenzen.Sie eröffnet einen individuellen Freiraum für den Glauben des Einzelnen,der vor Eingriffen durch Dritte geschützt ist.Sie findet ihre Grenzen,wo die Freiheit des anderen beginnt und wo dieser sich in seiner eigenen Religionsausübung maßgeblich beeinträchtigt sieht.Wie verhalten sich diese Aspekte der Religionsfreiheit nun mit demTragen des Kopftuches von Musliminnen? Nach einer kürzlich durchgeführten Allensbach-Umfrage betrachten mehr als die Hälfte der Deutschen das Kopftuch als ein Symbol, das mit der deutschen Kultur unvereinbar sei. Das Kopftuch stehe für die „Unterdrückung der Frau“.Es sei kein religiöses,sondern ein politisches Symbol.Der Staat müsse daher das Tragen des Kopftuches reglementieren und in bestimmten Fällen verbieten. Ähnliche Umfragen unter Muslimen kämen vermutlich zu anderen Ergebnissen.Für sie gilt das Kopftuch als integraler Bestandteil ihres religiösen Selbstverständnisses.Von Einzelfällen einmal abgesehen,tragen die muslimischen Frauen in Deutschland das Kopftuch freiwillig und selbstbewusst.Aufgrund seiner Neutralitätspflicht, so die Ansicht, habe der Staat daher kein Recht, das Tragen des Kopftuches zu verbieten.Da Bekleidungsvorschriften tatsächlich keine staatliche Angelegenheit sind,ist gegen eine solche Auffassung grundsätzlich auch nichts einzuwenden.Bei der causa „Kopftuch“ handelt es sich allerdings um einen komplexeren Sachverhalt.Daher ist es nicht nur legitim,sondern geradezu eine Pflicht,dass sich entsprechende staatliche Stellen in die Diskussion um das Kopftuch einschalten.Dass darüber hinaus in der Angelegenheit Menschen,besonders Frauen, betroffen sind,darf bei der ganzen Diskussion um das Tragen des Kopftuches nicht vergessen werden.Sie in den Diskurs mit einzubeziehen müsste für alle Beteiligten auch mit Blick auf die Religionsfreiheit ein selbstverständliches Anliegen sein. ■ Wilfried Dettling SJ © KNA-Bild Muslima vor einer Moschee

20 Jesuiten Schwerpunkt: Religionsfreiheit © KNA-Bild Die Moschee in Duisburg im Stadtteil Marxloh

Juni 2010/2 Jesuiten 21 Schwerpunkt Wie viele Minarette sollen wir den Muslimen zugestehen? Nicht mehr als sechs pro Moschee.Denn mehr Minarette zu planen,als die Hauptmoschee in Mekka hat,ist schon Sultan Ahmet I.nicht gut bekommen.Nein,diese Antwort ist nicht ernst gemeint.Sie zeigt aber,dass die Frage einen Haken hat.Um genau zu sein,sie hat zwei:Erstens:Wer ist „wir“? Und zweitens:Was heißt „zugestehen“? Wenn „wir“ „die Christen“ sind und „zugestehen“ die Möglichkeit birgt, dass „wir“ einer anderen Religion ihre Religionsausübung durch direkte oder indirekte Appelle an die staatliche Macht nicht zugestehen wollen,dann kann man nur sagen:Diese Haltung verstößt nicht nur gegen die Erklärung über die Religionsfreiheit des ZweitenVatikanischen Konzils,sondern verrät auch den Kern des christlichen Glaubens.Umgekehrt machen die Konflikte um den Bau von Moscheen,zu denen auch der Bau von Minaretten gehört, die Reichweite des „Jas“ der Katholischen Kirche zur Religionsfreiheit sichtbar.Das „Ja“ heißt:Religion ist keine Privatsache,sondern darf sich öffentlich auch in religiösen Gebäuden ausdrücken. Dieses Recht ist keine Verhandlungssache,es kann nicht durch tagespolitische Überlegungen eingeschränkt werden. Und schließlich:Dieses Recht baut nicht auf Gegenseitigkeit auf.Die Frage,ob das Recht in anderen Ländern gewährt wird,ja,ob das Gegenüber dieses Recht zu schätzen weiß,ist keine Grundlage,ihm dieses Recht zu gewähren oder zu entziehen. In diesem Sinne,so paradox es klingen mag,ist der Bau von Moscheen in Deutschland ein Ausdruck dafür,dass „wir“ Christen in einem Staat leben,den wir auch aus dem Glauben bejahen können.Ein Moscheebauverbot wäre umgekehrt ein deutliches Zeichen dafür,dass „wir“ Christen in Opposition zu dem Staat treten müssten, der auf diese eklatante Weise das Fundament der Religionsfreiheit verlässt. Heißt das nun,dass „wir Christen“ „alles dulden müssen“,wie es oft kritisch gesagt wird? Nein:Es gibt berechtigte Forderungen aus christlicher Sicht.Drei Beispiele:In Hinsicht auf den Planungsprozess können Christen zu Recht auf Transparenz und Einbindung nicht nur der politischen Elite,sondern auch der Nachbarschaft und ziviler Akteure drängen. Im Blick auf den Namen ist es durchaus legitim,die christliche Perspektive – zum Beispiel bei der Benennung von „Fatihmoscheen“ – zu artikulieren. Und im Blick auf dieTrägerschaft dürfen „wir“,gerade bei Unterstützung durch arabische Staaten,an die Rechte der Christen erinnern. „Wir“ dürfen sogar den Moscheebau bejahen – ohne die muslimische Seite in dialogischer Umarmung zu vereinnahmen.Wiederum drei Beispiele:Christen können darauf drängen, dass die Konflikte um Moscheeprojekte offen und nicht verdeckt mit dem Baurecht oder Parkplatzproblemen geführt werden.Christen können sich zweitens dafür einsetzen,dass in den Konflikten eine Diskussionskultur gewahrt wird, die die Würde des Gegenübers, auch als religiöser Person,respektiert.Drittens schließlich empfiehlt es sich,eine deutliche Distanz zur Vereinnahmung durch radikalislamkritische Gruppierungen zu halten,die mit Parolen à la „Abendland in Christenhand“ den christlichen Glauben entstellen.Um es plakativ zu sagen:Wenn in Mannheim ein Minarett neben einer Katholischen Kirche steht, ist dies kein Zeichen für den Untergang des Abendlandes,sondern dafür,dass es seine bestenTraditionen noch lebt.■ Tobias Specker SJ

