Jesuiten 2010-2

12 Jesuiten Schwerpunkt: Religionsfreiheit Schwerpunkt Konversion weg vom Islam? Ein Problem des muslimischen Verständnisses von Religionsfreiheit „In der Religion gibt es keinen Zwang“,so lautet ein bekannter Satz aus Sure 2,Vers 256 des Koran.Die meisten heutigen muslimischen Theologen betrachten dieses Wort als Beweis dafür,dass im Koran die Religionsfreiheit verbindlich vorgeschrieben worden sei, und zwar,wie etliche von ihnen mit Stolz betont haben,schon vor mehr als 1400 Jahren, also lange bevor von ihr in europäischen Verfassungen und in der UN-Deklaration der Menschenrechte die Rede war.Nach üblichem westlichem Verständnis umfasst die Religionsfreiheit allerdings auch das Recht jedes einzelnen Menschen,aus seiner bisherigen Religionsgemeinschaft auszutreten und in eine andere seiner Wahl einzutreten. Dieses Recht erkennt die Mehrzahl der muslimischen Religionsgelehrten nach wie vor so allgemein nicht an:Sie betrachtet zwar den Übertritt von Anhängern anderer Religionen,z.B.Juden oder Christen,zum Islam als selbstverständlich erlaubt, den Wechsel eines bisherigen Muslims zu einer anderen Religion,beispielsweise zu einer der großen christlichen Konfessionen,dagegen als streng verboten,weil er in ihren Augen ein schwerwiegender Verstoß gegen die gottgewollte Ordnung ist. Nach dieser muss, so dieVorstellung,der Islam,die einzige uneingeschränkt wahre und letztgültige Religion,zugleich auch die vernünftigste von allen,stets an Anhängern gewinnen;wer ihm einmal angehört,hat das auf immer zu tun. Aus muslimischer Sicht erscheint die Konversion eines Menschen,der bisher Muslim war, zu einer anderen Religion überdies geradezu widernatürlich:Nach einem Hadith,einem überlieferten Ausspruch des islamischen Propheten Muhammad,wird jeder Mensch als Muslim geboren.Wenn Menschen dennoch Juden oder Christen sind,dann nur deshalb, weil ihre Eltern sie nachträglich zu solchen umerzogen haben.Der Islam gilt Muslimen demnach als Religion der menschlichen Natur;umso weniger ist es für sie in der Regel vorstellbar,dass ein vernünftiger Mensch,der in dieser Religion aufgewachsen ist,sich aus freien Stücken einer anderen anschließen will. Die Scharia,das traditionelle religiöse Recht des Islam,bewertet eine solche Konversion als Abfall von der wahren Religion und sieht für letzteren die Todesstrafe vor. Diese Strafvorschrift beruht nicht auf einem Korantext,sondern wird mit einem Hadith begründet.Im Verlauf der älteren islamischen Geschichte ist dieseVorschrift nur selten angewandt worden, und wie die übrigen Strafvorschriften der Scharia ist sie heute in den weitaus meisten islamischen Ländern nicht mehr geltendes Recht. Seit einigen Jahrzehnten haben Muslime verschiedentlich die Frage diskutiert,ob sich die Todesstrafe für Apostasie eigentlich mit dem Prinzip der Religionsfreiheit verträgt,das man in dem Koranwort „In der Religion gibt es keinen Zwang“ verankert sieht.Diese Debatte kam zum einen unter dem Einfluss zunehmender Verbreitung moderner menschenrechtlicher Denkweisen auch in islamischen Ländern in Gang.Zum anderen war sie dadurch veranlasst,dass im Zeichen des Auf-

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==