Jesuiten 2010-3

September 2010/3 Jesuiten 15 Schwerpunkt Bilderstürmer im Noviziat Als Novize in St.Andrä in Österreich (19661968) und Scholastiker der Philosophie in Pullach bei München (1968-1970) erlebte ich damals eine Art Kulturrevolution sowie Auswüchse einer „verzögerten innerkatholischen Reformation“.Wie in jeder Revolution gab es auch unter uns Novizen und Scholastikern Exzesse.Ich war aktiv,fast fanatisch an der damaligen Revolution beteiligt:Wir haben im Nazarenerstil gefasste Heiligenbilder förmlich zerstört. Kämpferisch missionarisch waren wir besonders in der „Erneuerung“ der Liturgie,d.h.in der Abschaffung eines in unseren Augen für das Wesentliche hinderlichen Ballasts.Weihrauch war der Feind Nr.1.Im Experiment im Jesuitenkolleg in Innsbruck durfte ich damals an „authentischen“,allerdings von den Oberen untersagten,Eucharistiefeiern im Rahmen von Mahlzeiten teilnehmen.Die Lesungen aus dem Alten Testament bzw. Paulus ersetzten wir durch Lesungen aus Marx oder der Existenzphilosophie.Begeistert erlebte ich,wie die klassischen Codizes der damals noch im scholastischen Sinne Lehrenden kritisch zerlegt wurden. Heute fragt man sich:Wie konnten Novizen zu Ikonoklasten werden? Wie konnte man mit Begeisterung,ja Fanatismus,die im Laufe der Jahrhunderte erprobte Philosophie über Bord werfen,um modischen Existenz- oder einseitigen politischen Philosophien anzuhängen? Der revolutionäre Umsturz kam nicht plötzlich.Bereits auf dem Jesuitengymnasium suchten wir nach Echtem,Authentischem. Neuromanische und neugotische Altäre und Kirchen galten uns als Kitsch.Geschätzt war die von Übermalungen und vom Ballast der Jahrhunderte befreite Romanik:Die Renovierung von St.Ambrogio in Mailand galt als Modell. Gefragt waren nackte Materialien:Ziegel, Eisen, Holz, Beton. Die Liturgiereform war bereits voll im Gange. Wir begrüßten die Vereinfachungen und die Wende zur ursprünglichen biblischen Botschaft:Was zählte,waren – ganz im Sinne der Reformation – die Ursprünge,die ipsissima vox des Herrn.Sozialpolitisch und philosophisch vollzog sich eine Annäherung zwischen dem katholischen Schüler- und Studentenlager und dem Marxismus.Die Wurzeln und die Antriebskräfte decken sich ja weitgehend.Besonders überzeugt waren wir von der Notwendigkeit einer ständigen Erneuerung bzw.permanenten Revolution,um Unechtheit und Entfremdung vorzubeugen. Als hartnäckiger Feind des wahren Christentums und einer besseren Welt fungierten der Konsum und der kapitalistische Liberalismus. Als Entfremdung galten uns aber auch subjektivistische Formen einer verinnerlichten Spiritualität. Nicht das subjektive Wohlbefinden zählte,sondern die Sache selbst,die reine ursprüngliche Botschaft des Evangeliums, die Läuterung der Motive des politischen Handelns,schließlich die Neustrukturierung von Kirche und Gesellschaft.Fragen wie:Wie fühlst du dich? waren uns fremd.Einige meiner Kollegen zerbrachen allerdings unter dem Druck der hohen Ideale,andere traten aus dem Orden aus,wiederum andere resignierten. Von den Grundmotivationen der damaligen Bewegung möchte ich mich auch heute nicht distanzieren. Die angepeilte Abschaffung all dessen,was im Ritus als sekundär galt,war allerdings ein Fehlgriff.Der Mensch braucht auch im liturgischenVollzug Nahrung für seine Sinne. Das Wort und das Wesentliche allein kann man schwer verkosten.Ignatius wusste das,wir ignorierten es damals. ■ Edmund Runggaldier SJ

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