22 Jesuiten Geistlicher Impuls Geistlicher Impuls Religionsfreiheit Am 11.Mai 2010 war der dänische Künstler Lars Vilks an der Universität Uppsala zu einemVortrag eingeladen. LarsVilks ist durch seine Zeichnungen,die den Propheten Mohammed als Rondellhund darstellen, international bekannt geworden.Während des Vortrages wurde Vilks von einer Gruppe Zuhörer körperlich angegriffen. Der Vortrag sollte über das Verhältnis von Kunst und Recht auf freie Meinungsäußerung handeln. Stattdessen endete dieVeranstaltung in einem Tumult.Gegenüber standen sich die,die das Recht verteidigten,Religion rücksichtslos angreifen zu dürfen und die,die meinten ihre religiösen Auffassungen mit Gewalt verteidigen zu müssen. Die perfekte Religionsfreiheit ist ein unerfüllbarer Traum und vielleicht ist es gerade das Festhalten an diesem Traum, an dieser abstrakten Idee,das für die alltägliche Religionsfreiheit das größte Problem darstellt. In Wirklichkeit ist Religionsfreiheit ein ”Grenzbegriff”.Er bezeichnet einen Zustand,den es nicht gibt.Es gibt weder völlige Freiheit von Religion (denn alle glauben ja an irgendetwas) noch die uneingeschränkte Freiheit,alle religiösen Gefühle auszuleben.Vielmehr ist Religionsfreiheit ein Balanceakt der Toleranz.Toleranz wird von religiösen Menschen verlangt,damit ihre Religionsausübung nicht für andere unterdrückend wird.Sie wird aber auch von denen erwartet,die religiöse Ausdrucksformen bei anderen dulden müssen.Religionsfreiheit setzt vernünftige,verantwortliche Menschen voraus,die verstanden haben,dass kluge Entscheidungen immer Abwägungen und Rücksichtnahmen sind. Vielleicht ist das größte Problem für die Religionsfreiheit gar nicht so sehr die Religion,sondern die Freiheit.Freiheit tut sich schwer mit Grenzen und es ist ihr Hang zur Maßlosigkeit,der sie gefährlich macht.Es ist nicht die Religion,die gewalttätig ist,sondern die Maßlosigkeit ihrer Anhänger - und ihrer Feinde. Für den hl.Ignatius ist Freiheit Indifferenz, d.h. ein innerer Abstand zu den Dingen, ohne den wir nicht verstehen können was richtig ist.Indifferenz ist Freiheit von Selbstbezogenheit,sie ist innere Freiheit.Diese innere Freiheit hat ihren Ursprung in Gott. Der hl.Ignatius drückt dies in seinem berühmten Gebet aus:„Nimm hin,o Herr, meine ganze Freiheit!“ Freiheit ist ein Geschenk Gottes.Aber gerade weil Freiheit von Gott kommt,muss sie verantwortlich gestaltet werden. Wenn es zwischen Menschen,die von Religion befreit sein wollen und anderen,die ihre Religion frei ausüben wollen,immer wieder Konflikte gibt,liegt dies wohl auch daran,dass etwas mit der Freiheit nicht so funktioniert wie es sollte.Das ist nicht nur ein Versagen einer religionsbefreiten Gesellschaft, sondern auch ein Versagen der Menschen,die sich religiös nennen.Als Jesus seine Jünger aussandte,riet er ihnen,klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben zu sein (Mt 10,16).Wenn es um Religion geht, reagieren Menschen verblüffend oft weder klug noch arglos.Offensichtlich fehlt vielen die nötige Distanz,die nötige Indifferenz, sobald es um Religion geht.Aber beide Hal-

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