Jesuiten 2010-2

Juni 2010/2 Jesuiten 19 Schwerpunkt Wann kann das Kopftuch ein Ausdruck von Religionsfreiheit sein? Unter den Menschenrechten nimmt die Religionsfreiheit einen besonders wichtigen Stellenwert ein.Von ihr heißt es im Grundgesetz, dass sie „unverletzlich“ ist und dass der Staat die „ungestörte Religionsausübung“ zu gewährleisten habe. MitVerweis auf eben diese Religionsfreiheit fordern Musliminnen in jüngster Zeit immer häufiger,dasTragen des Kopftuches in öffentlichen Räumen,z.B.Schulen,zu erlauben.Die damit verbundenen Klagen wurden bisher zumeist zurückgewiesen.Die öffentliche Diskussion reißt aber nicht ab.Wie jede menschliche Freiheit hat auch die Religionsfreiheit innere und äußere Grenzen.Sie eröffnet einen individuellen Freiraum für den Glauben des Einzelnen,der vor Eingriffen durch Dritte geschützt ist.Sie findet ihre Grenzen,wo die Freiheit des anderen beginnt und wo dieser sich in seiner eigenen Religionsausübung maßgeblich beeinträchtigt sieht.Wie verhalten sich diese Aspekte der Religionsfreiheit nun mit demTragen des Kopftuches von Musliminnen? Nach einer kürzlich durchgeführten Allensbach-Umfrage betrachten mehr als die Hälfte der Deutschen das Kopftuch als ein Symbol, das mit der deutschen Kultur unvereinbar sei. Das Kopftuch stehe für die „Unterdrückung der Frau“.Es sei kein religiöses,sondern ein politisches Symbol.Der Staat müsse daher das Tragen des Kopftuches reglementieren und in bestimmten Fällen verbieten. Ähnliche Umfragen unter Muslimen kämen vermutlich zu anderen Ergebnissen.Für sie gilt das Kopftuch als integraler Bestandteil ihres religiösen Selbstverständnisses.Von Einzelfällen einmal abgesehen,tragen die muslimischen Frauen in Deutschland das Kopftuch freiwillig und selbstbewusst.Aufgrund seiner Neutralitätspflicht, so die Ansicht, habe der Staat daher kein Recht, das Tragen des Kopftuches zu verbieten.Da Bekleidungsvorschriften tatsächlich keine staatliche Angelegenheit sind,ist gegen eine solche Auffassung grundsätzlich auch nichts einzuwenden.Bei der causa „Kopftuch“ handelt es sich allerdings um einen komplexeren Sachverhalt.Daher ist es nicht nur legitim,sondern geradezu eine Pflicht,dass sich entsprechende staatliche Stellen in die Diskussion um das Kopftuch einschalten.Dass darüber hinaus in der Angelegenheit Menschen,besonders Frauen, betroffen sind,darf bei der ganzen Diskussion um das Tragen des Kopftuches nicht vergessen werden.Sie in den Diskurs mit einzubeziehen müsste für alle Beteiligten auch mit Blick auf die Religionsfreiheit ein selbstverständliches Anliegen sein. ■ Wilfried Dettling SJ © KNA-Bild Muslima vor einer Moschee

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