Jesuiten 2010-3

September 2010/3 Jesuiten 17 Herwartz: Ja,da verrennst Du Dich aus meiner Sicht.Mir ging es darum,mich nicht von den Kollegen zu distanzieren,die in die Kommunistische Partei eingetreten sind und mit uns allen für eine Verbesserung des Lebens gekämpft haben.Ich habe mich entschieden gegen eine Entsolidarisierung gewehrt.Zwar war ich in keiner Partei,aber in einer Gewerkschaft.Mit wem warst Du solidarisch? Mertes: Ja,das ist eine gute Frage.Ich lebte damals sozusagen in meinen gewachsenen Solidaritäten: Familie, Gemeinde, Kirche, Schule.Politisch dachte und lebte ich in der Dankbarkeit gegenüber den Alliierten,die uns von Hitler befreit hatten, vor allem den Westalliierten,die danach mit uns eine Demokratie und einen Rechtsstaat erbaut hatten.Die Solidaritäten der 68er gingen über meinen Rahmen hinaus.Am schwierigsten war es für mich,als ich Deine Gesprächskontakte mit den RAF-Gefangenen verfolgen musste. Dagegen stand meine persönliche Familienerfahrung, weil mein Vater auch im Fadenkreuz der RAF stand und unser Haus deswegen abgesichert werden musste.Was hast Du denn in der Solidarität mit den anderen gelernt? Herwartz: Zuhören.In jedem Konflikt entsteht eine neue Sprache.Solidarität ist für mich der Ausstieg aus der Haltung einer Fürsorglichkeit,in der ich mich über den anderen stelle oder ganz in einer Funktion bleibe.In Konflikten kann ich eigene Vorurteile sehen und überwinden.Die Hungerstreikforderungen der politischen Gefangenen im Frühjahr 1989 wurden für mich dann verständlich: Kranke Gefangene zu entlassen oder eine gesellschaftliche Diskussion mit allen zu beginnen, damit Licht in den dunklen Teil unserer Geschichte der 70er Jahre fallen kann. Die Verantwortlichen konnten nicht darauf eingehen.Aber ich bin dankbar für die Begegnungen mit den Gefangenen, ihren Ange - hörigen und Unterstützern.Du kennst dieses Erlebnis der Einheit doch auch im Zulassen der Missbrauchsgeschichten jetzt,in der dir Sprache geschenkt wurde. Mertes:Ja,das stimmt.Vor allem habe ich besser begriffen,was eine Schweigespirale ist und dass sie einen systemischen Aspekt hat.„System“ war ja eines der Lieblingsworte der 68er.Eine Schweigespirale schweigt Menschen und ihre Erfahrungen tot.Übrigens begann ja bei vielen 68ern die Phase der Radikalisierung mit dem Protest gegen die Gewalt bei der Heimkindererziehung.Auch das finde ich einen interessanten Zusammenhang zwischen dem Thema Machtmissbrauch, sexualisierte Gewalt und 68er-Bewegung.Und noch eines wird mir heute deutlich: Die Versuchung zur Gewalt bleibt.Diesen Slogan „macht kaputt, was Euch kaputt macht“ verstehe ich heute zwar besser als früher,doch es muss eine Alternative zur Gewalt gegen die Gewalt geben.Gab es bei Dir Punkte,wo Du versucht warst,Gewalt zu legitimieren oder selbst dreinzuschlagen? Klaus Mertes SJ

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